Wenn der gemeinsame Nenner verloren geht: Die Vergänglichkeit zwischenmenschlicher Beziehungen

18. Juli 2023 von in ,

Ich habe einen Freund verloren. Als ich von seinem Tod erfuhr, scrollte ich gerade durch Facebook. Bis ein Post aufpoppte. Ich die Trauerbekundungen las. Und mein Herz schwer wurde. Er war gestorben, und ich hatte nichts gewusst.

Menschen kommen immer zu einem bestimmten Zeitpunkt in unser Leben. Manche ganz bewusst, weil wir mit ihnen arbeiten oder studieren. Weil aus einer Zweckbeziehung eine Freundschaft wird. Oder aus einem Swipe eine große Liebe. Manchmal treten Menschen unbewusst in unser Leben. Weil wir zufällig immer an derselben Bushaltestelle stehen, weil sich unsere Arbeitswege kreuzen, weil wir für eine Zeit lang Nachbar:innen sind, weil ein Hobby einen zusammenführt oder weil wir jeden Freitag dieselbe Bar besuchen – und aus DJ, Barpersonal und Türsteher:innen irgendwann Freund:innen werden.

Das erste Mal traf ich diesen Freund in einer Bar. Meine Freund:innen und ich feierten, er arbeitete in der Bar. Was zuerst ein Ort des Zufalls war, wurde irgendwann zur Stammkneipe. Einmal die Woche ging es für uns in die Bar, irgendwann auch zu den Menschen dort. Aus einem Zufallstreffen wurden Verabredungen. Er wurde unsere Anlaufstelle der Nacht. Egal, zu welcher Uhrzeit ich in der Bar auftauchte, alleine war ich nie. Aus Fremden waren Freund:innen geworden. Irgendwer war eben immer da. Diese Bar mit diesen Menschen war unser zweites Wohnzimmer, in dem wir nicht nur die Liebe zur Musik, sondern auch irgendwann unsere Gedanken teilten. Wir waren ein Freundeskreis.

Aus Nächten wurde Tage. Irgendwann trafen wir uns alle auch abseits der Bar. Zu Geburtstagen, mal etwas anderes sehen. In einer anderen Bar abtauchen. Oder im Zweifel später gemeinsam noch in diese eine Bar. An meinem 30. feierten wir bis morgens, und die Bar-Menschen kamen einfach nach. Am Ende saß der engste Kreis um 7 Uhr morgens noch zusammen.

Manchmal begleiten uns Menschen ein Leben lang, viele bleiben nur eine Zeit. Ich hatte Freundschaften, die jegliche Aufs und Abs überstanden haben. Andere Freundschaften blieben nur bis zum nächsten Sturm. Manche Menschen kommen ganz leise ins Leben und hinterlassen tiefe Spuren. Manche Freundschaften starten mit einem großen Knall, oder enden mit eben diesem. Andere Freundschaften verlieren sich im Alltagsgetümmel, einzelne bleiben über alle Zeit bestehen. Manchmal ist der Kontakt intensiv, in anderen Phasen lose. Und manchmal sind Freundschaften in einem Moment extrem wichtig, bis wir uns verändern. Oder das Leben unsere Wege trennt.

Und manchmal sind Freundschaften in einem Moment extrem wichtig, bis wir uns verändern. Oder das Leben unsere Wege trennt.

Die Bar musste irgendwann schließen. Ein letzter Abend mit allen gemeinsam. Das große Versprechen, einen neuen Ort zu finden. Erst sahen wir uns alle noch regelmäßig, irgendwann nur noch sporadisch. Aus der Nähe, die uns die Nächte beschert hatten, wurde Distanz. Das Leben geht eben weiter, Menschen, Lebensrealitäten und Bedürfnisse verändern sich. Wir waren plötzlich nur noch zerstreut, der gemeinsame Ort verschwunden. Dann: eine Pandemie.

Ich habe Freundschaften, die wahrscheinlich mein Leben lang existieren werden. Weil wir uns so ähnlich sind. Weil ich diese Menschen auch nach Jahren treffe, und sich nichts verändert hat. In denen wir einfach wir sind. Die alle Veränderungen mittragen. Ob Weltreise, Hochzeit oder Umzüge. Und dann gibt es jene Freundschaften, die ihre Zeit haben. Die einen gemeinsamen Nenner brauchen, der einen begleitet, damit diese Freundschaft weiter existieren kann. Wie Liebeskummer. Wie ein gemeinsamer Job. Oder ein gemeinsamer Ort, wie eine Bar.

Im Sommer 2021 bekam ich eine Facebook-Nachricht. Ob wir uns nicht alle mal wieder treffen wollten. Jetzt im Sommer, in denen die Regeln nicht ganz so starr sein würden. Meine Pandemie-Angst hielt mich zurück, auch wenn ich all jene gerne wieder gesehen hätte.

Ich sagte ab. Es ist die letzte Nachricht.

Freundschaften, die enden, die sich ausschleichen, bei denen man sich fragt: Warum bin ich eigentlich nicht mehr mit diesem Menschen befreundet, schmerzen mich am meisten. Wann immer mir die Vergänglichkeit zwischenmenschlicher Verbindungen bewusst wird, ziept mein Herz. Wie geht es meinem besten Freund aus der Schulzeit? Würden wir uns heute noch verstehen? Was macht eigentlich meine liebste Arbeitskollegin von vor zehn Jahren? Und warum haben wir es nicht geschafft, den Kontakt zu halten? Ich wünschte, ich könnte mehr Menschen festhalten, in meinem Leben behalten, weiß aber genauso, dass dies der natürliche Verlauf des Lebens ist. Menschen kommen, sie gehen. Sie hinterlassen Spuren, sie prägen uns. Und manchmal hilft alle Anstrengung nichts: Irgendwann sind sie eine Erinnerung. Weil wir einmal Freund:innen waren.

Von der Krankheit jenes Freundes habe ich nichts mitbekommen. Und auch die anderen aus unserer Bar-Clique waren zum Teil ahnungslos. Das Leben hatte uns entzweit. Just in dem Moment, als wir von seinem Tod erfuhren, war da wieder dieses Band. Als wäre es gestern gewesen, tauschten wir uns wieder aus und sprachen über jene Abende in der Bar.

Bis das Leben uns wenig später wieder auseinandertrieb. Ohne zu wissen, ob sich unsere Wege jemals wieder kreuzen werden.

Zwischenmenschliche Beziehungen sind irgendwie verdammt merkwürdig. Und gleichzeitig wunderschön. Es macht mich traurig, zu wissen, dass es Menschen gibt, die mit mir viele Erinnerungen verbinden. Deren Leben auch von mir geprägt wurde. Für die ich heute nur noch eine Erinnerung bin. Und gleichzeitig bin ich froh darüber, immer wieder verschiedene Menschen in mein Leben zu lassen und von ihnen zu lernen. Immer in der Hoffnung, dass uns mehr verbindet, als nur ein gemeinsamer Nenner, ein Moment oder eine Lebensphase.

Der Tod des Freundes hat mir gezeigt, wie vergänglich unser Leben ist. Wie wichtig die Menschen sind, die mich umgeben. Dass ich aber auch nicht alles und jede:n festhalten kann. Außer meine Erinnerungen. Und die sind bis heute vor allem schön. Voller Glück, Lebensfreude und Leben. Und ich bin mir sicher, das würde ihn freuen.

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8 Antworten zu “Wenn der gemeinsame Nenner verloren geht: Die Vergänglichkeit zwischenmenschlicher Beziehungen”

  1. Ein wundervoller Beitrag und ein Prozess der mit diesem Thema frisch hinter mir liegt. Ich habe mich aus der engen Freundschaft mit meiner Freundin heraus entwickelt, weil ich mich sehr verändert habe und es zwischen uns nicht mehr passt. Für wenige Treffen die an der Oberfläche bleiben schon, für tieferes nicht mehr.

    Erst war diese Erkenntnis schmerzlich und nun 2 Jahre später eine Befreiung.

    Alles Liebe für Dich!

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