judith hermann farewell

Amazed Buchclub: „Sommerhaus, später“von Judith Hermann

31. August 2014 von in

Vor einem Monat haben wir unseren amazed Buchclub angekündigt und waren sehr begeistert über eure Resonanz. Nicht nur hat euch die Idee gefallen, sondern es kam auch gleich ein Haufen toller Buchvorschläge von euch – vielen Dank dafür! Den Anfang machen wir wie versprochen mit einem Klassiker-Liebling in meinem Buchregal: „Sommerhaus, später“ von Judith Hermann. Danke übrigens an Jule für den Hinweis: Gerade kam Judith Hermanns erster Roman Aller Liebe Anfang heraus.

„Sommerhaus, später“ ist Judith Hermanns erster Kurzgeschichtenband und ich lese die Geschichten seit über fünf Jahren immer und immer wieder. Denn sie strahlen so eine wahnsinnige Ruhe aus, eine Gelassenheit und eine Besinnung auf kleine Details, die mit wenig Handlung erst möglich wird. Die Geschichten erzählen von Beziehungen längst verstorbener Großeltern, Beziehungen flüchtig aufeinandertreffender Personen, Beziehungen ohne Körperlichkeit. Von Alleinesein und sich öffnen, vom Jung-sein und Alt-sein.

Gefühl beim Lesen: Wenn man Judith Hermanns Geschichten liest, wird man ruhig und ein bisschen romantisch. Alles wird entschleunigt, weil auch die Geschichten in einer zeitlosen Ruhe erzählt sind. Sie schwanken zwischen Romantik und Drastik, sind immer etwas melancholisch, nur langweilig ist keine einzige von ihnen. Wenn ich Ruhe haben will, das Handy ausschalten, im Bett liegen und Tee trinken möchte, dann passt Judith Hermann in diese Stimmung.

Einprägsamste Geschichte: Einprägsam sind sie alle, und man taucht in jede der Geschichten auf eine andere Art ein. Die Geschichte, die mir am meisten im Kopf geblieben ist, ist Sonja. Der Erzähler wohnt in Berlin, seine Freundin Verena in Hamburg, es ist eine unbeschwerte, unkomplizierte Liebe und alles ist gut. Bis ihm die kleine, seltsame Sonja im Zug begegnet. Sie bleibt in seinem Leben und seinem Kopf stecken und obwohl die beiden keine körperliche Beziehung zueinander haben, ist sie doch schwerwiegender und tiefer als die zu Verena. Ein Stolpern zwischen Leichtigkeit und Schwere und einem inneren Hin- und Her.

Lieblingscharakter: die seltsame Sonja.

Persönliche Identifikation: Die Geschichte Hurrikan (something farewell) erfasst in ihrem zähen, wohlig-müden Warten auf den Sturm das Gefühl eines langen, wochenübergreifenden Sommerurlaubes, eines Urlaubes so weit weg von zu Hause, das man den Bezug ein bisschen verliert. Dass sich alles entschleunigt, dass man nicht mehr viel tut, in der Hängematte liegt, nicht an zu Hause denkt, sondern vielleicht sogar an diesen seltsamen Einheimischen. In wirklich langen Sommerurlauben fängt man an, zu träumen, sich ein neues Leben vorzustellen und sein Leben zu hinterfragen, wie Nora und Christine in ihrem Spiel „Sich-so-ein-Leben-vorstellen“. Dieser Zustand weit weg, in dem man sein Leben hinterfragt und ein ganz anderes Leben ausprobiert ist das, was Reisen, an einem komplett anderen Ort ankommen, aber auch das wieder Heimkommen so wunderbar macht.

Lieblingsstelle: Bei Judith Hermann sind nicht die aktionsreichen Momente wichtig, sondern die, in denen eigentlich gar nichts passiert, und die, über die man eigentlich nicht nachdenkt. Wie der Moment der Abreise, der Übergang von Urlaub und Zuhause sein: „Christine schreibt einen Zettel für Nora und steckt ihn ins Didgeridoo hinein. Um vier Uhr tasten sich die Scheinwerferkegel des Taxis den Hügel hinauf, über dem Meer wird die Sonne aufgehen, bald. Christine verstaut den Rucksack im Kofferraum, setzt sich auf den Beifahrersitz und schnallt sich an. Der Taxifahrer ist zu müde, um zu reden, er fragt nur: „Airport?“, und Christine nickt und macht die Augen zu.“ 

Kritikpunkt: Die alles überschattende Melancholie ist nichts für jeden Tag. Aber gerade, wenn man in gemütlicher, ruhiger und nachdenklicher Herbststimmung ist, dann passt Judith Hermann immer.

Wie hat euch das Buch gefallen? Wir freuen uns über eure Erfahrungen in den Kommentaren! Gerne könnt ihr dafür auch diesen Fragebogen ausfüllen:
Gefühl beim Lesen:
Einprägsamste Geschichte:
Lieblingscharakter:
Persönliche Identifikation:
Lieblingsstelle:
Kritikpunkt:
Buchtipp für das nächste Mal:

Unter euren Buchtipps von diesem und von letztem Mal werden wir uns eines für den nächsten Buchclubtermin in vier Wochen aussuchen – welches erfahrt ihr in ein paar Tagen auf unserer Facebookseite!

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12 Antworten zu “Amazed Buchclub: „Sommerhaus, später“von Judith Hermann”

  1. Zwei Empfehlungen:

    Richard Yates: Zeiten des Aufruhrs (mein absolutes Lieblingsbuch)

    Zeruya Shalev: Liebesleben, Mann und Frau, Späte Familie (ist eine Triologie, die Bücher funktionieren aber auch einzelnd)

  2. Ich mache mal mit, auch wenn es ein bissl geschummelt ist, denn es ist schon ein paar Jahre her, dass ich „Sommerhaus später“ gelesen habe. Aber ich fand es klasse damals und ich habe es wieder vorgekramt und zumindest meine Lieblingsgeschichte noch einmal gelesen.

    Gefühl beim Lesen: wunderbar düster-melancholische Atmosphäre, perfekte Herbst-Lektüre

    Einprägsamste Geschichte: Rote Korallen und Ende von Etwas

    Lieblingscharakter: die Großmutter

    Persönliche Identifikation: Sonja

    Lieblingsstelle: Sie machte ins Bett und lag dann weinend und unglücklich bis zum Abend. Aber manchmal sang sie und zwinkerte mit ihrem linken Auge und lachte über etwas, von dem wir nichts wußten, bis ihr die Tränen kamen. Sie hörte nie Musik. Lag in dieser Stille , die einmal laut gewesen war, als die zwei Kinder noch da waren und der Mann.

    Kritikpunkt: Die Geschichten waren nicht alle gleich stark, aber alles in allem noch immer ein Buch das ich auf der „Nochmal-Lesen-Liste“ liegen habe.

    Buchtipp für das nächste Mal: J. R. Moehringer „Tender Bar“

  3. Hello Milena,
    noch einmal vielen dank für diese Empfehlung.
    Mich hat das Buch sehr berührt und Kurzgeschichten lesen sich eh wunderbar!
    Damit der Buchclub auch funktionieren kann, hier meine Zusammenfassung ;)

    Ich mache mal mit, auch wenn es ein bissl geschummelt ist, denn es ist schon ein paar Jahre her, dass ich “Sommerhaus später” gelesen habe. Aber ich fand es klasse damals und ich habe es wieder vorgekramt und zumindest meine Lieblingsgeschichte noch einmal gelesen.

    Gefühl beim Lesen: Mal mitgenommen, mal aufgewühlt, vor allem aber eingefangen vom wunderbaren Schreibstil!

    Einprägsamste Geschichte: Rote Korallen und Sonja!

    Lieblingscharakter: Sonja und Christine

    Persönliche Identifikation: Wohl eher der Erzähler aus Sonja.

    Lieblingsstelle: „Der Winter erinnert mich manchmal an etwas. An eine Stimmung, die ich einmal hatte, an eine Lust die ich empfand? Ich weiß es nicht. genau. Es ist kalt. Es riecht nach Rauch. Nach Schnee.“

    Kritikpunkt: Ähnlich wie Sabine muss ich sagen, dass ich nicht alle Geschichten gleich stark fand. Aber alles in allem ein wirklich toller Kurzgeschichtenband.

    Buchtipp für das nächste Mal: Tom Rachmann -„Die Unperfekten“

    Liebe Grüße und ich freu mich auf das nächste Buch!

  4. Hallo!

    Als ihr das Buch geposted habt, hab ich es gleich bestellt – und mich, immer wieder froh um Bücheranregungen, sofort nach dem Erhalt in es hineingestürzt.
    Diese Dynamik wurde aber im Schreibstil gleich aus den Segeln genommen – die ruhige Erzählart, das viele durchatmen, während man sich in die Gefühlswelt unterschiedlichster Personen eindenkt, lässt einen runterkommen.

    Ich habe das Buch sofort einer Freundin, die Wahl-Berlinerin weitergeschenkt – da ich, als Wahl-Münchnerin, finde, dass es wie die Faust aufs Auge zu dieser Stadt passt, wie zu keiner Anderen.
    In keinem der Geschichten geht es darum, sich wirklich niederzulassen, zu genießen, zu sein. Es geht meiner Meinung nach darum, zu zeigen, dass es immer weitergehen muss, in keinem Wort findet man Stillstand, sondern nur viel Zweifel, den Drang nach mehr, den Drang, etwas besonderes darstellen zu müssen, … und das Rad dreht sich weiter, unabänderbar, und der Mensch steht mittendrin. Und genau das ist Berlin für mich. Es wäre schön, zu erfahren, ob ihr das irgendwie nachvollziehen könnt.

    Da das Buch schon weitergeschenkt wurde, kann ich hier weder zitieren, oder genau Leute benennen, die ich besonders spannend fand. Vielleicht ist auch hier besonders spannend, was es in mir ausgelöst hat.
    Ich verstehe die Faszination an dem Buch, verstehe aber ehrlich gesagt nicht, es immer wieder als Lektüre heranzunehmen, um zu träumen/runterzukommen etc. Für mich sind es mehr Geschichten des Scheiterns, und lösen weniger positive Gefühle aus.

    • Das ist ein sehr guter Gedanke, du hast wirklich recht, es geht um alles andere als Ankommen in den Geschichten. Dieser Zweifel und die Erkenntnis, dass es immer irgendwie weitergeht oder auch weitergehen muss, ist das, was mich in diese bestimmte Herbststimmung bringt, mich nachdenklich macht und ein bisschen schön-melancholisch. Der Bezug zu Berlin passt sehr gut. Aber man kann diese Stimmung auch allgemein auf sich beziehen, gerade jetzt im Herbst.
      Ich lese das Buch auch nicht immer wieder, um wohlig zu träumen, sondern nehme es eher immer wieder mal in die Hand, wenn ich sowieso in ruhiger und nachdenklicher Stimmung bin :)
      Nächstes Mal vielleicht ein lustigeres Buch, haha!

  5. Sommerhaus, später hat schon, als es erschien, (das war 1999 glaube ich), bewiesen, dass die Kurzgeschichte nicht tot ist! Ein ganz großes Statement für die „kleine Form“ war ja auch die Vergabe des Literaturnobelpreises an die wunderbare Alice Munro. Auf wenigen Seiten eine ganze Welt zum Klingen zu bringen ist eine hohe Kunst, auf die Judith Hermann sich hervorragend versteht. Ich finde ihre Geschichten flirrend, manchmal ein wenig mystisch oder skurril, jedoch lassen sie immer Raum – oder eröffnen einen- für eigene Gedanken. Was sie schreibt ist nicht unbedingt bequemes lese-fast-food, denn die Stimmungen, die sie heraufbeschwört, sind manchmal durchaus beklemmend. Eine interessante Autorin mit eigenem Stil, von der wir hoffentlich noch viel zu lesen bekommen!

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