The Talk: Die Schubladen der 20er

17. Juli 2017 von in

Vor ein paar Wochen stand ich an einem Dienstagabend auf einer Party. An einem Dienstagabend gehen in München nur sehr bestimmte Leute auf eine Party, die meisten liegen nämlich satt auf dem Sofa oder schlafen schon, ein Dienstag ist schließlich mitten in der Woche und man ist geschafft vom Tag und muss ja auch wieder früh raus am Mittwoch, ab ins Büro, und das noch drei Mal bis zum Wochenende. Die Leute, die Dienstagabend auf einer Party stehen und das in München, die haben ziemlich coole Outfits an, Caps auf den Köpfen, kennen Trap-Rapperinnen, von denen ich noch nie gehört habe (eine solche trat gleich auf) und müssen am Mittwoch nicht früh raus.

Ich stand da also auf der Party, in meinem normalen Büro-Outfit, denn ich hatte Spätschicht bei einer Zeitung gehabt, und fühlte mich gleichzeitig leicht verwegen und ein bisschen deplatziert. Es war nicht dieses deplatziert-Fühlen, das ich mit meinen 26 Jahren schon manchmal erschreckenderweise auf anderen Parties erlebt hatte, wo mir klar wurde, dass der Großteil der Anwesenden gerade acht bis zehn Jahre jünger ist als ich. Hier auf dieser verwegenen Dienstagabendparty waren alle ungefähr so alt wie ich bis älter, es war etwas anderes. Die Leute waren gleich alt, aber in einer völlig anderen Schublade als ich.

Für immer Party machen, oder nie mehr die Tagesschau verpassen?

Selten gehen die Lebensentwürfe so weit auseinander wie in den 20ern. Mit 25 kannst du ungefähr alles sein: Verheiratet, seit zehn Jahren im Job, erst in zehn Jahren im Job, Backpacker, Versicherungsangestellter, Mama, Durchhänger in deinem Kinderzimmer, Partymaus, noch nie geküsst worden, durch mit der Liebe, verlobt, geschieden oder auf Selbstfindung. Mit 15 geht jeder zur Schule, mit 35 hat man sich wenigstens schon langsam entschieden, ob man für immer Party machen, oder nie mehr die Tagesschau verpassen möchte. Mit 25 sind diese Fragen höchstens temporär zu beantworten – denn während man sich vielleicht schon für ein Lebenskonzept entschieden hatte, kann ganz plötzlich wieder alles anders werden.

Während ich meinen Freund begrüßte und mich, es war schon halb elf, schon ein bisschen darauf freute, demnächst neben ihm in meinen ersehnten Dienstagabendschlaf zu fallen, kamen zwei meiner besten Freundinnen angesprungen, strahlend und energiegeladen, in Minirock-Outfits und mit Wahnsinnshaaren. Vor nicht allzu langer Zeit war ich diejenige gewesen, die die Pärchenwohnung der einen Freundin mit Faszination bestaunt, darin viele Gläser Wein getrunken und von diversen Situationen mit dem anderen Geschlecht erzählt hatte. Damals bestand das Leben beider vor allem aus Serien, Ausflügen und beneidenswerten kulinarischen Leistungen, heute sind das genau meine Freizeitaktivitäten, während beide zu neuen Energien aufgelaufen sind und sich die Nächte um die Ohren schlagen, wenn ich schon lange schlafe.

Am nächsten Tag treffe ich auf ein Baby im Büro, das mich freundlich vom Arm seiner 24-jährigen Mama anlächelt. Einer Frau, die seit Jahren fest im Job steht, jetzt auch eine Tochter und einen Mann hat und gerade an ihrem Eigenheim baut. Während ich mich am Abend davor plötzlich ziemlich alt und langweilig fand und gerne ein bisschen peppiger drauf gewesen wäre, wie meine Mitmenschen auf der Party, checke ich plötzlich ab: ich zwei Jahre älter als die Kollegin, die sich schon so gesettled hat, dass mir schwindelig wird. Das alles will ich natürlich noch nicht gleich, aber irgendwann wäre das ja schon irgendwie was, Mann und Kind und vielleicht auch ein Eigenheim, da will man ja schon hin grundsätzlich, und andere haben das Ganze schon erreicht und sind auch noch viel jünger als man selbst.

Irgendwo dazwischen stehe also nun ich, fühle mich mal zu alt und zu langweilig und mal viel viel jünger und ungesettleter als mein Gegenüber, den ich Altersmäßig schon längst überholt habe. Fühle mich mal hier zugehörig, mal da, meistens aber nirgendwo so recht. Sehe mich nicht mit Kind und Kegel im Eigenheim am Stadtrand sitzen, bin aber auch so wahnsinnig verliebt, dass ich seit einer ganzen Weile immer konkretere und relativ banale, vielleicht sogar spießige Zukunftsvorstellungen habe, und zwar mit niemand anderem als diesem einen Menschen an meiner Seite.

Und während ich ständig an eine neue Schublade stoße und jeder Mitte Zwanzig mit einem neuen Konzept für sich und sein Leben um die Ecke kommt, komme ich zu dem Schluss, dass es niemals auf das Schubladenfach ankommt, sondern nur auf die eigene Zufriedenheit. Und man so oft und so lange durch alle Fächer springen darf, bis man da ankommt, wo man sein möchte – auch, wenn die engsten Freunde nicht immer gerade im selben Fach stecken wie man selbst. Die Zwanziger sind vielleicht der beste Zeitpunkt, um zu lernen, sich nicht mehr zu vergleichen – sondern in sich selbst hineinzuhören und rauszufinden, in welchem Fach man sich denn nun am wohlsten fühlt.

Bilder: Vanellimelli, Pinterest

Sharing is caring

17 Antworten zu “The Talk: Die Schubladen der 20er”

  1. Das ist so wahr! Die Einen bauen und haben Kinder und die anderen haben vielleicht sogar grade erst ihren Beruf gefunden und wollen dies studieren oder eine Ausbidung machen. Vorallem wenn man in eine Gesamtsxhule gegangen ist, haben manche schon lange ihre Ausbildung fertig und man ist grade erst selbst fertig geworden^^

  2. Word! Du spricht mir absolut aus der Seele. Ich bin 29, stehe unmittelbar vor Abschluss meines Studiums bzw. Referendariats und kurz vor dem Einstieg ins richtige Berufsleben, lebe jetzt seit 4 Jahren in einer festen Beziehung mit gemeinsamer Wohnung, aber unverheiratet und kinderlos – und habe das Gefühl, mal in dieser und mal in jener Schublade zu stecken. Manche Freunde von mir sind noch lange nicht mit dem Studium durch, feiern, reisen, stürzen sich von einer Beziehung oder Affäre in die nächste und haben insgesamt keine festen und klaren Zukunftspläne. Andere sind verheiratet und fest im Job, haben Kinder, beginnen mit dem Bau/Kauf eines Eigenheims. Beide Lebensentwürfe sind momentan nicht so wirklich meins – ich möchte Kinder und heiraten, aber nicht sofort jetzt. Andererseits kann und will ich auch nicht planlos in den Tag hineinleben und von einer Party zur nächsten stürzen. Ich muss sagen, dass mich das manchmal stört – dieses Gefühl, weder so richtig in die eine noch in die andere Schublade zu passen. Aber wie du sagst – man muss für sich selbst herausfinden, was man wann will. Und solange Freundschaften trotz verschiedener Lebensweise/-entwürfe halten, ist das ja auch alles halb so wild :)

    • Mir geht es ganz genauso, irgendwie fühlt man sich plötzlich nirgends zugehörig, obwohl doch alles richtig für einen selbst ist. Das liegt aber tatsächlich ein Stück weit an diesem Alter, in dem so viel im Umbruch ist…

  3. Juhu, ein Artikel, der mir aus der Seele spricht – und ich wundere mich nicht mehr. Ich bin erst Anfang zwanzig und du hast so Recht mit dem Kästchen-Syndrom. Die eine Freundin heiratet und mutiert zu einem „Wir“-Sager, die Nächste hängt im Ausland rum und scheint jeden Tag einen neuen Mann zu treffen, der Rest zieht allmählich mit wie auch immer geartetem Schatz zusammen und ich möchte nicht wissen, wann das erste Baby kommt. Dazwischen ich, manchmal froh, manchmal zynisch, dass ich mir gewisse Fragen erst stellen werde, wenn die Anderen die erste Welle des richtig-erwachsen-Seins durch haben. Vor allem dachte ich, es kommt später und ich hab noch ein bisschen Zeit, dachte ich vor Kurzem, bis mir auffiel…ich hab ganz viel Zeit. Ich werde die nächsten 5-x Jahre nicht heiraten und mich vermehren, dazu ist nicht die richtige Zeit und der richtige Mann da. Aber ich muss auch gar nicht. Ich knuddel dann die Babys der Mädels :) Und eben, man soll sich ja ausprobieren, was sicher nicht mit 29 abrupt aufhört. Aber nach einem Gespräch mit einer Freundin, die als Einzige nach dem Bachelor schon Vollzeit arbeitet, weiß ich, dass es nie wieder so leicht sein wird wie jetzt :)

    • Ja, auch mit 30 hört das Ausprobieren nicht auf, man kommt wahrscheinlich nie irgendwo komplett an, und dann bleibt alles für immer gleich. Das wäre ja auch eine schreckliche Vorstellung :)

  4. Wow, danke für diese Worte, vorallem für den letzten Satz. Zerbreche mir da schon seit Monaten den Kopf drüber und du hast genau die richtigen Worte gefunden.

  5. Danke für diesen Artikel, Milena! Diese Aha-Momente wenn man sich mal zu alt, zu jung oder deplaziert vorkommt kenne ich mit 24 auch sehr gut! Allerdings macht jeder seine eigene Entwicklung durch und ich finde es am Allerbesten wenn man sich in keine Schublade legt sondern sich aus den Bausteinen zusammensetzt, die einem gefallen und gut tun! Schubladen waren generell noch nie großartig ;)

    Liebste Grüße ?

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Absenden des Kommentars bestätigst Du, dass Du unsere Datenschutzerklärung zur Kenntnis genommen hast.

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner