Fabian Hart kommentiert Mode und vieles darüber hinaus. Auf FabianHart.com und Instagram verwendet er neben Wortakrobatik auch Kleidung als Ausdrucksmittel. In der Jubiläumsausgabe seiner VOGUE-Kolumne „Das neue Blau“ über die Frage nach Männlichkeit zieht er Bilanz: Zu welchen Schlüssen ist er nach rund einem Jahr gekommen und was bewegte seine LeserInnen am meisten?
Das neue Blau: Fabian Hart über Toxic Masculinity und hoffnungsvolle Männlichkeit
Vor einem Jahr ist die erste Ausgabe von #DasNeueBlau erschienen, und seitdem zwölf Texte über das hoffnungsvolle Scheitern von Männlichkeit. Hoffnungsvoll, weil jede Kolumne zwar die Geschichte vom starken Geschlecht als Märchen enttarnt, aber vor allem von einer neuen Freiheit erzählt, als Mann der Rolle des Anführers und Oberhauptes zu entkommen.
Bisher habe ich darüber geschrieben, dass uns Männern eine eigene sexuelle Revolution fehlt, keine der geballten Fäuste, sondern des Willens, sanft und schwach sein zu dürfen. Dass das männliche Körperideal noch immer auf Masse setzt – vom Hunk bis zum Dad Bod – nur um davon abzulenken, dass wir alle sensible Körper mit Mischhaut sind. Ich habe festgestellt, dass Pflegeprodukte die besseren Hanteln sein können, weil viele Männer eher trainieren sollten, fürsorglich zu sich selbst zu sein. Dass Männer und Frauen unterschiedlich leiden – Männer begehen dreimal so häufig Selbstmord wie Frauen – obwohl die Seele kein Geschlecht kennt. Ich habe das Mikro an Freunde und Kollegen abgeben, die Men of Color sind, und gelernt, dass die Erwartungen an ihre Männlichkeit sich von denen an weiße Maskulinität unterscheiden. Ich habe darüber geschrieben, dass Homo- und Transphobie auch immer Misogynie ist und dass Pride nicht bedeutet stolz darauf zu sein queer zu sein, sondern meine Wahrheit zu leben und Ausgrenzung zu riskieren, weil ich es kann.
In den letzten zwölf Monaten habe ich mit etlichen ExpertInnen diskutiert, mit PsychologInnen und MedizinerInnen gesprochen, AktivistInnen und AutorInnen interviewt, Bücher und Essays inhaliert und immer wieder mit LeserInnen geschrieben. Auf Kommentar-Ebene, via DM’s oder Email. „Gut, dass du darüber schreibst“, sagen viele. „Gut, dass wir darüber sprechen“, finde ich. Immer wieder bekomme ich die gleichen Fragen gestellt und antworte entweder privat oder in meinen Instagram Stories. Mit der Jubiläumsausgabe von #DasNeueBlau möchte ich einige davon zum Thema machen und öffentlich beantworten:
„Du bist selbst ein Mann und profitierst von deiner sozialen Position, gerade als weißer Typ. Was tust du selbst dagegen, nicht immer den Mann raushängen zu lassen?“
Öfter einfach mal den Mund halten. Anderen zuhören, die keine weißen cis-Männer sind. Als Autor auf Personen verweisen, die dasselbe Thema aus anderen Perspektiven sehen. Zu erkennen, dass auch ich Männlichkeitshabitus verinnerlicht habe und lernen muss, etwa nicht ständig eine Lösung parat haben zu müssen oder um Hilfe zu bitten. Ich versuche die richtigen PolitikerInnen zu wählen und habe gelernt, dass nichts, was wir tun, nicht politisch ist. Mit Menschen, die Alltagssexismus, -homophobie, -rassismus ganz casual als eigene Meinung verkleiden, habe ich keine Geduld mehr. Kurz gesagt: Wenn ich es schön fände, mich selbst zu hören, habe ich gelernt den Mund zu halten und in anderen Momenten, wenn es eigentlich eher unangenehm wird den Mund aufzumachen, will ich mir nichts verkneifen, was gesagt werden muss.
„Was an Männern genau ist giftig?“
Toxic Masculinity ist ein echt sehr missverständliches Buzzword. Denn nicht Männer sind giftig, sondern bestimmte Eigenschaften zu unterdrücken, die als unmännlich gelten. Gefühle zeigen, die nicht Wut und Aggression sind. Angst zu haben, um Hilfe zu bitten, seine Sorgen zu teilen. Das gängige Narrativ ist ja, dass das Frausein aus dem Mannsein definiert wird. Meine Setzung aber ist, dass Männlichkeit aus der konstanten Ablehnung dessen besteht, was wir als weiblich empfinden.
„Willst du, dass Männer sich wie Frauen verhalten?“
Das führt meine Antwort von oben etwas weiter aus. Denn was genau bedeutet es denn, sich wie eine Frau zu verhalten? Emotional zu sein? Schwach? In der Frage liegt zwischen den Zeilen schon so viel Ablehnung gegenüber Frauen, sie wirkt nahezu lächerlich. „Du verhält dich wie eine Frau“ gilt als Beleidigung für einen Mann und offenbart, wie frauenfeindlich Männlichkeit ist. Gefühle nicht unterdrücken, Nähe zulassen können, über die Dinge sprechen, die einen beschäftigen, sind gesunde Verhaltensweisen für jeden. Sich tatsächlich wie eine zu Frau verhalten ist eine ganz andere, nützliche Übung für jeden Mann: Diättipps aus Zeitschriften befolgen, in Elternzeit gehen und danach in Teilzeit in den Job zurückkehren, weniger verdienen, oder wie wäre es mit Intim-Waxing?
„Wird es irgendwann keine Unterscheidung mehr geben zwischen maskulin und feminin?“
Ich hoffe, dass wir irgendwann aufhören, unsere Gedanken und unser Verhalten nach der allgemeinen Vorstellung von männlich und weiblich zu ordnen. Ich finde auch Sprüche wie „let boys be feminine“ rückständig, weil wir Jungs dadurch zwar erlauben, gefühlvoll und zart zu sein, aber ihnen gleichzeitig klarmachen, dass sie sich damit etwas aneignen, das dem „schwachen Geschlecht“ entliehen ist.
„Warum gelten schwule Männer als keine richtigen Männer?“
Weil wir nach wie vor in patriarchalen Strukturen leben und unsere Vorstellung von Männlichkeit dadurch per se hegemoniale Männlichkeit bedeutet und durch Heteronormativität geprägt ist. Dass viele schwule Jungs und Männer mit traditionellen Geschlechterrollen spielen, hat nicht unbedingt etwas mit Sexualität zu tun. Es ist eher die Erkenntnis, dass man durch den offenen Umgang mit der eigenen Homosexualität sowieso schon dem Anforderungskatalog an Männlichkeit nicht gerecht wird. Diesen Erwartungen nicht entsprechen zu können, bedeutet auch, sie nicht erfüllen zu müssen und darin liegt eine Menge Freiheit.
„Welches Buch zum Thema Männlichkeit kannst du gerade empfehlen?“
Ich mag alle Bücher von bell hooks (Künstlername immer in Kleinschreibung), besonders „All About Love – New Visions“, in dem sie erklärt dass Frauen und Männer unterschiedlich lieben, weil sie dazu angelernt werden. Frauen schenken Liebe, Männer empfangen sie. bell hooks gibt Liebe auch Worte und zitiert den US-amerikanischen Psychater M. Scott Peck, was das eigentlich ist, Liebe:
„The will to extent one’s self for the purpose of nurturing one’s own or another’s spiritual growth.“