Sexuelle Belästigung: #METOO

17. Oktober 2017 von in

Grafik: @witchoria

Ich bin aus dem Gröbsten raus. Wenn mich heute Männer ansprechen, antworte ich meistens und ich entscheide mittlerweile selbst, ob Süßigkeiten von Fremden adäquat sind oder nicht. #metoo

Als junges Mädchen habe ich mit meinen weiblichen Klassenkameradinnen einen verpflichtenden Selbstverteidigungskurs an der Hochschule wahrgenommen und fremden Männern keines Blickes gewürdigt, da mir früh genug eingetrichtert wurde, dass die mich grob zusammengefasst alle vergewaltigen, verschleppen oder töten wollen. Mein Verhältnis als junges Mädchen zu erwachsenen Männern war dementsprechend sensibel.

Nicht nur meines: Freundinnen von mir trugen Pfefferspray mit sich, wenn wir uns außerhalb der Schule in der Öffentlichkeit trafen. Geldbeutel, Gummibärchen, violette Airwaves, Eyeliner, Malboro Gold und Pfefferspray. Der klassische Tascheninhalt eines 15-jährigen Mädchens am Freitagabend.

Zu der Zeit war mir zwar klar, dass der Mann der Feind ist, aber die Brisanz des Problems sehe ich erst jetzt, wo ich aus dem Gröbsten raus bin. Ich, und alle anderen Mädchen die ich kenne auch, wurde vor allem im Alter zwischen 13 und 18 so konsequent und aufdringlich sexuell belästigt, dass die Bedenken meiner Eltern und Lehrer absolut gerechtfertigt waren. Meine Mama hat mir immer gesagt, dass meine Pubertät das schlimmste Alter für sie wäre, weil sie sich da am meisten Sorgen um mich machen muss. Und dabei ging es ihr nicht um die ersten Drogenerfahrungen, sondern um Männer. Und jetzt verstehe ich, dass sie recht hatte. Was ich damals abgetan und verschwiegen habe, wofür ich mich damals regelmäßig hatte rechtfertigen müssen, möchte ich hier unverschönt und unverblümt schreiben.

Ich wurde mehrmals in meinem Leben sexuell belästigt und im Anschluss selten bis nie gehört oder verstanden, wenn ich die Geschichte zum Besten gab. Im Gegenteil: Ich musste mich für „meine Fehler“ rechtfertigen.

Sicherlich, #nichtallemänner (#notallmen) haben mich in meiner Kindheit und Jugend sexuell belästigt. Der Großteil hat es nicht getan. Doch die Minderheit, die es tut, führt dazu, dass Mädchen von Kindesbeinen auf eingetrichtert wird, sie müssen sich vor ihnen hüten – indem sie keine kurzen Röcke tragen, keine Signale senden, nicht in den Kontakt mit ihnen treten und sich devot im Hintergrund halten.

Mädchen wird beigebracht, dass Männer sexuell belästigen, doch Jungs wird nicht beigebracht, dass sie nicht sexuell belästigen dürfen.

Unter dem Hashtag #metoo geben Frauen zu verstehen, dass sie zu denen gehören, die in ihrem Leben sexuell belästigt wurden. „Mir ist nie etwas Schlimmes passiert, nur Sprüche und Grabscher, aber trotzdem #metoo“, sind unter anderem schockierende und passende Beispiele für das Problem der sexuellen Belästigung: Es wird bist heute sowohl von Frauen als auch von Männern herunter gespielt und ignoriert. Viele Frauen tun die Belästigung ab, sprechen nicht darüber oder nehmen sie manchmal sogar als Kompliment und viele belästigende Männer sehen nicht einmal, dass das strafwidrig und menschenverachtend ist, was sie da tun.

Mit „Ich bin aus dem Gröbsten raus“, sage ich nicht, dass mir nicht mehr hinterhergerufen wird oder ich nicht mehr angefasst werde, obwohl ich nicht angefasst werden möchte. Es passiert seltener als früher, doch wenn es passiert, kann ich mich dagegen wehren. Ich frage, was das soll, ich beleidige, ich schreie zurück, und ich erzähle Menschen davon. Früher habe ich die Geschichten für mich behalten, ganz so, als würde ich mich für meine Faux-Pas schämen und als meine dunklen und privaten Geheimnisse verbuchen. Die Sache ist aber: Das sind keine privaten Probleme, das sind Probleme der Öffentlichkeit und der Gesellschaft.

Ich schäme mich nicht mehr dafür, dass mich Männer bis heute angrabschen und mir hinterher rufen. Heute rufe ich zurück und schreibe  darüber. So oft und so lange, bis der verdammte rosafarbene Elefant im Raum gesehen wird.

#metoo

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4 Antworten zu “Sexuelle Belästigung: #METOO”

  1. Du sprichst einen wichtigen Punkt in deinem Text an: Den Aspekt, dass Mädchen schon früh beigebracht wird, aufzupassen und sich zu schützen, Jungs aber nur selten erklärt wird, wann sie mögliche Grenzen überschreiten. Auch ich hab als Kind am liebsten die Straßenseite gewechselt, wenn da ein fremder Mann lief, weil man mir erklärt hat, der könnte böse sein und „mich mitnehmen wollen“. Die Jungs mit denen ich befreundet war, haben so etwas nie beschrieben und gefühlt – zumindest war es bei ihnen kein Thema. Rebecca Solnit beschreibt den Unterschied dieser „Erziehung“ sehr eindrücklich in einem Essay ihres Buchs „Wenn Männer mir die Welt erklären“. Nach einem Zwischenfall am College fragt ein Professor seine Studentinnen, welche Taktiken sie haben, um sich notfalls bei sexuellen Übergriffen zu wehren oder insgesamt davor zu schützen. Von flache Schuhe tragen, um zu rennen, über bestimmte Routen mit vielen belebten Straßen wählen, bis hin zu Pfefferspray und Trillerpfeifen ist alles dabei. Während es für viele Frauen traurigerweise selbstverständlich scheint, sich praktisch permanent mit der Möglichkeit einer Vergewaltigung auseinandersetzen, sind die Studenten im Saal davon regelrecht schockiert. Den meisten schien bisher nicht einmal klar zu sein, wie sehr sexuelle Belästigung noch immer ein Thema ist. Das zeigt wie sehr dieses Thema bei den „Geschlechtern“ auseinandergeht. Aus so etwas resultieren schließlich auch so besch*** Sätze wie „Wenn sie sich so anzieht, ist sie selbst schuld.“ Und wenn ich mir anschaue, wie sehr wir uns gesellschaftlich derzeit wieder in alte Konservativismen zurückbewegen, habe ich wirklich Sorge, dass wir auch hier einen Backlash erleben werden.

  2. Danke für deinen Text. Ich hoffe, dass in diesem aktuellen Diskurs auch Raum für Szenarien entsteht, die weniger offensichtlich sind: Was tun, wenn man plötzlich seine Meinung ändert. Eigentlich fand man den Kerl/die Frau ganz toll, man geht zu ihm/ihr oder andersherum – er/sie steht im eigenen Schlafzimmer. Und dann ist man plötzlich nicht mehr so sicher, ob man will. Was zu tun ist, liegt natürlich auf der Hand: Gehen/bitten zu gehen. Das aber umzusetzen, gehört sicher zu den Dingen, die leichter gesagt als getan sind. Vielleicht fällt ein paar schlauen Verhaltenspsychologen ja gelungene Taktiken ein!

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