The Talk: Von schönen Momenten und dem Loslassen

8. Juli 2016 von in

Ich bin nicht gut im Abschied nehmen. Tschüss sagen zu schönen Momenten, abschließenden Situationen oder Menschen, mit denen ich viel verbinde, fällt mir nicht leicht. Schon immer. Sie lassen mein Herz schmerzen.
Wenn wir als Kinder in den Urlaub fuhren, sprang der Rest der Familie vor Vorfreude in der Wohnung umher, packte die Koffer und konnte die Abfahrt kaum erwarten. Ich hingegen herzte nochmal alle Kuscheltiere, die ich nicht mitnehmen konnte, und hatte ein schweres Herz. Eine Woche weg von meinem geliebten Zuhause, von Freunden und der Katze.
Im Urlaub selbst vergaß ich schnell den Kummer. Bis zum Abreisetag, denn dann schlich sich wieder diese süße Melancholie in mein Herz. Und ich sehe mich noch heute in der Toskana stehen, einen letzten Blick auf die Chianti-Berge werfen, die Luft einatmen, noch einmal meine Umgebung aufsaugen. Den Abschiedsschmerz spüren. Und wenn es nur eine Woche Urlaub war.

Schöne Erlebnisse, prägende Erinnerungen und nahe Menschen lasse ich nur schwer los. Jedes Mal zuckt das Herz, wenn es heißt loslassen. Mal mehr, mal weniger. Wenn der Mais so hochsteht, dass das Sommerende sich ankündigt. Wenn auf der Wiesn die Lichter ausgehen, alle nochmal gemeinsam ein Lied anstimmen, als der Morgen nach meiner Geburtstagsfeier anbrach. Aber auch als ich das Abitur machte und das letzte Mal die Schule betrat. Oder ich nach zwei Jahren Redaktionsvolontariat zu meinen liebgewonnenen Kollegen Tschüss sagte. Das Schöne vergeht. Zurück bleibt die Erinnerung und der bittersüße Schmerz, dass es niemals mehr so sein wird.

Die Vergänglichkeit von Zeit wird einem in Momenten des Glücks so sehr vor Augen geführt, dass man nur zu gerne daran festhalten möchte. Mit jeder Sekunde auf der Bühne stirbt man – niemals mehr kann ein Stück in dieser Weise aufgeführt werden – weil Rezipient wie Produzent nicht mehr die selben sind. Ähnlich verhält es sich mit dem Leben.

Weine nicht, weil schöne Tage vorüber sind, sondern freue dich, dass es sie gab. – Unbekannt.

Manche Momente erscheinen so perfekt, so gut, dass es schwer fällt, loszulassen. Auch eine Wiederholung ist unmöglich. Und immer dann sind Menschen oder die Umgebung beteiligt, niemals jedoch materielle Dinge.
„Sammle Erlebnisse, nicht Dinge“ heißt es immer philosophisch auf Instagram. Ich liebe alle meine Besitztümer, aber in Momenten des großen Glücks oder der schweren Trauer war es meist das Materielle, das als erstes hätte bedingungslos weichen können, wenn ich doch nur dieses Glück festhalten oder diesen Abschied hätte verhindern können.

Loslassen tut weh – und ist dennoch wichtig. Im Kleinen wie im Großen. Das Glück ziehen lassen, um es erneut zu erleben. Oder bewusst sich gegen etwas entscheiden. Dann wenn uns Menschen nicht gut tun. Eine Freundschaft sich als falsch entpuppt, eine Liebe nur noch Kraft raubt, statt Glück bringt. Dann wenn der Job einen auffrisst und man erstmal herausfinden muss, was man wirklich will. Und dann, wenn ein Ort plötzlich kein Zuhause mehr ist. Dann heißt es weiterziehen, so sehr das Herz schmerzt. Die schönen Erinnerungen in einen Koffer packen, die schlechten am Boden liegen lassen, die Erfahrung mitnehmen und die Tür hinter sich schließen.

Das Loslassen schmerzt – schließlich gibt man etwas auf. Doch niemand weiß, was hinter der nächsten Kurve wartet. Ein neuer Freund? Eine tolle Beziehung? Ein großes Glück? Die neue Stadt? Oder einfach der nächste Sommer oder Urlaub.
Und am Ende ist es so wie damals in der Toskana: Auf dem Weg hinab die Chianti-Berge verdrückte ich heimlich die ein oder andere Träne. Auf der Autobahn Richtung Brenner jedoch kitzelte etwas anderes am Herz. Ich glaube, es war die Vorfreude auf das, was kommt.

Photocredit: Unsplash.com/Maria Orlova

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13 Antworten zu “The Talk: Von schönen Momenten und dem Loslassen”

  1. ein richtig schöner Text, in dem ich mich absolut wieder finde! Loslassen fällt mir extrem schwer, ganz besonders auf Reisen und noch schwerer, wenn man dort neue Leute kennen lernt, die man ins Herz geschlossen hat. Noch größer ist bei mir aber der „Fernweh-Schmerz“, wenn man das so sagen kann, umso trauriger bin ich eben, wenn es von Reisen zurück in die Heimat geht. Dafür ist es um so wichtiger, auch dort die kleinen Dinge, schöne Abende mit Freunden oder den Sonnenuntergang auf dem Feld zu genießen :)
    liebst kati <3
    http://www.katiys.com

  2. Soo gut geschrieben!!
    Mir geht es sogar bei Dingen so, die nicht mal richtig gut waren, aber wenn sie vorbei sind, ist es trotzdem komisch.

  3. Ein wunderbarer Text, ich hatte Gänsehaut.
    Ich habe mich die ganze Zeit über wieder erkannt. Mir fiehl es als Kind auch immer schwer vor dem Urlaub mein Zuhause, Oma, Opa und die Kuscheltiere zurück zu lassen.

  4. Liebe Antonia,
    Deine Worte berühren mich, weil ich ähnlich ‚ticke‘. Es ist immer ein wenig Melancholie in der Freude („Wermutstropfen“), und ein wenig Freude in der Melancholie („Vorfreude“ oder „Erleichterung“). Vom Loslassen werden wir glaube ich immer dann belastet, wenn wir besonders bemüht sind, etwas / einen Zustand, eine Sache, einen Menschen, festzuhalten. Was mir nicht gehört (in echt oder vermeintlich), das kann mir auch keiner nehmen. Loslassen ist komplett unnötig, wenn ich das beherzige… Aber da wir Menschen sind, und schöne Dinge/Menschen/einen Zustand oder eine Sache festhalten wollen, wird uns auch lebenslang das Loslassen beschäftigen… Vielleicht gilt es, in diesem Punkt Frieden mit sich zu schließen ;-)

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