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Kolumne: Der schnöde Alltag

7. Mai 2018 von in

Als ich vor Kurzem aus dem Oman nach Hause kam, kribbelte es in meinen Fingern: Die Wohnungstür sperrte ich am Freitagabend zwar noch alleine auf, als ich aber am nächsten Morgen aus dem Tiefschlaf geklingelt wurde, stand mein Freund vor der Tür, frisch gelandet aus Indonesien, wo er die letzten drei Wochen verbracht hatte. Voller Urlaubs- und Aus-dem-Alltag-raus-Gefühle sahen wir uns endlich wieder, zwei komplett freie Tage vor uns, die auch noch mit 26 Grad und Sonnenschein gefüllt waren. Bis Sonntagabend war die Welt in Ordnung, noch ein bisschen mehr als sonst sogar, denn selten ist man euphorischer als nach einer Zeit des Vermissens, und wenn dieser Moment dann auch noch auf die allerersten Sommertage fällt.

Doch dann kam der Montag, wie er eben immer kommt, und als wir uns abends nach der Arbeit wieder zu Hause trafen, verblieb kaum eine halbe Stunde, bis wir tief und fest auf dem Sofa eingeschlafen waren. Ungefähr genauso ging es die nächsten Tage weiter, denn der Jetlag paart sich nach intensiven Urlauben mit einem Missmut, einem Motivationsloch und der Aussicht auf nichts als Alltag, so weit man sehen, denken und fühlen kann.

Nichts als Alltag, so weit man sehen, denken und fühlen kann.

Dieses Gefühl hatte sich lange schon nicht mehr eingeschlichen. Denn die letzten Monate, so weit ich gefühlsmäßig zurückdenken kann, waren erfüllt von all dem, was ein Umzug aufrüttelt und mit sich bringt. Die Entscheidung und die unsägliche Wohnungssuche, die Zusage und der Planungsbeginn, das Zusammenpacken, Neuregeln, Ummelden, Umziehen, Auspacken und Einräumen, das sich alles viel mehr zieht, als man denkt. Und danach das neue Ankommen in einer neuen Welt, die auch nur ein anderes Viertel sein mag, das plötzlich aber jeden Schritt nach draußen in völlig neuem Glanz erstrahlen lässt und jeden Alltagsmoment besonders macht.

Auf all die Aufregung folgt die Eingewöhnung, es entstehen wieder ganz neue Kräfte, die man lange nicht gespürt hat oder für etwas anderes als Pflichterfüllung koordinieren konnte, und ganz plötzlich ist da wieder Energie und Raum für all das, was Abwechslung bedeutet. Man fliegt wieder aus, man will die Welt sehen und erleben, und dann kommt er, der Montag nach der Traumreise, an dem etwas losgeht, das man gar nicht mehr richtig kannte: der Alltag.

Wenig macht mehr Angst, als die Eintönigkeit der Pflichterfüllung, die einen tagsüber unter Stress versetzt und einem abends die Energie raubt. Im Alltagstrott will niemand landen, doch kurioserweise führen die intensiven Ausbrüche daraus einen erst wieder richtig dort hin. Die Umstellung von Freiheit und Abenteuer zu Terminen und Routine ist das, was sich ganz besonders schwierig anfühlt, doch ist die Realität am Ende halb so schlimm. Denn natürlich wachsen mit dem Älterwerden auch die Pflichten, aber selbst mit vollen Tagen, an denen man viel leistet, kommt das Leben nicht zwangsläufig zu kurz.

Es erfordert vor allem aber eine andere Herangehensweise. Auf Reisen glücklich zu sein, ist nicht allzu schwer. Man ist frei von Sorgen und Verpflichtungen, erlebt durchgehend neue Abenteuer oder lässt die Seele in völliger Freiheit baumeln, alles garniert von einer großen Portion Adrenalin und Euphorie, die nicht aufhören wollen. Wieder zu Hause hat man erstmal Entzugserscheinungen, Angst, funktionieren zu müssen, und mag auf den ersten Blick nichts anderes sehen als Pflichten an jeder Ecke.

Die große Lebenskunst ist nicht, auf Reisen glücklich zu sein. Sondern im guten, alten, schnöden Alltag.

Die große Lebenskunst ist allerdings nicht, auf Reisen glücklich zu sein. Sondern im guten, alten, schnöden Alltag. Denn auch, wenn es sich im ersten Moment nicht so anfühlen mag, wenn das Herz noch halb im Urlaub hängt, auch wenn wir arbeiten gehen, unsere Wohnungen putzen, zum Supermarkt müssen und unser Leben schaukeln, haben wir unseren Alltag selbst in der Hand.

Sonnenuntergänge gibt es auch zu Hause, man muss nur aufstehen, auf das nächste Parkhausdach steigen und eine Picknickdecke einpacken. Müde Abende sind keine verschenkten, sondern gemütliche Stunden in der Badewanne oder gemeinsam mit einem neuen, selbstgekochten Essen oder einem richtig guten Film. In jedem noch so bekannten Viertel versteckt sich ein Café, das man noch nicht kennt, ein kleiner Laden voller Souvenirs aus der eigenen Stadt oder ein Park mit weichem Gras unter den nackten Füßen.

Das Leben ist viel mehr als Alltag, der von Urlaub durchbrochen wird. Die wahre Herausforderung ist, es so anzunehmen, wie es ist, und das beste aus jedem Tag zu machen. In der Arbeit keine Sehnsucht nach etwas anderem zu haben, sondern die Arbeit anzunehmen. Aus jeder Begegnung etwas Positives in den Tag mitzunehmen. Auf die eigene Kraft und die Bedürfnisse hören, und die Freizeit danach gestalten. Jede Woche mit kleinen Erlebnissen bereichern, die besonders glücklich machen. Und jedem Tag mit so wenigen Erwartungen wie möglich begegnen, denn dann kann er nur ein Guter werden!

 

 

 

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2 Antworten zu “Kolumne: Der schnöde Alltag”

  1. Toll geschrieben. Und so wahr. Man muss sich tatsächlich im Alltag die kleinen Dinge schnappen und diese schätzen lernen, sonst wird man ja verrückt. Sich einander vorzulesen zum Beispiel hilft uns dem Alltag zu entfliehen.

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