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„Minusgefühle“: Ein Gespräch mit Jana Seelig

9. Oktober 2015 von in ,

Manchmal kann sie es wahrscheinlich selbst nicht glauben. Jana Seelig, besser bekannt als Jenna Shotgun im Internet, twittert gern. Immer, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Banalitäten, Ernsthaftigkeiten, Humorvolles und auch Trauriges. Eines Nachts schickt sie aus lauter Frust über das Unverständnis von Depressionen einen Tweet in die digitale Welt. Was danach passiert, ist eine Welle von Solidarität – zusammengefasst unter dem Hashtag #notjustsad, die Medien werden aufmerksam, Jana gibt Interviews und ist plötzlich landesweit bekannt – als (Mode-)Bloggerin, die offen über ihre Depression sprach.

„Minusgefühle“ ist das Endresultat eines verrückten Jahres, das Jana selbst als „anstrengendes Jahr, das mich persönlich aber extrem viel weiter gebracht hat“ beschreibt. Ich kenne Jana schon lange. Fast zur selben Zeit wie ich begann sie ihren Modeblog I say shotgun, damals noch aus Würzburg. Jana hatte schon immer was zu sagen. Genau aus dem Grund folgte ich ihr, und sie mir. Wir  tauschten uns aus – über Mode, die Bloggerwelt und das Leben. Und obwohl wir uns noch nie in echt getroffen haben, gibt es immer wieder nächtliche Facebook-Nachrichten und das gegenseitige Verfolgen der Arbeit des anderen.

Keine Frage also, dass ich „Minusgefühle“ sofort lesen wollte. Herausgekommen ist ein Buch, das unterhaltsam ist, dennoch in die Tiefe geht und so wichtig ist. Jana erzählt ihre Geschichte. Die Geschichte einer jungen Frau, die schön und erfolgreich ist. Die aber eine traurige Seite hat, an Depressionen erkrankt ist. Jana erzählt sie schonungslos, mit Tiefe und Herz.  Ein Buch, das beweist, dass es so wichtig ist über psychische Erkrankungen zu sprechen. Dass diese mitten unter uns sind. Und dass diese kein Phänomen unserer Neuzeit sind, sondern ernstgenommen werden müssen. Es kann jeden treffen – sei er noch so schön, erfolgreich oder unbesiegbar. Vor Gefühlen sind wir nicht gefeit – und es ist völlig okay, auch Minusgefühle zu haben.

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Mit Jana habe ich zum Buchrelease diese Woche ein kurzes Gespräch geführt – über das letzte Jahr, ihr Buch und das Leben mit der Krankheit.

Jana, wie war das letzte Jahr für dich – vom Tweet bis zum Buchrelease?
Das letzte Jahr war vor allem sehr anstrengend, hat mich persönlich aber auch extrem viel weiter gebracht. Ich hab in den vielen Gesprächen, die ich geführt habe, gelernt, mich selbst und andere besser zu verstehen.

Welche Frage wurde dir denn im letzten Jahr am häufigsten gestellt?
Die Frage „Wie fühlt sich das an?“ ist wohl eine der häufigsten. Und eine, die man nicht mal eben schnell beantworten kann.

Gibt es denn Fragen bezüglich Depressionen, die dich nerven? 
Fragen nerven mich gar nicht. Im Gegenteil: Ich finde es toll, dass Menschen sich dafür interessieren und lernen wollen, was es bedeutet, depressiv zu sein. Mich nerven eher überflüssige Kommentare à la „Andere Leute kämpfen im Krieg!“. Das ist Leidvergleich und der bringt keinem was.

Und welche Erinnerung ist dir am meisten im Kopf geblieben aus dem Jahr?
Die Erinnerung, die mir am meisten im Gedächtnis blieb, ist leider keine positive. Ich war bei einem Interview, an einem Tag, an dem es mir wirklich sehr schlecht ging, hab alles aber problemlos über die Bühne bekommen, bis nach dem Interview jemand zu mir kam und sagte: „Sie erinnern mich an eine Person. Auch jung, sehr erfolgreich, hat immer viel gelacht und ein tolles Leben geführt. Leider auch depressiv. Hat sich vor zwei Wochen umgebracht.“ Das war wie ein Schlag ins Gesicht. Ich konnte nur noch daran denken, dass ich die Krankheit auch nicht überleben werde. Es hat mehrere Wochen gedauert, bis ich diesen Schock überwunden hatte. Diese Aussage hat mir einfach sehr viel Angst gemacht.

Sind es solche Erfahrungen, auf die du hättest verzichten können?
Genau darauf hätte ich verzichten können. Genau wie auf Mails von Hobbypsychologen, die mich anhand von Twitter oder Instagramfotos „diagnostizieren“.

Trotz dieser negativen Erfahrungen gab es ja auch viele, viele positive. Und es ist ein tolles Buch entstanden – „Minusgefühle“. Was möchtest du deinen Lesern mit dem Buch mitgeben?
Ich habe versucht, bei dem Buch aufzuzeigen, dass das Leben mit Depressionen nicht schlecht sein muss. Dass es aber auch total okay ist, sich mies zu fühlen und die Welt zu hassen. Jedes Gefühl, also auch jedes Minusgefühl, hat seine Berechtigung. Ich glaube, das große Stichwort ist „Selbstakzeptanz“. Ich hoffe, dass man der Geschichte anmerkt, dass ich eine sehr große persönliche Entwicklung durchlaufen habe, mit der ich heute im Großen und Ganzen auch okay bin. Und das Buch an sich – damit ist natürlich für mich ein absoluter Lebenstraum in Erfüllung gegangen.

Beim Lesen merkt man definitiv, dass du dich extrem weiterentwickelt hast. Ich finde das wahnsinnig toll. Wie waren denn bisher die Reaktionen auf „Minusgefühle“?
Die Reaktionen, die ich direkt erhalten habe, waren bisher durchweg positiv. Ganz viele Menschen haben mir geschrieben, dass sie sich in nahezu allem wiederfinden. Oder dass sie nun endlich begriffen haben, was diese Krankheit eigentlich für ihre*n Partner*in bedeutet. Hintenrum wird natürlich viel gequatscht – vor allem in dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin. Das finde ich aber eher witzig, weil ich im Buch genau das kritisiere: Dass da eben niemand persönlich mit jemandem spricht, sondern nur hinter dem Rücken über andere.

Was wünscht du dir grundsätzlich im Umgang mit Depressionen?
Ich wünsche mir auf jeden Fall, dass der Austausch darüber offener wird. Dass Betroffene und Nicht-Betroffene vorurteilsfrei miteinander reden können und sich gegenseitig ernst nehmen. Ich glaube nämlich, dass man so ein Verständnis dafür schaffen kann. Mir wäre vor allem wichtig, dass die Einzelpersonen sich damit befassen, wenn sie damit konfrontiert werden. Nur so kann sich in der Gesellschaft allgemein etwas verändern. Ich glaube, man muss da einfach klein anfangen und darf gar nicht erst versuchen, die ganze Welt bekehren zu wollen.

Wahre Worte, Jana! Glückwunsch zum Buch und alles, alles Liebe. Ich bin schon gespannt aufs nächste! 

„Minusgefühle“ ist im Piper Verlag erschienen, kostet 14,99 Euro und ist hier erhältlich. Lesen!

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5 Antworten zu “„Minusgefühle“: Ein Gespräch mit Jana Seelig”

  1. Es ist sehr mutig in einer Leistungsgesellschaft wie dieser, in der man tendenziell mehr an seinen Schwächen als an seinen Stärken gemessen wird, so offen mit gerade diesen Schwächen umzugehen. Gerade das macht Jana Seelig zu einer sehr starken Frau, die weiß zu sich selbst zu stehen. Umgekehrt ist es für alle anderen nicht nur eine Frage des Respekts, sondern auch eine Frage des eigenen Muts, sich mit den Schwächen und Problemen ider Mitmenschen ernsthaft auseinanderzusetzen!
    Wer das nicht tut, sondern an dem Irrglauben vom perfekten Menschen festhält, ist nicht nur unmenschlich, sondern feige, indem er sein eigenes Mensch-Sein verleugnet:
    Der Mensch ist keine Maschine, die zu funktionieren hat, sondern ein Wesen mit Herz und Verstand. Wird das verkannt, kann jede,r der gestern funktionierte, morgen kaputt sein…
    Daher: Mein Respekt gilt Jana Seelig!
    http://alltagsbuehne.blogspot.com

  2. Vielen Dank für diesen Buchtipp! Ich kannte Jana bisher nicht, werde das Buch aber auf jeden Fall kaufen, da auch in meinem direkten Umfeld 3 Personen von Depressionen betroffen sind. Ich fand es sehr erschreckend mitzuerleben, wie es diesen Menschen erging und wie sehr ihr Leben beeinflusst wurde. Noch erschreckender finde ich allerdings die Tatsache, wie viele Menschen betroffen sind und wie häufig mit ihnen umgegangen wird. Vorwürfe sind aber wahrscheinlich dennoch falsch, weil vermutlich oftmals alle Beteiligten mit der Situation überfordert sind. Dieses Buch ist also wahrscheinlich überfällig und ich finde es toll, dass Jana so offen damit umgeht. LG Neele

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