Buchtipp: Momente der Klarheit

9. September 2015 von in

Der Moment, wenn man es weiß. In dem man plötzlich klar sieht, hört, fühlt und weiß, man liebt den anderen nicht mehr. Es ist ein Moment, vor dem man Angst hat, den man verdrängt und herauszögert, den man nicht herbeiholen will. Und doch: Wenn dieser Moment einsetzt, ist auf einmal alles klar, es gibt keine Abwägungen und kein Verdrängen mehr und alles, was man weiß ist, dass alles anders werden wird. Vielleicht nicht leicht, vielleicht nicht sofort gut, aber anders als bisher – und genau in diesem Moment ist man mehr bei sich als jemals sonst.

Momente der Klarheit“ heißt Jackie Thomaes Debütroman treffend, und auf ziemlich nüchterne, aber wahnsinnig befreiende Weise beschäftigt sie sich darin mit genau diesem Gefühl: „Es gibt ihn vermutlich, den magischen Augenblick, in dem die Liebe beginnt. Von ihm handelt diese Geschichte nicht.“

Was relativ unromantisch bis zynisch klingen mag, gibt beim Lesen ein besseres Gefühl, als man glauben mag. Tatsächlich habe ich lange kein so gutes und nüchternes Buch mehr gelesen wie dieses. So schwierig, traurig und hart Trennungen auch sein mögen, so mutig sind eben genau die Momente, in denen man sich für sich selbst entscheidet, anstatt bei einem Partner zu bleiben, den man nicht mehr liebt. An den man sich gewöhnt hat, mit dem man lange zusammen ist, von dem man profitiert oder den man nicht verletzen möchte – und doch ist alles besser, als dem anderen und sich selbst etwas vorzumachen.

Die Romanfiguren leben in Berlin, sind Mitte Dreißig bis Mitte Vierzig und haben alle über ein paar Ecken etwas miteinander zu tun. Da ist der Musikproduzent, der seine Freundin auf der Bar tanzend beobachtet und sie plötzlich gewollt, peinlich und alt findet. Die Frau, die unsterblich in ihre Affäre, den besten Freund ihres Mannes, verliebt ist, aber von ihm abgeschrieben wird, als es herauskommt. Der Hänger, der im Lotto gewinnt und seine Freundin plötzlich nur noch als Mittelmaß einstuft.

Es sind harte Geschichten, die genau deshalb sehr real sind. Egoistische und völlig unkorrekte Gefühle, geschürt von der Vergänglichkeitsmelancholie des mittleren Alters, in dem man irgendwo angekommen ist, aber vielleicht auf einmal ganz woanders hinwill. Die Momente der Klarheit, auf die in Jackie Thomaes Roman meist eine Trennung folgt, sind oft so erschreckend, dass man sie oft gleich wieder verdrängt. Aus Angst, aus Lethargie, aus Gewohnheit. Und hier kommt das gute Gefühl ins Spiel, das das Buch in einem auslöst: So schwierig die Situation auch sein mag, wenn der Moment der Klarheit einsetzt, beginnt etwas Neues, etwas Unbestimmtes und etwas Ungemütliches – aber man ist auf einmal frei, mutig und vor allem ganz bei sich selbst.

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6 Antworten zu “Buchtipp: Momente der Klarheit”

  1. Aber warum soll ich das lesen? Damit ich merke wie gut es mir geht? Oder damit ich erst so richtig Angst vor der Zukunft bekomme, die eben genauso wird, wenn alle Entscheidungen auf der Basis des nach „Anerkennung durch die Anderen“- Strebens getroffen wurden? Wahrscheinlich ist es wieder ein belangloses, zeitgeschichtliches Dokument, wie sie alle paar Jahre immer wieder mit ähnlicher Thematik erscheinen. Literatur ist es sicher nicht.

    • Hallo Louisa,
      witzig, das denke ich bei der Beschreibung des Romanes genau nicht.
      Dass es um Anerkennung durch andere geht.

      Meiner Meinung darum, genau diese Anerkennung abzuerkennen, in dem man sich etwas eingesteht und dadurch ein gewisses Maß an persönlicher Freiheit wiedererlangt.

      Wenn man nicht mehr zurückliebt, dann glaube ich, geht es kaum um Anerkennung durch den anderen, sondern um Zurückweisung desselben.

      Erkenntnisse -so finde ich- bringen oft Klarheit.
      Ob man aus seinen Erkenntnissen etwas macht, steht auf einem anderen Blatt.
      Selbstlüge geht schliesslich immer.

      Ich denke nicht, dass man nach dem Lesen andere Entscheidungen trifft, aber vielleicht die Realität ein Stück aus einem anderen Blickwinkel betrachtet.

      Wenn man sich traut.

      Liebe Grüsse
      Corinna

      • Das hast du sehr schön formuliert, genau so meine ich es. Klarheit mit sich selbst ist ein sehr guter Zustand, auch wenn er nicht immer aus etwas Positivem hervorgeht. Und dieser klare Blick wird sehr gut vermittelt.

  2. Oh ich wollte das Buch seit einem Monat kaufen. Dein Beitrag hat mich nur noch mehr bestärkt! Jetzt wo der Herbst kommt ist gute Lektüre doch das Beste! Freu mich sehr, wenn ihr wieder vermehrt Buch- und Filmtipps bringt. LG

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