Vero – oder: wenn alle springen, spring ich auch

28. Februar 2018 von in

Social Media ist schnell, unermüdlich und jeder Hype über kurz oder lang schon wieder vorbei. Kein Wunder, dass die Meute so langsam unruhig wurde. Instagram führt seit schon viel zu langer Zeit die Hitliste an, das totgesagte Facebook ist noch lange nicht wirklich tot und selbst Snapchat hat sich lange über Wasser gehalten. Zumindest bis Kylie Jenner kam. Sagen wir es so: Die Zeit ist reif für etwas Neues, und alle scharren mit den Hufen.

Und Neues gibt es jetzt: Vero – die App, die wahres Social Media verspricht. Kein Algorithmus, keine Werbung, dafür Freunde und Professionelle unter einem Hut. Und Musik, überhaupt, es geht endlich wieder um Interessen, um die wahre Person. Man kann alles sharen, was man will. Keine Inszenierung. Es ist zu schön, um wahr zu sein.

Sicher, die Zeit ist reif. Facebook macht kaum mehr Spaß, auch Instagram ist mühsam, Followerwachstum immer schwieriger, und doch genau das basierende Element, um in der App zu überleben. Der Wunsch nach einem fresh start, einem neuen Medium, wo sich jeder ohne Followerkauf und Tricks social-media-technisch ausleben kann, groß. Nur wirklich Vero?

Kaum hatte ich von Vero durch Zufall gehört, wurde mein Instagram-Kanal geflutet. Die Meute wechselte über, Vero ist das neue Ding, auf das alle gewartet haben, wurde groß verkündet. Kaum einer, der sich keinen Vero-Account erstellte. Mein erster Gedanke war: „Puh, noch eine App.“ Mein zweiter: „Wenn da jetzt alle hingehen, sollte man vielleicht auch?“ Mein dritter: „Unbedingt.“ Ausgebremst wurde ich dann nur von der App selbst – sie hakte. Stattdessen hatte ich also Zeit, ein bisschen über Vero nachzulesen. Zum Glück.

Denn nicht nur, dass die App noch ein wenig Anfängerschwierigkeiten hat. Wer ein wenig über Vero recherchiert, denkt vielleicht dreimal darüber nach, sich anzumelden. Sicher: Facebook ist kein Samariterbund, auch andere große Firmen haben oft Dreck am Stecken. Vero reiht sich hier jedoch nahtlos mit ein. Der CEO und Gründer der App ist niemand geringerer als Ayman Hariri, libanesischer Milliardär – und ehemaliger Chef der Baufirma Saudi Oger.

Saudi Oger wiederum geriet 2017 erst in die Schlagzeilen, weil die Firma wegen Korruption, Missmanagement und Ausbeutung ihrer Gast-Arbeiter geschlossen wurde. Die Firma hatte ihre Angestellten in der saudischen Wüste in Arbeitslager gesperrt. Gleichzeitig wurde den Arbeitern jedoch der Zugang zur Kantine verweigert, auch Wasser war knapp. Und das, obwohl die Menschen bis zu 16 Stunden am Tag für das Unternehmen arbeiteten. Die Krönung: Manche Gastarbeiter erhielten keinen Cent für ihre Arbeit – bis zu neun Monatsgehälter wurden nicht ausgezahlt.

Und was hat das jetzt mit der App zu tun, fragt ihr euch? Nichts. Aber jeder, der sich die App herunterlädt und nutzt, unterstützt damit, dass das Konto des Milliardärs, der offensichtlich keinerlei moralische oder SOZIALE Werte hat, weiter wächst.

Möchte ich wirklich, dass ein Milliardär, der durch Korruption und Ausbeutung reich wurde, mit meinem Content und meinen Daten Geld verdient? Zum Thema SOCIAL MEDIA?

Nicht nur, dass der Wert der App bereits durch die zahlreichen Downloads gewachsen ist, auch möchte das CEO-Team von Vero die App künftig als kostenpflichtiges Medium gestalten. Nur die erste Million User soll die App umsonst nutzen können. Und wer die AGBs von Vero liest, blickt dann schlussendlich sowieso nicht mehr durch. Sagen wir es so: Alle Daten samt dem eigenen Namen können von Vero genutzt und für Werbezwecke eingesetzt werden. Und das Abmelden ist auch eher schwierig.

Vielleicht System, vielleicht auch einfach nur Anfangsschwierigkeiten. Vielleicht gar nicht social, vielleicht aber doch. Ist jede Nachricht – ob pro Vero oder anti Vero vielleicht bewusst gesteuert? Und was hat Facebook & Instagram damit zu tun? All das ist noch unklar – und trotzdem sind es alles auch Dinge, die nicht blind geschluckt werden sollten. Und Fragen, die man sich immer und bei jeglichen Konsum stellen sollte.

Bleiben also am Ende drei Fragen:

Kann eine App, deren Gründer mehr als unsozial sind, wirklich die Erlösung von Social Media sein? Vielleicht.

Ist Vero jetzt der neue Shit? Vielleicht.

Was lernen wir daraus? Ich war nach dem ersten Hype-Gedanken und meiner Recherche tatsächlich eher schockiert: Kaum jemand hatte sich mit Vero kritisch auseinandergesetzt. Jeder wollte nur dabei sein. Die App wurde blindlings runtergeladen. Ja nicht den großen Hype, die neue Followerschaft – und vielleicht the next Vero-Influencer verpassen. FOMO. Ein Symptom unserer Zeit? Definitiv.

Dabei sollten wir es besser wissen. Nicht unreflektiert Dinge glauben oder gehypten Sachen blind hinterherrennen. Selbst Mama wusste doch schon: Nur weil es alle machen, heißt es nicht, dass es gut ist. Wir sollten uns außerhalb unserer Bubble austauschen, nachsehen,wo Facebook, Instagram und Vero unsere Daten verwenden, uns informieren, was wir konsumieren  und dann entscheiden. Wer das tut und trotzdem eine App lädt, einen Urlaubsort besucht oder beim Highstreet-Retailer einkauft, tut das bewusst, mit aller Konsequenz. Nur blind hinterherrennen aus Angst etwas zu verpassen, das war schon 1998 uncool.

Die Moral von der Geschicht? Vero kann warten. Zumindest für mich.

Habt ihr die App schon ausprobiert? 

 

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9 Antworten zu “Vero – oder: wenn alle springen, spring ich auch”

  1. Danke für den Artikel, der durchaus nachdenklich macht. Habe die App gestern natürlich auch gleich heruntergeladen (Schaf, das ich bin) und sie heute früh bereits wieder gelöscht. Zum einen, weil sie einfach nicht funktioniert hat und ich bereits genervt war angesichts der Tatsache NOCH einen Social Media Kanal haben zu müssen, zum anderen weil ich die Oberfläche unfassbar hässlich fand. Nach eurem Artikel bin ich nun doppelt froh.

  2. Danke Antonia für das Teilen dieser wichtigen Infos – ich bin sowieso weit davon entfernt, mir jeden Müll runterzuladen, doch Vero wird es nun sicher nicht.
    Am Ende geht es leider immer nur um Daten.
    Lieber Gruss
    Ava

  3. Liebe Antonia,

    danke für den Artikel! Vero war mir von Anfang an suspekt; als ich mir die Werbung angeschaut habe, dachte ich nur: wie unfassbar aufpoliert das alles ist, und dann noch der Name „vero“, wahres social media, as if! Das wirkte alles so gewollt und vor allem hatte es etwas unglaublich sektenhaftes, neeee danke. Aber als ich dann das mit dem CEO gelesen habe, dachte ich mir endgültig nope! Wie kann man so eine App mit dem Wissen unterstützen frage ich mich? Ich hoffe es wird kein „thing“ und verpufft wie google plus.

  4. Danke für den tollen Artikel. Ich wollte Vero auch runterladen – weil ich den Ansatz ohne Algorythmus gut fand. Ich würde auch für Insta oder Facebook einen kleinen Jahresbeitrag zahlen, wenn das organische Wachstum wie früher wäre – daher sehe ich das mit dem bezahlen nicht so kritisch wie vielleicht andere. ABER jemanden zu unterstützen, der wirklich offensichtlich dermaßen unsoziale Machenschaften am laufen hatte fällt auch mir schwer. Daher werde ich mich erstmal nicht anmelden. LG *thea

  5. Plus habe ich gerade festgestellt, dass man seinen Account gar nicht selbst löschen kann, sondern nur per Anfrage an dem Kundenservice. So etwas finde ich immer unverschämt und zielt nur darauf aus, die ganzen schweigenden Accounts denen das zu mühsam ist als Nutzer zu behalten…

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