Die Kunst des Alltags & Lesetipp: Formbewusstsein

5. August 2016 von in

Es ist 7 Uhr morgens, der Wecker klingelt und ich bin wach. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die sich die kommenden zwei Stunden mit der Schlummerfunktion herumquälen. Ich gehöre zu den Menschen, die aufstehen und funktionieren, sobald der Wecker geklingelt hat. Flugmodus raus, Instagram an, WhatsApp an. Ein paar Likes und ein paar Nachrichten später gehe ich duschen und denke in der Dusche darüber nach, was ich heute anziehe. Muss ich heute Outfitfotos schießen? Welche Termine habe ich heute? Passt die neue Hose von A Kind of Guise dazu? Wie warm wird es heute überhaupt? Dann Kaffee. Der erste ist schwarz, der zweite ein Soja Cappucino. Während sich die Kaffeemaschine aufheizt, wasche ich Wäsche, sauge Staub oder räume auf. Ich hasse unordentliche Wohnungen. Der Kaffee ist fertig und ich mit ihm in der Hand am Laptop. Facebook, Twitter, Das Erste, was ist heute so los? Flüchtlinge, Erdogan, wo war ein Terroranschlag und überhaupt? Ah, heute nur das Übliche. Nebenher schreibe ich mit dem ersten wachgewordenen Freund über Feminismus und notiere mir Erkenntnisse für einen kommenden Artikel. Ich muss noch Milch kaufen, wann laufen nochmal meine eBay Auktionen aus? Reizüberflutung. Es ist 8.30.

Wenn im Buddhismus der Schüler nach den großen Fragen des Lebens strebt, entgegnet ihm der Zen Meister damit, eine Tasse Tee zu trinken. Wer die kleine Geschichte bereits irgendwo gelesen hat, der hat womöglich „Die Kunst ein kreatives Leben zu führen“ von Frank Berzbach gelesen, in dessen Buch die Metapher des Tees die Lösung des Großen und Ganzen ist. Und natürlich geht es dabei nicht um den Tee selbst. Mit seinem neuen Buch „Formbewusstsein“ baut er seine Metapher aus und gliedert sie in sechs Unterkategorien. Beschränkung, Ernährung, Liebe, Medien, Kleidung, Besitz – Themen, mit denen wir uns jeden Tag bewusst oder unbewusst beschäftigen. „Während wir uns an den abstrakten Sinnfragen abarbeiten, übersehen wir die überschaubare und gestaltbare Wirklichkeit“, heißt es in großen weißen Lettern auf dem Rücken des Buches und schon dieser Spruch erdet mich für eine kurze Zeit. Der Alltag zerrinnt wie Sand zwischen meinen Fingern, wenn ich mich über die Welt beschwere, wenn ich meine Arbeit erledige und im Anschluss meine „Freizeit“ genieße. Vielleicht in den Urlaub fahre. Nichts davon ist erdend und nichts davon beruhigend. Manchmal reicht es, sich auf die greifbaren Dinge zu konzentrieren und den Alltag zu zelebrieren. Wellness-Urlaub ist nichts dagegen.

Formbewusstsein. Sich seiner Form bewusst sein – der eigenen und der seines unmittelbaren Umfelds. Das thematisiert Frank Berzbach und es ist eigentlich traurig, wie sehr mich seine Ansätze in dem neuen Buch inspirieren, da sie bei näherer Betrachtung auf der Hand liegen. Da schlage ich mich als Freiberufler jahrelang mit dieser verdammten Work-Life-Balance herum und verstehe dann, dass die Blödsinn ist. Na toll. „…Daher muss man Arbeit und Leben nicht so sehr trennen. Es kommt dann sehr darauf an, WIE wir arbeiten. Heilsam oder krankmachend? Gehen wir mit der Energie gut um, wie halten wir Überlastung aus, was machen wir, wenn wir LEBEN?“, antwortet Berzbach auf meine Frage bezüglich dieser Work-Life-Balance, die wir alle versuchen, in den Griff zu kriegen. Er hätte mir auch sagen können, dass ich Tee trinken gehen soll, bis ich selbst auf die Erkenntnis komme. Stattdessen hat er mir Zeit erspart, meine Frage mit vier Sätzen beantwortet, und ein Buch über Alltag geschrieben.

Jeder Mensch, der sich auch nur ansatzweise mit meinem oberen Absatz identifizieren kann, lege ich Formbewusstsein ans Herz. Für all diejenigen, die vergessen haben, den Alltag zu sehen und für all diejenigen, die ihm wieder mehr Beachtung schenken wollen.

 

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