Let’s talk about Aids, Baby!

20. April 2016 von in

Phillip hat HIV, seit er mit 13 durch eine Bluttransfusion angesteckt wurde. Er wurde älter, hatte irgendwann Sex und natürlich irgendwann ungeschützten Sex. Die ersten paar Male übersah er – wird schon nix sein. Irgendwann mit 25 beschloss er nach etlichen Malen ungeschützten Sex, einen Test zu machen.

Sein Virus war noch nicht ausgebrochen. Phillip wurde geheilt, er hat einen Sohn und eine Frau. Ich habe ihn kürzlich zufällig mit seiner Familie an der Leopoldstraße gesehen – glücklich Cityroller fahrend. Phillip hatte Glück. Jede einzelne Person, mit der er ungeschützten Sex hatte, nicht.

Ich sehe die „Gib Aids keine Chance“ Plakate an jeder Straßenecke – mittlerweile sehe ich aber nicht mehr viel mehr, als ein paar Kondome und ein schlechtes Stock-Foto. Über Aids zu sprechen ist out. HIV ist mittlerweile eh quasi heilbar und außerdem eigentlich nur in der Schwulenszene verbreitet. Einmal ungeschützter Sex ist keinmal. Wird schon nix passiert sein.

Als ich die Geschichte gehört habe, habe ich sofort einen Test machen lassen. Mein letzter ist eine Weile her – ich gehöre zu den Kandidaten, die sich irgendwie so durchwuseln und das Thema halb verdrängen und halb korrekt behandeln. Aber halb ist eben nicht ganz und halb ist außerdem lebensgefährlich. Und zwar nicht nur für dich selbst, sondern für alle unwissenden Menschen, mit denen du besoffen das Kondom verpennst.

Die zwanzig Minuten, in denen ich auf die Antwort wartete, waren die Hölle für mich. Diesmal – zum ersten Mal – nicht, weil ich Angst hatte, selbst Aids zu haben. Sondern weil ich Angst hatte, das Leben von Menschen auf dem Gewissen zu haben. Ausreden, mit denen ich mich beruhigt habe, wie „Die Wahrscheinlichkeit ist so gering“, „Es könnte schließlich immer was im Leben passieren, ich könnte morgen überfahren werden“, und natürlich „Wird schon nix passiert sein“, waren vollkommen nutzlos und klangen so naiv und dumm. Was früher reine Routinemaßnahmen waren, war an diesem Tag überraschend bedrohlich. Aber in Zeiten von Schnelltests, musste ich doch immerhin keine Woche bangen, sondern nur wenige Minuten.

Die Sprechstundenhilfe sah meine Nervosität und versuchte mich zu beruhigen. Sie erzählte mir, dass sich in meinem Alter fast keiner testen lassen würde – das Test-Publikum beginnt im Schnitt erst ab 30. Das beruhigte mich weniger, als dass es mich schockierte. Da werden wir seit der 7. Klasse in Sexualkunde aufgeklärt und dann kriegt es keiner von uns auf die Reihe, nach ungeschütztem Sex einen kostenlosen und anonymen Test zu machen. Man darf vieles aus der Schulzeit vergessen, aber das war eines der wenigen Fächer, die tatsächlich wichtig gewesen wären, Freunde!

Was wäre wenn? Diese Frage ging mir nicht aus dem Kopf, bis das Ergebnis vor mir lag: negativ. Ich verließ das Gebäude und obwohl ich mich wieder normal und ruhig fühlte, ging mir die Tatsache nicht aus dem Kopf, dass sich erschreckend wenige Menschen testen lassen. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem ein C-Promi aktuell an Aids erkrankt und alle wie die blöden ins Gesundheitszentrum rennen. Vielleicht geht es auch ohne Promi, dass ich ein paar unter euch dazu ermutigen kann, Aids keine Chance zu geben. Wenn’s die Reklame schon nicht mehr schafft.

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15 Antworten zu “Let’s talk about Aids, Baby!”

  1. Was für ein wichtiger Post!

    Vor 3 Jahren wurde ich zufälligerweise angesprochen, ob ich für die AIDS Hilfe nicht beim Spendensammeln einspringen könnte, da jemand krank geworden ist. Weil ich an dem Tag nichts besseres zu tun hatte, willigte ich ein…

    „In unseren Kreisen gibt es doch gar kein HIV/AIDS…“

    Die Reaktionen meines Freundeskreis waren unfassbar und klingen mir immer noch in den Ohren. Naivität, Ignoranz und Arroganz… Seitdem bin ich jedes Jahr beim Sammeln dabei und überzeuge Bekannte davon, wie wichtig es ist sich testen zu lassen.

    Daher DANKE für diesen Artikel!

    Lg, Anna

  2. Ein super wichtiges Thema. Ich bin jetzt 31 und habe mich vor vier Jahren das erste Mal testen lassen. Ich war vorher immer in langen Beziehungen und hatte zwei-drei lockere Geschichten- Einmal ohne Kondom. Ziemlich dumm und naiv. Zum Glück war auch mein Test negativ.
    Mit meinem neuen Freund bin ich, als klar war, dass es was ernsteres ist, zum Aidszentrum und wir haben uns testen lassen. So würde ich das in Zukunft immer wieder handhaben.

  3. Danke für den Text – das Thema sollte wirklich aus der 90ger Jahre Schublade raus. Ich habe diese Gewissheit übrigens mit etwas nützlichem verbunden – und mir einen Blutspendeausweis machen – nur sollte ich ihn jetzt dank der Gewissheit auch öfter nutzen…lg

  4. Sehr sympathisch, dass diese wichtige Thematik ohne Kooperation entstanden ist. Klar, dass euch die dadurch erzeugte Sympathie seitens der Leser voll und ganz bewusst ist, aber scheißegal. Es ist und bleibt ein wichtiges Thema, also Danke für Anstoß und Erinnerung!
    Liebe Grüße aus Hamburg, Olga

  5. Sehr sympathisch, dass diese wichtige Thematik ohne Kooperation entstanden ist. Klar, dass euch die dadurch erzeugte Sympathie seitens der Leser voll und ganz bewusst ist, aber scheißegal. Es ist und bleibt ein wichtiges Thema, also Danke für Anstoß und Erinnerung!
    Liebe Grüße aus Hamburg, Olga

  6. Ich lese eure Artikel normalerweise deshalb gerne, weil ihr euch Gedanken macht über das was ihr schreibt und gut recherchiert. Und auch wenn ich das Thema deines Artikels sehr begrüße, finde ich dass dieser Artikel nicht ganz so gut gelungen ist. „HIV ist mittlerweile eh quasi heilbar“ ist halt einfach falsch. Klar, es ist unglaublich was die Medizin heute schafft und wie es möglich ist HIV zu behandeln. Von einer Heilung ist das alles aber noch weit weg. Für Menschen mit HIV, die ihr Leben lang Medikamente schlucken müssen ohne zu wissen was die eventuellen Nebenwirkungen später sein können hört sich das ein bisschen blöd an.

    • Liebe Johanna, hättest du den Artikel richtig gelesen, hättest du verstanden, dass diese Aussage natürlich d u m m ist! Genau das kritisiere ich in meinem Artikel. Das ist eine der Ausreden für manche, keinen Test zu machen.

  7. Für eine reflektierte Auseinandersetzung mit AIDS und Hiv gehört auch deren Unterscheidung. Du schreibst Angst davor gehabt zu haben AIDS zu haben, während du auf das Testergebnis gewartet hast. Wäre dieses positiv gewesen, wäre die Diagnose keinesfalls mit AIDS benannt worden, sondern Hiv. Das ist ein ziemlich wichtiger Unterschied, der in dem Text falsch erklärt wird.

    • Liebe Sara, dieser Artikel soll keine Aufklärung über HIV sein. Sondern eine Erinnerung für alle, die länger oder gar noch nie einen gemacht haben, einen Test zu machen.

  8. Guter und wichtiger Artikel! Wie du geschrieben hast: Die meisten behandeln das Thema so halb korrekt – mal denkt man dran, mal nicht, ist ja auch egal, passiert so selten… als ich das erste Mal eine Aids-Test machen musste für’s Plasma spenden, habe ich auch auf einmal riesige Angst bekommen. Ich musste eine Woche auf die Ergebnisse warten und hab alle Momente, in denen ich leichtsinnig war, in diesen 7 Tagen immer wieder durchgespielt. Man sollte daran denken, immer. Sich selbst und anderen Menschen zuliebe.
    Alles Liebe,
    Kathi

  9. Also wenn Phillip von HIV geheilt wurde und HIV quasi heilbar ist, so wie es der Artikel behauptet, dann ist HIV kaum mehr als eine mittelschwere Grippe. „Was wäre wenn?“, finde ich eine ganz wichtige Frage. Der Artikel endet aber damit, dass alle – auch Phillip – unbescholten davon kommen. Die Moral von der Geschicht? Basst scho irgendwie.

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