Kolumne: Tausche Coolness gegen Erwachsensein?

1. Juni 2017 von in ,

Ich glaube, es ist passiert. Ohne es zu bemerken, bin ich erwachsen geworden. Vielleicht sogar hin und wieder ein ganz kleines bisschen spießig. Und das schlimmste an der Sache ist: Ich finde es gar nicht schlimm. Ich mag es. Ist das nun also das Ende meiner Coolness?

Fragt man meine Nachbarskinder: ja! Denn tatsächlich haben wir seit Neuestem einen Deal. Die Kids finden das Garagendach neben meiner Wohnung nämlich super. Das kann ich auch verstehen, es ist abseits der Erwachsenenzone, es ist groß und vor allem so wundervoll laut, wenn man mit dem Stock drauf rumhaut. Als Kind wäre ich als erste die Mauer hochgeklettert und hätte dort meine Nachmittage verbracht. Mittlerweile scheitert es wahrscheinlich am grazilen Hinaufklettern an Ast und Mauer, aber das Dach war bis vor Kurzem für mich einfach nur ein Dach. Bis die Kids es entdeckten – und es zum neuen „Abenteuer-Spielplatz“ umfunktionierten.

Wenn man nebenan im Home-Office sitzt, will man am liebsten eines: den Laptop aus dem Fenster werfen und mitspielen. Funktioniert leider nicht, deswegen musste schnell ein Deal her. Nach kindlichen Diskussionen a la „hey Jungs, ich arbeite, können wir irgendwie ne Regel finden?“ „Du arbeitest nicht, du stehst im Garten“ „Ja, da hast du Recht. Aber so eigentlich muss ich da drin arbeiten.“ „Mir egal – hihihihi“ haben wir es geschafft: Bin ich nicht da, dürfen die Jungs rauf aufs Dach und Krach machen. Bin ich da, ist nur lesen, quasseln oder der Spielplatz um die Ecke cool.

Aber: Ich kam mir unendlich doof vor. So unsäglich spießig, dass ich die große Spielverderberin sein musste – wo ich die Jungs doch so gut verstehen konnte. Leise Sätze wie „Nein, nicht aufs Dach, sonst wird die Frau grantig“ schmerzen mich noch immer. Denn ich bin jetzt die Frau. I feel you, boys, und trotzdem muss ich meinen Job machen. Nach einer Runde Realitycheck im Freundeskreis war die Meinung: „Alles cool, ein Deal ist doch super.“ Okay. Willkommen in der Erwachsenenwelt.

Geht es um Thema Job und Selbstmanagement bin ich wohl schon länger erwachsen, schließlich arbeite ich seit über elf Jahren hauptberuflich als Journalistin. Mache meinen Steuerkram, organisiere mein Leben und bekomme das alles mehr oder weniger gut hin. Ein weiterer Schlüsselmoment meines Erwachsen-Daseins war jedoch, als sich eine gewisse Ruhe einstellte, nachdem ich meine Steuer sortiert und eingeordnet hatte. Keine Zettelwirtschaft mehr – wie noch vor einem Jahr. Was andere wahrscheinlich schon seit Anfang 20 machen, war mir immer ein Graus. Plötzlich fühlte ich mich sagenhaft erleichtert, geradezu mit Glücksgefühlen durchgepustet. Bürokratische Ordnung im Haus – here I am.

Next step: Ich habe meine Wohnung gestrichen. Einfach so. Ich ziehe nicht um, ich stelle nicht um. Ich empfand, es war an der Zeit. Als Studentin hätte ich das nie gemacht, bis vor einem Jahr hätte ich noch den Kopf geschüttelt und gesagt: so einen Stress? Einfach so? Jetzt stehe ich in meiner glänzend weißen Wohnung und liebe es.

Und zu guter Letzt: Ich stehe gern früh auf. Meine Mutter wird sich jetzt tot lachen, aber seit einem Jahr stehe ich geregelt um halb 8 Uhr morgens spätestens auf. Ich mache eine Runde Yoga, dusche, frühstücke und starte in den Tag. Selbst am Wochenende bin ich neben dem Rentner an der Kasse manchmal die erste. Wie das passiert ist? Keine Ahnung – mich hat der ständige Zeitdruck gestresst. Ich wollt entspannt in den Tag starten – und ihr werdet es nicht glauben, aber beim Schreiben dieses Satzes muss ich selbst lachen. Ja, ich bin wohl wirklich erwachsen.

All das sind nur kleine Beispiele, die mich in letzter Zeit manchmal fast verwundert über mich selbst ansehen haben lassen. Ist das die Toni, die ich kenne? Denn nach der klassischen Definition – nämlich der Fähigkeit sein Leben mit all den erworbenen Kenntnissen und Erfahrungswerten geregelt zu kriegen – bin ich schon länger erwachsen. Doch seit gut einem Jahr fühlt es sich auch so an. Ich mag mein Leben. Vielleicht ist es auch die Ruhe, die sich einstellt, nach der wilden Achterbahnfahrt in Sachen Liebe, Job und Selbstfindung in den 20ern. Wenn man plötzlich weiß, wo man steht – und vor allem ganz wunderbar mit seinem Leben klarkommt. Vielleicht ist erwachsen auch das falsche Wort – und spießig sowieso. Und selbst wenn: Negativ konotiert muss das Ganze ja gar nicht sein. Denn noch immer gibt es die Nächte, an denen ich im Morgengrauen heimkomme, die Tage, an denen ich meine Belege in irgendeine Ecke pfeffere oder Essen bestelle, weil ich es vercheckt habe, einzukaufen.

Vielleicht bin ich angekommen, bei mir. Weiß, was ich mag und wer ich sein will. Wohin ich will und was noch getan werden muss. Vielleicht ist das auch richtig cool?

Als ich letztens im Hof stand, schimpfte übrigens eine Oma mit den Kids und meinte: „Ihr dürft da überhaupt nicht drauf, runter mit euch.“ Verängstigt stiegen die Jungs hinab, ich war auf dem Sprung. Mit großen Augen blickten sie mich an und fragten: „Dürfen wir wirklich nicht hoch?“ „Doch, wegen mir schon. Denn wir haben einen Deal. Ich geh jetzt, also rauf mit euch.“ Mit High Five und glücklichen Gesichtern wurde ich verabschiedet. Erwachsensein ist gar nicht so schlimm.

 

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11 Antworten zu “Kolumne: Tausche Coolness gegen Erwachsensein?”

  1. Liebe Antonia,
    der Post ist wunderbar. Erwachsensein klingt gleich immer so spießig und spaßbefreit, sodass sich in den Zwanzigern niemand erwachsen nennen will – obwohl wir es doch alle schon ein Stück weit sind. Auch ich hatte immer Angst davor, „groß zu werden“ (werde bald 24) und nicht mehr so viel Spaß zu haben. Pustekuchen, ich verdiene mein eigenes Geld (dieses Erwachsensein fühlt sich toll an), habe mich weiterentwickelt und bin im tiefsten Inneren doch ich selbst geblieben. Das ist glaube ich das Wichtigste, dass man immer weiß, wer man ist.
    Vielleicht bist du für die Jungs jetzt eine coole Erwachsene, sodass es gar nichts mehr Schlimmes hat. Ich finde, du hast ihnen gezeigt, wie lässig man als Erwachsener sein kann. Großartig!

    • Liebe Elena!
      Danke <3
      Hach, dein Kommentar freut mich so - weil ich es genauso sehe. Man verdient sein eigenes Geld, ist selbstständig, entwickelt sich weiter und bestimmt selbst wer und was man sein will. :)
      Ich glaub, manchmal finden mich die Jungs immer noch doof haha - "warum musst du von Zuhause aus arbeiten?" - aber damit kann ich leben ;)
      Danke :)

  2. Toni, ich glaube du bist die coolste Garagendach-Nachbarin der Welt. :) Nein mal ehrlich, herzlichen Dank für diese tolle Kolumne und deine fabelhaften Worte. I feel you. Aber sowas von. War man früher ständig auf der Sinnsuche, hat sich der Schleier mittlerweile etwas gelichtet und man sieht so viele Dinge klarer. Das eigene Geld verdienen, wissen, was einem gut tut und wovon man weniger in seinem Alltag sehen möchte, sich weiter entwickeln und trotzdem liebgewonnene Rituale und „Macken“ beibehalten – ich glaube, Erwachsenwerden (ist mir lieber als Erwachsensein, denn wir stecken ja nicht im Stillstand fest) ist ziemlich cool.

    Sonnige Grüße aus Hamburg von einer, die die lauten Nachbarskinder vor ihrem Erdgeschossfenster auch schon einmal vertrieben hat.
    Nori

  3. Dieses „erwachsen“ sein ist bei mir einfach zu einem Bewusstsein geworden, dass ich mir manchmal Gutes tu indem ich eben schmerzhaft früh aufstehe und Sport treibe. Das „Müssen“ ist weniger geworden und hat sich irgendwie mehr zu einer Art Investition in mein Wohlbefnden entwickelt. Ich stehe selbst zu Dingen die ich früher spießig fand und weiß, das ist ok! Das zu sich stehen, das füher so anstrengend war, wird mit dem Alter irgendwie immer leichter…

    • Ohja! Das ist eine gute Umschreibung – das „müssen“ wird ausgetauscht mit „wollen“. :) Die Prioritäten verlagern sich und man ist mehr bei sich :)

  4. Abgesehen davon, dass alles sehr nachvollziehbar ist, ist der Text einfach wunderbar geschrieben. So präzise, wortgewandt und mit viel Herz … Ich hab alles vor mir gesehen und am Schluss gedacht, dass ich von Dir sehr gerne ein Buch lesen würde.
    Liebe Grüße und schöne Pfingsten
    Katharina

  5. Oh wow, der Post ist einfach ganz wunderbar! Ich war richtig glücklich über die letzten Worte, dass die Kids Dank dir wieder glückliche Gesichter hatten – da bist du für die bestimmt die allercoolste Nachbarin mit angrenzendem Garagendach die es gibt!
    Aber zum Thema „Erwachsen-“ statt „Cool-Sein“ bin ich einfach nur begeistert von dieser Kolumne und deine Worte! Ich kann mich hineinversetzen, wiederfinden, manchmal denken – Mensch so weit bin ich nicht (Stichwort Zettelwirtschaft) – und mich einfach freuen, dass es Menschen wie dich gibt, die das Ganze so treffend beschreiben und adressieren! :-)
    Danke dafür und liebe Grüße,
    Jacqueline

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