Kolumne: Der Hype-Wahnsinn

22. September 2013 von in

Ich renne durch Münchner Straßen, während unsere fünfte Saison, nämlich die Wiesn-Zeit, angefangen hat. Bei goldenem Sonnenlicht hetze ich arbeitsbedingt durch die Maximilianstraße, fühle mich wie immer nicht zugehörig, mit einer Cola in der Hand und frage mich, ob mir nun kalt oder warm sein soll. Die Sonne wärmt, der Wind ist frisch, der Himmel blau. Zwischen besoffenen Trachtenträgern, die knutschend auf dem Straßenrand sitzen oder an die nächste Hauswandpinkeln, huschen ein paar typische Münchner-Münchner vorbei. Wiesn-Zeit. In der U-Bahn stöckelt die Middle-Society in ihren Valentinos, um einen begehrten Sitzplatz zu erhaschen – in der Hoffnung, in keine Kotzlache zu treten. Die Céline-Trio-Bag zwischen dichten Gesichtern, angewiderte und abschätzende Blicke. Die einzige Zeit, in der mir die Modemenschen besonders präsent erscheinen, ist während der Wiesn-Zeit, denn in all dem Wiesn-Trubel stechen sie besonders heraus: die absoluten Übertrends der Modeszene.

Hypes gab es schon immer und wenn dem nicht so wäre, wäre Mode auch nur halb so interessant. Das Phänomen der Trapez-Tasche von Céline, der Proenza Schouler, das Phänomen der COS-Mütze aus Kaschmir, der Roshe Runs und des Kenzo Pullis. Man sieht sich, registriert sich und man möchte sich schon fast zunicken, da man wohl auf denselben Blogs herum streunt, sich mit denselben Konsumberichten zubombadiert und man die Trendgüter kennt, die anderen, die sich nicht so sehr mit der Materie befassen, völlig schleierhaft sind.

Zwar gibt es die typischen Trendteile auf den Straßen und doch – Internethypes schwappen selten in die Realität über. Was auf Bloglovin und Facebook gang und gäbe zu sein scheint, ist auf der analogen Straße eine Besonderheit und es wirkt manchmal sogar unpassend oder gar verkleidet. Manche Hypes sind Internetphänomene, Memes, und die sollen sie auch bleiben. Tumblr ist eben nicht der Marienplatz.‘
So begab es sich, dass ich kürzlich bei einem Freund zu Hause war und da war sie: die vielleicht gehypteste Kerze, seit es Facebook gibt. Zuvor hatte ich sie nur auf so ziemlich jedem Modeblog Europas und Amerikas gesehen und an diesem Tage zum ersten Mal in der Realität. Das ist sie also, die minimalistische Kerze von Maison Diptyque für 45 Euro. Der Duft muss schon bahnbrechend sein, denn wieso zum Teufel sollte man sich sonst eine Kerze im Wert von 45 Euro kaufen? Ich frage mich, wie weit Hypes gehen können. Wie es scheint, verdammt weit. Angefangen mit überteuerten Kerzen, die jeder haben möchte.

Zu meinem morgendlichen Kaffee gönne ich mir dann eine Runde Instagram, scrolle mich durch die Guten-Morgen-Fotos von Freunden, Bekannten und Unbekannten und fühle mich direkt schlecht und das schon um 8 Uhr morgens, da jeder Mensch auf der Welt seinen Tag mit Smoothies, Joghurt mit etwas Müsli und vier Scheiben verschiedener Obstsorten beginnt. Macarons waren es noch vor einem halben Jahr – jetzt hat sich Instagram auf Diät gesetzt von dem ganzen Cupcake-Zuckerschock der letzten Jahre.

Aus diesem Grund kauft sich jetzt jeder alte (oder auf alt gemachte) Einmachgläser, die als Trinkgläser, oder vielmehr als Smoothiegläser, umfunktioniert werden. Was wäre ein Frucht-Joghurt-Getränk ohne Strohhalm? Während der Otto-Normal-Verbraucher nach einem Otto-Normal-Strohhalm greift, ist die Blogosphäre dem einen Schritt voraus. Geschlürft wird ausschließlich aus dem Pappstrohhälme, die es in ganz entzückenden Printvariantionen gibt. Bevorzugt wird aber die Kringel-Variante, denn hierbei trinkt das Auge mehr als nur mit. Gehashtagt wird das Ganze dann unter anderem mit #healthy #foodporn #fashionblogger_de oder auch so etwas wie #ameliegoessmoothie. Letzteres verstehe ich nicht so ganz, schließlich wird mit großer Wahrscheinlichkeit kein Mensch auf diesem Universum jemals ameliegoessmoothie in der Suchfunktion von Facebook oder Instagram eingeben.

Wieso hashtagt ihr euch selbst?

Eines der momentan präsentesten Memes der heutigen Zeit sind die Hashtags, die an sich gar nicht so dumm sind. Dann gibt es aber viele, die nicht ganz verstehen, wie einem Hashtags von Nutzen sein kann – oder ist das Arroganz? Nicht selten kommt es vor, dass Blogger ihren Urlaubstrip mit einem persönlichen Hashtag versehen, wie zum Beispiel #ameliegoesistanbul oder #amazedholidaysinistanbul oder wahlweise auch Neologismen im Stil von #istanbulicious. Gehen diese Selfie-Hashtagger ernsthaft davon aus, dass Leser den Hashtag besuchen und jeden Schritt des persönlichen Urlaubs mitverfolgen? Denn dass Leser oder Freunde den Instagramaccount verfolgen, das ist klar, aber reicht es dann nicht, dass man einfach auf das Profil dieser Person geht und so den Fotos folgt? Was ist das nur, mit den Hashtags?

Hypes gehen über Trend- und Konsumteile hinaus und entwickeln sich zu einem einzigen Lifestyle, ein Präsentierteller, der so austauschbar ist, wie die Kaschmirmütze von COS. Trotzdem macht es Spaß, auf den Zug aufzuspringen, ein Teil des Internetphänomens zu werden, sich selbst zu hashtaggen und aus süßen Strohhälmen zu trinken – doch man sollte aufpassen, dass man die ganze Sache nicht zu ernst nimmt, ansonsten sollte sich Instagram keinen Urlaub von Macarons nehmen, sondern man sich selbst von Instagram!

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41 Antworten zu “Kolumne: Der Hype-Wahnsinn”

  1. Hahaha bei dem Teil mit dem Selfie-Hashtagger musste ich total lachen! Ist mir gar nicht so aufgefallen, aber jetzt wo du’s sagst…
    Ich bin nun auch dem Porridge-Wahn verfallen, allerdings sieht meiner meist ugly aus und hat sowieso eine Tonne Honig drin ;) Da schämt man sich ja fast schon, seine „Otto-Normal-Mahlzeit“ online zu posten, wenn es da diese zich überhübschen, perfekten und gesunden Varianten auf Insta gibt.

  2. Super geschrieben und spiegelt genau meine Meinung wieder – dieses Bio-Gesund-Getue ist so nervig! Allgemein immer besonders toll, besser, erhabener sein zu wollen, bei einigen merkt man einfach total dass es zu gewollt ist. Und dieses drappierte Essen das garantiert keiner so macht wenns nicht für ein Foto wäre….

  3. Liebe Amelie!
    Sehr interessanter und gut geschriebener Text. Vor allem das mit den Hashtags kann ich genauso unterschreiben-bei den allermeisten verstehe ich nicht, was die bringen sollen. Ich selbst benutze Hashtags auch wirklich nie und gebe diese auch nicht in ein Suchfeld ein. Und dieses ganze Cleaneating Gedöns auf Instagram geht mir auch langsam wirklich auf die Nerven. Klar ist es schön, wenn man sich mehr Gedanken über sein Essverhalten macht, aber diese Dauerpräsenz darüber im Internet nervt finde ich einfach nur noch. Ich bin gespannt, was dann als nächstes kommen wird!
    Liebe Grüße, Carolin ♥

  4. willkommen in den lilalaune oberflächlichkeiten des mode blogger instagram whatever konsums.
    ich glaube, wenn man die (kapitalistische) vernetzung mal visualisieren würde, täte sich vieles „erklären“ ;)

    am beispiel dieser kerze würde mich nebenbei bemerkt mal sehr interessieren, wie viel des „gehypten“ bezahlt/gesponsert ist.

  5. sehr schöne Kolumne, ich kann dir nur zustimmen. auch ich habe schon sogenannte gehypte Teile gekauft, weil ich sie auf einem Blog gesehen habe, zum Beispiel habe ich Antonia die Nike Victorias nachgekauft. ich finde es super, wenn man sich so inspirieren lassen kann und etwas kauft, das auch wirklich zu einem passt. zu oft scheint jedoch dadurch die Persönlichkeit und der eigene Stil einer Person darunter zu leiden, da einfach wahllos kopiert wird. ich finde es immer wieder lustig, wenn man sieht, wie bestimmte Bloggerinnen plötzlich alle die gleiche Hose (oder Tasche, oder…) tragen, die dann aber nach ein paar Wochen schnell im Tictail Store landet…

  6. toll geschrieben, so vieles erkenne selbst ich wieder.
    sich selbst zu hashtagen bleibt mir auch ein rätsel.

    hinter allem steckt aber wohl ein unglaubliches konkurrenzdenken, immer das schönste/außergewöhnlichste/gesündeste outfit/essen/leben zu haben. sich von blogs/instagram inspirieren zu lassen, und wirklich zu filtern, was selbst zu einem passt und womit man sich wohlfühlt, ist wohl die größte herausforderung dabei, und bestimmt die wenigsten schaffen es, ihre authentizität zu wahren.

    das soll mitnichten kritik sein!!! eher so, ein bisschen drumherum gedacht…

    liebe grüße!

  7. Hahahahaha – du triffst es immer auf den Punkt. Otto-normal-Strochhalme – unglaublich! Und diese Papp-Dinger kosten ja auch ein Vermögen!

    Aber gerade deswegen lese ich so gerne euren Blog – ihr bleibt alle authentisch. Man glaubt euch, lässt sich inspirieren und nimmt sehr gerne (sinnvolle) Tipps mit – vielen Dank und weiter so!

  8. Den Artikel hast du richtig toll geschrieben und so erfrischend ehrlich!! Weiter so :)!
    Und dass alle plötzlich auf dem Healthy-Trip sind, geht mir auch ein wenig auf die Nerven. Ich probiere mich schon seit Jahren gesund zu ernähren, dank meiner Mama und meiner Laktoseintoleranz(natürlich kann sich kein Mensch ausschließlich gesund ernähren, außer die Super-Disziplinierten und das bin ich bei Pizza schon mal gar nicht). Trotzdem, früher wurde man schief angeguckt, dass man versucht gesund zu essen, beim Bio-Laden oder Markt einkauft. Heute ist man auf einmal mitten im Mainstream. Und da soll einer nicht verwirrt sein!
    Trotz allem ist der Trend des bewussteren Essens doch im Gegensatz zu Konsumgütern wirklich mal sinnvoll! Vielleicht merken die Leute auch, dass sich das richtig lohnt und gewöhnen sich den Trend dauerhaft an! Eat clean! :D

    • Ich hoffe auch, dass sich die Menschen den gesunden Lifestyle angewöhnen. Und dass da so eine Trendwelle aufkommt ist ja eben nicht unbedingt schlecht, wie im Text auch gesagt. Ich finde es super, wenn sich alle gesünder ernähren – nur sollen sie das für sich tun und nicht extra irgendwas für Instagram drapieren (so sieht es irgendwie oft aus haha).

  9. Schon wieder DANKE! Für diesen artikel!! Und btw auch danke für EURE Rezepte, die für mich ein echtes antidote zu diesem pseudoessen darstellen, ich liebe sie! Und mal ganz ehrlich – wird irgendjemand von dem cleaneatingzeugs satt? Nicht vergessen, ohne kohlenhydrate funktioniert gar nichts richtig, vor allem aber sind keine akademischen höchstleitungen kaum möglich, die manche eben doch noch bringen müssen…

  10. Sind akademische Höchstleitungen kaum möglich wollte ich schreiben! Da seht ihrs – noch nicht gefrühstückt und es reicht nicht mal für einem kommentar bei mir! Hehe

  11. Kluger Hammerartikel!! Du hast wirklich einen gute Blick und eine tolle Schreibe!
    Ich musste bei der Stelle über die Diptyque-Kerzen in natura so lachen -mir ist das auch genau so ergangen, als ich sie bei einer lieben Benkannten zum ersten Mal „in Echt“ gesehen habe.

  12. Wirklich sehr erfrischender Artikel! Musste sehr schmunzeln, da man sich doch auch ein paar mal wieder erkennt, hehe.

    Zum Kommentar von Louisa: Warum sollte man von Clean Eating nicht satt werden? Clean Eating bedeutet nicht auf irgendwas zu verzichten, schon gar nicht auf Kohlenhydrate :)

  13. Erstmal: Super geschrieben, bissig aber nicht verbissen. Chapeau!
    Bei den COS-Mützen habe ich mich ertappt gefühlt. Und anschließend sämtliche überteuerten Roshe Run eBay-Aktionen aus meiner Merkliste gelöscht…Manchmal braucht es nur einen Schlag auf den Hinterkopf, danke dafür!

  14. Mal wieder eine fabelhafte Kolumne, der nichts hinzuzufügen ist. Ich muss gestehen, dass ich auch manchmal ein bisschen erschrocken bin, wen ich aus meiner Social Media Blase austrete… Da merkt man erst mal, wie tief man eigentlich in diesem ganzen Kram drin steckt. Aber… I like;)

  15. Ich musste so lachen bei Deinem Text, wirklich einmalig geschrieben! Und zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich alle vier Teile (bis auf die Proenza Schouler Tasche) von Deinem Foto besitze, schluck (einschliesslich der COS-Mütze in vier Farben, verschluck).

  16. Super Artikel! Ich habe mich durchaus ertappt gefühlt ;)

    Ich finde gesund ja im Prinzip gut, aber durch das ganze Healthy, Low Carb, Ohne Gluten – Zeug wird man auch oft nicht mehr ernst genommen. Ich leide zum Beispiel tatsächlich unter einer Lactose-, Fructose- und Glutenunverträglichkeit, aber durch diesen ganzen Hype werden diese Unverträglichkeiten immer mehr zur Volkskrankheit und nicht mehr wirklich ernst genommen, da „es ja jeder hat oder glaubt es zu haben“.
    Finde ich etwas schade, da ich es mir zumindest nicht ausgesucht habe.

    Hier noch ein Link zum Instagramphänomen – wirklich zum Totlachen, vielleicht kennst du ihn schon: http://www.lipglossladys.com/2013/09/die-insta-doku-soap.html

    LG & bitte weitere Kolumnen :)

  17. Ich brech jetzt mal ne Lanze für Instagram: Ich liebe die ganze Bandbreite an morgendlicher Instagram-Inspiration, erst Recht hinsichtlich der ganzen „Ich ernähre mich gesund“-Posts. Eine Erfahrung die ich in den letzten 30 Tagen während meiner „Vegan for Fit“-Challenge gemacht habe: 99% der Menschheit denkt außer Salat könnte nichts mehr auf dem Teller landen.
    Das Gegenteil ist der Fall und eben das wird tagtäglich mit tausenden Smoothie-, Pancake- und Overnight Oats-Posts bildlich untermalt. Wer sich bei seinem morgendlichen Nutellabrot deswegen ertappt fühlt, der sollte sich entweder inspirieren lassen oder weiter scrollen und sein Frühstück genießen. Schlecht fühlen ist da völlig fehl an der Stelle, schließlich hat es jeder selbst in der Hand :)

  18. Wie mich die ganzen Sojaschnitzel-Nussmus-Smoothie- Nazis nerven. Ich könnte wetten, dass das genau die sind, die im Schutze der Dunkelheit einen BigMac verdrücken. Ich ernähre mich nämlich seit vielen Jahren bewusst gesund und hatte noch nie das Bedürfnis, meinen Smoothie in ein vintage Glas zu füllen und ein Bild davon bei Instagram reinzustellen. Vielleicht weil ich mich nicht erst selbst davon überzeugen muss, das „Richtige“ zu tun.
    Mit Cupcakes und Starbucksbechern war es aber das Gleiche, und die Leuten haben sich inzwischen beruhigt, hoffentlich ebbt die neue Vegan-Lowcarb-Welle auch bald ab.

  19. Endlich spricht es mal jemand aus, was ich seit Monaten denke. Vielen Dank dafür. Ich musste deswegen echt ein paar Bloggerinnen entfolgen. Dann diese Inszenierung. Als hätten alle dafür extra ein kleines Fotostudio eingerichtet, dass alles weiß, clean und sauber ist und ich frage mich dann nur, wofür das alles. Ok, viele Geschenke und Werbeeinahmen für die nächste Céline Tasche oder den nächsten Zara Heels, damit die blonden und anderen Bloggerinnen aus München und anderswo das nächste top inszenierte Foto machen können.

    PS. Danke, dass ihr euch davon abhebt.

  20. […] Outfit: Antonia im Kleid zu sehen ist schon etwas besonderes, und dann sogar in einem Dirndl – ich finde den Anblick ganz wunderbar! Den minimalistischen Kontrast setzt Amelie mit ihrem neuen Ganni Mantel zur blauen Bluse, und vor allem in den Mantel bin ich genauso verliebt wie sie. Amelie, wenn du ihn mal nicht mehr magst, gell..? Filme: Sonntagsfilmtipps sind bei mir immer willkommen, und vor allem von Menschen mit einem guten Filmgeschmack. Den hat Amelie auf jeden Fall, Léon, der Profi habe ich mir schon angeschaut, Harold & Maude folgt. Kolumne: Über die absurdesten Hypes in der Internetwelt müssen wir immer wieder lachen – es wurde höchste Zeit, dass der ganze Unsinn mal in Worte gefasst wird. […]

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