The Talk: Zeit schenken

9. August 2017 von in

Kürzlich traf ich mich an einem Samstagnachmittag mit Freunden. Wir saßen auf Picknickdecken, aßen Erdbeeren, tranken Prosecco aus Pappbechern und feierten, dass jemand von uns vor genau 26 Jahren geboren worden war. Der Tag war wunderbar, die Gespräche mitreißend und genau diese Zeit gerade miteinander zu verbringen, wertvoll. Plötzlich verabschiedete sich jemand aus der Runde, um sich mit dem Partner zu treffen. „Was macht ihr denn?“, fragte jemand. „Ach, nur nach Hause gehen“, war die Antwort.

Nun ist es so, dass ich der letzte Mensch bin, der das nicht verstehen kann, und es gab in der Vergangenheit nicht wenige Situationen, in denen ich selbst die war, die mit dem Freund nach Hause ging. Wenn ich die Wahl habe, mich an einem Freitagabend nach der Arbeit in die bequemsten Teile, die mein Kleiderschrank so hergibt, zu schmeißen und die neuesten Social-Media-Kochvideos mit meinem Freund nachzukochen oder nochmal raus zu müssen, fällt meine Wahl in einem Großteil der Fälle auf die erste Variante. Aber die Situation, die eine von so vielen war, mich selbst eingeschlossen, brachte mich zum Nachdenken. So schön und gemütlich das Beziehungsleben auch sein mag, und so sehr es auch ok ist, Zweisamkeits-Qualitytime (oder halt einen faulen Sofatag zu zweit, die Qualitytime der Ehrlichen) einzulegen: Leute. Übertreibt. es. nicht.

Im Beziehungs-Nirvana zu verschwinden, hat alleine schon körperliche und den geistigen Horizont betreffende Folgen: Man wird immer gemächlicher, isst immer lieber, bekommt einen Tunnelblick, der sich vor allem an Netflix-Serien orientiert und kann sich irgendwann keinen Tag mehr ohne den anderen vorstellen. Wenn es so weit gekommen ist, ist wirklich alles, was ein abwechslungsreiches und selbstbestimmtes Leben ausmacht, verloren, deshalb gilt es, auch schleichende Prozesse in diese Richtung zu erkennen und entsprechend gegenzusteuern.

Das Verschwinden in der Zweisamkeits-Comfortzone betrifft allerdings nicht nur einen selbst, sondern vor allem auch das Umfeld. Während wir nicht jünger und unsere Freizeit neben all den Erwachsenenverpflichtungen nicht gerade mehr wird, bekommt eines einen immer wichtigeren und bedeutsamen Wert: die Zeit, die wir mit den Menschen in unserem Leben verbringen. Und zwar die, die wir nicht nur passiv mit ihnen verbringen, weil man das eben so macht am Geburtstag oder weil die Freundin oder der Kumpel eben irgendwie auch mit dabei ist, am See oder im Freibad. Ich spreche von der Zeit, die wir ganz bewusst mit unseren Freunden verbringen. Die Zeit, die wir ihnen schenken.

gemeinsames Erleben statt einem Herunterrattern der aktuellen Neuigkeiten

Nach meinen bisherigen Trennungen ist mir genau das immer besonders aufgefallen: Mit einem freien Kopf, der sich nicht an einem Partner und der gemeinsamen Planung orientiert, nehmen die Treffen mit Freunden einen völlig anderen Stellenwert ein. Nichts wird dazwischengeschoben, nichts ist ein kurzer Kaffee, nachdem man sich mit dem Partner trifft, um in den gemeinsamen Abend zu starten. Treffen mit Freunden als Single heißen 100-prozentige Aufmerksamkeit, gemeinsames Erleben statt einem Herunterrattern der aktuellen Neuigkeiten und der Höhepunkt des Tages. Und genau das muss doch auch möglich sein, wenn man kein Single ist.

Dass man durch eine Beziehung weniger Zeit für seine Freunde hat, als davor, ist unvermeidbar und auch völlig verständlich. Die Zeit mit Freunden könnte, so mal ein Gedanke, aber gerade deshalb einen ganz besonderen Wert bekommen. Ein Geburtstag an einem Samstagnachmittag muss keine Zwischenlösung sein, sondern könnte bedeuten: Heute widme ich dem Geburtstagskind meinen Tag, open end, und meinen Partner sehe ich eben morgen, oder gleich erst übermorgen, wenn der Samstag etwas länger wird, so wie früher. Ein Treffen beim Kaffeetrinken könnte vonstattengehen, ohne Whatsapp-Nachrichten an den Partner zu verschicken. Und ein Wochenende muss nicht ausschließlich Pärchenzeit beinhalten, sondern kann auch heißen, mit den eigenen Freunden die Nacht durchzumachen. Ohne Zeitbegrenzung und ohne danach beim Partner im Bett zu landen.

Alles ist Gewohnheit, und in viele Gewohnheiten fällt man, ohne es zu merken. Weil sie eben so einfach sind und so gemütlich. Doch gerade in Sachen Beziehungs-Nirvana tut man gut daran, sich manchmal eine kalte Dusche zu verpassen und zu reflektieren, wie man seine Zeit eigentlich aufteilt. Wie viel dabei der bloßen Zweisamkeits-Bequemlichkeit zuteil wird, wie viel den Aktivitäten mit allen zusammen, wie viel den Freunden allein, und wie viel Zeit man auch einfach nur sich selbst widmet. All das sind Säulen, die die gleiche Aufmerksamkeit verdienen. Und auf denen man am Ende am aller zufriedensten steht.

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5 Antworten zu “The Talk: Zeit schenken”

  1. Deine Beiträge sind mir auf amazed mit die liebsten, weil immer so entspannt. Hier würde ich jedoch gerne etwas anmerken: Vielleicht haben die zwei sehr wenig Zeit die letzten Tage miteinander verbracht und sich wegen der Arbeit und Schichtdienst nur wenig gesehen, vielleicht gibt es Dinge zu besprechen, die besprochen werden müssten und man anderen nicht auf die Nase binden will oder die Gespräche beim Picknick waren nicht für alle hinreißend und die Zeit dafür einfach zu schade. Sicherlich ist es vernünftig, aus gewohnten Mustern auszubrechen, aber generell sollte man man aus einem Satz kein ganzes Problem herleiten und es jedem selbst überlassen, wie er seine Zeit verbringt.

    • Ja, das ist ganz klar und ich würde auch niemals diese eine Situation verurteilen, ich kenne auch keinerlei Hintergründe dazu und bin mir auch ziemlich sicher, dass sie dafür einen guten Grund hatte. Die Situation ist einfach nur ein Beispiel von vielen, und sie hat mich mal wieder zum Nachdenken gebracht, wie oft man eigentlich so handelt, mich selbst eingeschlossen. Und dass Zeit ganz bewusst mit den Freunden zu verbringen oft gar nicht mehr so natürlich stattfindet, wenn man in einer Beziehung steckt – aber das doch möglich sein kann :)

  2. Ein interessanter Beitrag! Ich gehöre zu denen, die die Beziehung über alles stellen.? Was aber zum einen daran liegt, dass mein Mann mein bester Freund ist, und zum anderen daran, dass ich keine Clique, sondern nur Einzelfreunde hab, die miteinander fast nichts zu tun haben. Sie sehen sich einmal im Jahr auf meinem Geburtstag und das war’s. Den einzelnen Freunden widme ich jedoch gern intensiv Zeit. Mein Handy bleibt in der Regel in der Tasche, meine Aufmerksamkeit liegt beim Gegenüber.
    Vielleicht macht es auch ein bißchen einen Unterschied, ob man mit dem Partner zusammenwohnt. Sollte ein Abend mit Freunden mal länger gehen, fährt jeder anschließend zu sich nach Hause, egal ob um Mitternacht oder 4 Uhr früh. Wir wohnen ja auch alle in Berlin.? Als Single hab ich öfter bei ner Freundin übernachtet, aber da hat in meiner WG ja nur mein leeres Bett auf mich gewartet.?

  3. „Mein Mann ist mein bester Freund“ klingt immer so romantisch und soll wahrscheinlich eine ganz besondere Innigkeit beschreiben. Tatsächlich ist es aber einer der trivialsten Sätze, den man als in einer Beziehung lebender Mensch sagen kann. Denn ich kenne schlicht niemanden, der seinen (langzeitigen) Partner nicht als seinen besten Freund bezeichnen würde. Das kommt schlicht daher, dass man mit dem Partner zwangläufig die größte Intimität hat, die man mit einem anderen Menschen als Erwachsener haben kann. Man wohnt zusammen, tauscht sich täglich über jede Kleinigkeit aus, teilt alles miteinander und erzählt sich alles. Aber es ist auch ein trauriger Satz, denn er zeugt davon, dass man vergisst wie wichtig Freundschaften ausserhalb der Beziehung (egal wie glücklich) sind. Ist der Mann plötzlich der Ex (passiert den besten und manchmal ohne, dass man etwas dafür kann), ist auch der beste Freund weg. Und die anderen Freunde? Vernachlässigt und estranged. Die Gefahr, dann in ein richtiges Loch zu fallen, ist immens. Auch nicht zu unterschätzen außerdem die Gefahr, bei dem besten Freund zu bleiben obwohl man ihn gar nicht mehr liebt (auch das passiert den besten, verliebstesten schonmal) weil man sich ch seines sonstigen sozialen Lebens entledigt hat. Vielleicht ist man sogar vom Freundeskreis des Partners abhängig, der nicht so leichtsinnig war, seine Freundschaften zugunsten der „besten Freundin“ zu vernachlässigen.
    Lange Rede: Amelie, du hast vollkommen Recht. Erwachsenenfreundschaften müssen gepflegt werden und das erfordert ernsthaftes Zeitinvestment, insbesondere auch mal Qualitytime ohne den jeweiligen Partner. Sonst siehtbman alt aus, wenn mah plötzlich wieder Single ist…

    • Ich sehe in dem Satz und der Definition des Partners als besten Freund auch ein Problem. Natürlich ist man mit dem Partner auch befreundet, alles andere wäre ja absurd, und doch ist es schwierig, vom Partner zu verlangen, alle Funktionen einzunehmen: Sexualpartner, Lebenspartner, Familie, bester Freund. Und das nicht nur aus dem großen Grund, dass man mit einer Trennung gleich seinen besten Freund mit verlieren würde – die anderen Rollen beinhalten schon genug Verpflichtungen und Verantwortung dem Anderen gegenüber. Ein bester Freund oder eine beste Freundin ist einfach etwas ganz anderes, ein Begleiter fürs Leben und auch oft der wichtige Ausgleich zur Beziehung, ein Mensch, mit dem man über ganz andere Dinge sprechen kann und der außerhalb des Alltags zu Hause existiert. Mit dem man seinen Horizont immer und immer wieder erweitern kann – wie mit allen anderen Freunden. Weder mein Freund, noch meine Mutter würde ich gerne als beste/n Freund/in bezeichnen, weil beide einfach andere Rollen einnehmen und das gut so ist. Beziehungen sind keine Freundschaften, und ob Beziehungen überhaupt ohne zusätzlich vorhandene Freundschaften existieren können, da bin ich mir nicht sicher.

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