Das Emma-Stone-Syndrom

6. Februar 2018 von in

Frauen, am I right? Interessieren sich nur für Männer, Klamotten, Schminke und dafür, was die Kardashians gerade so machen. Außer natürlich ich, denn ich bin anders – ich bin cool und entspannt. Ich liebe Horrorfilme, trinke Bier aus Dosen, schaue mit dir Fußball und fluche dabei laut, denn ich bin nicht diese Sorte Mädchen! Ich habe auch fast nur männliche Freunde weil, oh mein Gott, Männer sind so viel entspannter, da gibt’s einfach kein Drama!

Wenn euch das bekannt vorkommt und ihr vielleicht selbst schon mal so ein Verhalten an den Tag gelegt habt, dann seid ihr vermutlich Opfer des Emma-Stone-Syndroms geworden – das Manic Pixie Dreamgirl der 2010er-Jahre. Die neue Generation Zooey Deschanel. Das unerreichbare Ideal der Dekade.

 

Was macht den Typus „Emma Stone“ aus? Sie hat große Freude an Dingen, die zum männlichen Stereotyp gehören. Ihre Lieblingsserien sind Rick & Morty, South Park und Family Guy. Ihr Lieblingssender ist DMAX. Sie isst massenhaft Chicken Wings und Pommes und führt nie ernste Gespräche. Sie kann Reifen wechseln und lebt in ihrer Jogginghose. Nebenbei sieht sie unter ihrem Schlabberpulli aus wie ein Supermodel. Sie hat nie PMS und keine richtigen Gefühle – außer, wenn ihre Lieblingsfußballmannschaft spielt. Man könnte auch sagen: Sie ist wie dein bester Kumpel, nur mit Brüsten. Oder kurz: Sie existiert in der Realität nicht. Sie ist ein reines Hollywoodprodukt, so wie King Kong. Nur natürlich viel, viel gechillter. Und nicht so haarig.

Ich sage nur: Mila Kunis in „Friends With Benefits“ oder „Nie wieder Sex mit der Ex“, Anna Kendrick in „Pitch Perfect“, Sandra Bullock in „Miss Undercover“, Robin Scherbatsky aus „How I Met Your Mother“, Penny aus „Big Bang Theory“, Lindsay Lohan in „Mean Girls“, das gesamte Konzept „Avril Lavigne“, Emma Stone in ungefähr jedem ihrer Filme, und so weiter. Schusselig, lässig, entspannt, humorvoll! Dass es dieser Typus Frau in jeglichen Sparten der Popkultur zu so viel Prominenz gebracht hat, sagt etwas aus über die Art und Weise, wie Frauen gesehen werden.

I’m not like those other girls! Das ist die unsolidarische, eklige Message, die dieses wandelnde Klischee in Film und Fernsehen vermittelt. Sie ist das Girl Next Door, das du nie so richtig beachtet hast, weil du immer den blonden Girlie-Girls hinterhergerannt bist und die sich plötzlich als Traumfrau entpuppt. Sie existiert, um den männlichen Protagonisten von all den anderen, schrecklichen Frauen und von seiner Einsamkeit zu erretten. Und obwohl es an sich erstmal schön ist, dass Frauen fernab von Weiblichkeitsklischees dargestellt werden: Wenn man genauer hinsieht, ist dieser Typus Frau genauso von Sexismus durchzogen wie das blonde Blödchen – denn hier wird das gängige Klischee einfach umgedreht. Ein Antimädchen, ein Kerl im Körper einer Frau – da kommt das beste aus beiden Geschlechtern zusammen! Denn nach dieser Hollywoodlogik ist jede Frau, die auch mal rülpst oder sich für Sport interessiert „ganz anders als alle anderen“ – als wären alle anderen Frauen ein einziger, pink-glitzernder Blob, der nach Vanille riecht. Das zeugt von einer unfassbar eindimensionalen Sicht auf Frauen – und auf Männer! Denn eigentlich sollte im Jahr 2018 jedem klar sein, dass Geschlechter nicht in zwei simplen Kategorien zu fassen sind. Also lasst euch nicht verarschen: Was uns dort präsentiert wird, ist keine erfrischende, neue Sicht auf Frauen. Es ist ein Negativ derselben verkorksten Masche, Sexismus in Grün, binäres Denken par excellence.

 

Trotzdem ist der Typus längst zum Ideal geworden, und es ist leicht, darauf hereinzufallen: Denn er macht es unfassbar leicht, zu gefallen. Ein Interesse für Sport, Comics, Gangsterrap oder Horrorfilme kann leider (!) auch im Jahr 2018 noch Männer beeindrucken. Aber: Nur dann, wenn das auch wirklich deinen Interessen entspricht, solltest du diese Karte ausspielen. Sonst ist es wie damals, als ich mir mit 15 stundenlang Hardcore-Punk reingezogen habe, weil ich unbedingt krass sein wollte – aber eigentlich am Liebsten den ganzen Tag Green Day gehört hätte. Man kommt damit nicht durch! Hört Green Day, auch wenn es das Uncoolste der Welt ist (und das ist es)! Oder kurz: Whatever rocks your boat. Bei der Entwicklung deiner Interessen sollte weder dein Geschlecht noch die Interessen des Menschen, den du rumkriegen willst, eine Rolle spielen.

 

Jeder Mensch mag entspannte Gesellschaft. Aber keine reale Person kann 24/7 in der Emma-Stone-Rolle aufgehen. Denn im Gegensatz zur Drehbuch-Emma existierst du nicht nur, um irgendeinen Typen aus seiner Einsamkeit zu erretten, indem du mit ihm Videospiele spielst und ihm immer neckisch in den Arm boxt, wenn er gewinnt. Klar, du kannst es versuchen, aber mach dir bloß nichts vor: Früher oder später wirst du vermutlich vor lauter unterdrückter Gefühle ein Magengeschwür bekommen. Weibliche Gefühlsausbrüche sind immer noch so schambesetzt, dass man manchmal schon als hysterisch bezeichnet wird, wenn man etwas lauter schnaubt. Aber keine Wut ist auch keine Lösung: Und wenn du aus gutem Grund wütend bist, dann lass es um Himmels Willen raus und nimm dich nicht zurück, weil du nicht „dieses Mädchen“ sein willst: Dieses Mädchen ist ein menschliches Wesen mit Gefühlen! Und du sonst am Ende des Tages eine unglückliche Emma Stone. Gefühle zu unterdrücken, nur um möglichst zen rüberzukommen, ist ziemlich un-zen von dir. Lass es sein! Und überhaupt: Hollywood – setzen, sechs!

 

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19 Antworten zu “Das Emma-Stone-Syndrom”

  1. Der Artikel trifft den Nagel auf den Kopf! Ich arbeite in der IT Branche in einem Beruf, der immer noch größtenteils von Männern dominiert ist (Softwareentwicklung) und habe oft das Gefühl, dass einige meiner wenigen Kolleginnen sich Tag für Tag für genau ein solches „Idealbild“ verstellen, um bei den anderen, überwiegend männlichen Teammitgliedern besser dazustehen.

    Ich habe ihnen von Anfang an zu verstehen gegeben, dass ich weder ihre Nerf Gun Fights lustig finde noch jeden Feierabend mit ihnen Bier aus Dosen trinken möchte. Damit war ich dann aber auch schnell unten durch.

    Danke für diesen schönen Artikel!

    • Danke dir! Ich muss zugeben, dass ich selbst auch lange Zeit meines Lebens gewisse Interessen unter Anderem angenommen habe, weil ich gemerkt habe, dass sie mir Respekt bei Männern verschaffen – nicht unbedingt, um ihnen zu gefallen, sondern um mehr auf Augenhöhe wahrgenommen zu werden. Ich denke, je männlich dominierter ein (Arbeits-)Umfeld ist, desto schwieriger ist es, sich davon frei zu machen. Aber man darf dabei nicht vergessen: Dass Frauen überhaupt den Drang verspüren, sich auf diese Weise Respekt zu verschaffen, liegt daran, dass sie ihn von vornherein nicht haben. Man muss es sich erst verdienen, als gleichwertig wahrgenommen zu werden. Dabei helfen Nerf-Gun-Fights und Dosenbier. Leider! Es ist wichtig, nicht die Frauen dafür zu shamen, sondern die Welt, in der man sich als Frau erst Respekt verschaffen muss. (Btw – nichts gegen Frauen, die wirklich aus tiefster Seele Nerf-Guns und Bier lieben. Es ist nur schade, dass man solche Interessen nicht haben kann, ohne ein ‚Wow! Du bist ja so anders!‘ zu kassieren)
      Ich hab genau zu dem Thema schon mal einen Artikel geschrieben, da ist das ganze Problem nochmal aufegdröselt: http://www.amazedmag.de/readers-note-von-frauen-die-dosenbier-trinken/

  2. Also ich muss sagen, ich stimme nur bedingt zu. Ja, es ist nicht cool zu sagen: Ach, ich hab ja nur männliche Freunde und eh, Freundinnen? Nein, danke, sind alle doof! Und man muss auch nicht den Comicladen im Ort ausräumen, nur um einen Kerl abzukriegen. Aber ich glaube, man spricht Frauen, die sich nicht für „Männersachen“ interessieren, nicht ihre Gehirnfunktion ab, weil sie Gefühle zeigen. Das andere Extrem wird nämlich nicht wirklich als gefühlvoll, sondern als hohle Barbie dargestellt, die über einen abgebrochenen Nagel weint. (Was man tun darf, aber das zeigt noch nicht, dass man besonders emotional ist.) Man sollte Mädels, die gerne Comicläden ausrauben (mit Geld) also nicht unterstellen, dass sie das nur tun, um den Männern zu gefallen und gleichzeitig auch den „Girlies“ Clueless-Marathons und Pink nicht absprechen. Wo ich Dir recht gebe: Diese Filme und Serien werden meist von Männern gemacht. *Klischee-Klappe zu*

    • „Man sollte Mädels, die gerne Comicläden ausrauben (mit Geld) also nicht unterstellen, dass sie das nur tun, um den Männern zu gefallen und gleichzeitig auch den „Girlies“ Clueless-Marathons und Pink nicht absprechen.“ Ich raube selbst gern mal Comicläden (mit Geld) aus und erzähle keinem männlichen Wesen davon – und Clueless-Marathons mag ich auch (nur pink mag nicht so gerne, aber das hat nichts mit meinem Geschlecht zu tun)! Und ich würde weder den einen noch den anderen diese Interessen absprechen. Wie gesagt – whatever rocks your boat! Mein einziger Appell ist der, sich von Stereotypen wie diesem Emma-Stone-Typus nicht von seinem eigenen Ding abbringen zu lassen und sich nicht einreden zu lassen, wie man angeblich zu sein habe, um begehrenswert zu sein :)

  3. Spannender Artikel, der meiner Meinung nach hier ein Loch hat: „Aber: Nur dann, wenn das auch wirklich deinen Interessen entspricht, solltest du diese Karte ausspielen.“ Wenn es ihre Interessen sind, wird ja nichts gespielt. Es scheint als gäbe es für Frauen keine Möglichkeit irgendwie zu sein, ohne das Absicht/Schauspielereiunterstellt wird.

    • Danke dir :)
      Ausspielen ist nicht im Sinne von „Schauspielern“ gemeint, sondern eher das Gegenteil: Zu seinen wahren Interessen stehen und auch ruhig ein bisschen damit angeben (meistens sind sie gar nicht so außergewöhnlich, aber werden leider noch so wahrgenommen, because Stereotypen).

  4. Was für ein Hammer-Artikel! Chapeau! Der ging mir runter wie Öl, ganz ehrlich. Die Diskussionen, die ich schon zu genau diesem Thema ausgefochten habe, kann ich längst nicht mehr zählen. In meinem Bekanntenkreis leiden einige unter dem Emma-Stone-Syndrom. Da heißt es manchmal „Die x ist so ein richtiges ‚Mädchen-Mädchen'“. So mit hochgezogenen Nasenflügeln oder rollenden Augen. Nun habe ich endlich mal eine ordentliche Diagnose dieses Gebrechens, die ich beim nächsten Mal ins Feld führen kann. ;)
    Danke!

  5. Wow, super toller Artikel!

    Danke!

    Mir ist das Phänomen, bis du es so schön differenziert geschildert hast, nicht so krass aufgefallen. Klar gabs in den Teeniefilmen von damals immer die Mädchen, die so klischeemäßig mädchenhaft waren und dann auch die untypische Gegenspielerin. Ich fand diese Eindimensionalität immer langweilig und bin ebenso dafür wie Amelie, die Schubladen abzuschaffen und uns in der Vielfalt auszuleben.
    Habe mir grade überlegt, wie merkwürdig es wäre, wenn wir Frauen dieselben Sprüche raushauen würden, wenn Männer „untypische“ Hobbies, Leidenschaften und Interessen haben. Würden wir dann sagen: „Wow, du bist aber nachdenklich/feinfühlig/engagiert/ästhetisch/etc“?

    Ich werde mir mal deine anderen Link-Tipps mal durchlesen :)

  6. Ich mag Bier am Besten Spare Ribs dazu, Fußball mag ich auch und habe tatsächlich Sky deswegen abonniert. Joggingshosen und Hoodies mag ich ebenfalls sehr und „Eko Fresh-Ghettochef“ kann ich immer noch auswendig rappen. Gerade sitze ich im 50er Jahre Rock und Keilabsätzen am Schreibtisch, esse zum Abend Maisnudel (weil Glutenfrei) und leg mir die Maske gegen Falten abends auf. Warum, weil wir (Frauen und Männer) machen dürfen was wir wollen und das ist so verdammt gut.
    Schöner Text, ich habe mich wiedererkannt.

  7. […] Das bedeutet: Eine Frau, der Männer ein bisschen mehr Respekt entgegenbringen (das heißt: Sie halbwegs als ebenbürtig behandeln), weil sie „Spaß versteht“ (Das heißt: Weil man in ihrer Gegenwart diskriminierende Dinge sagen kann und sie einfach mitlacht). Eben keine Spaßbremse, eben „not that kind of girl“. […]

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