Toxic Relationships: Wie ungesunde Beziehungen uns heilen können

22. August 2023 von in ,

Toxisch. Ich bin mir sicher, wir alle kennen dieses Wort. Wird es doch mittlerweile ziemlich inflationär für jegliche konfliktbehafteten Beziehungen und Situationen genutzt. Doch was bedeutet „toxisch“ eigentlich genau? Ins Deutsche übersetzt heißt es „giftig“. Und Gift, das weiß jedes Kind, ist gefährlich. Es handelt sich um einen Stoff, der eine mindestens schädliche Wirkung hervorruft. In der zwischenmenschlichen Adaption setzt sich dieser „Stoff“ zusammen aus kritischen Umgangsformen, ungesunden Verhaltensmustern und ungeheilten seelischen Verletzungen. Genau wie echtes Gift, schleicht sich auch der menschliche Stoff oftmals langsam ein und macht sich erst dann bemerkbar, wenn es zu spät ist.

Britney hat’s in ihrem Song „Toxic“ schon vor fast zwanzig Jahren auf den Punkt gebracht und sehr treffend formuliert, wie es sich anfühlt, an eine*n toxische*n Partner*in geraten zu sein. Ihre Worte „too high, can’t come down, losing my head, spinnin‘ ‚round and ‚round” beschreiben es ganz gut.

Die Zerrissenheit, die Abhängigkeit von diesem rar gesäten „Hoch-Gefühl“, die der von einer Droge gleicht. Nicht mehr zu wissen, wo einem der Kopf steht. Am eigenen Verstand zu zweifeln, sich selbst als das Problem zu sehen.

Merkt man doch eigentlich schon längst, dass da etwas nicht stimmt. Dass es so eigentlich nicht laufen sollte. Doch irgendwas, irgendwas ist da, das einen bleiben lässt. In dieser Beziehung voller Manipulation, Enttäuschung, Wut, Trauer und systematischer Zerstörung. Einer Beziehung, in der die Angst, verlassen zu werden, ein ständiger Begleiter ist. Verlassen zu werden von diesem Menschen, der uns immer und immer wieder verletzt – und den wir trotzdem immer und immer mehr lieben.

Ich kenne diese Situation selbst nur zu gut und heute, nachdem meine eigene – nennen wir sie mal „ungesunde“ – Beziehung seit einigen Jahren vorbei ist, stelle ich mir die Frage: Ist das wirklich Liebe gewesen? Oder ist es ab einem bestimmten Zeitpunkt ganz einfach eine emotionale Abhängigkeit, weil unser Gegenüber so lange das Zuckerbrot-und-Peitsche-Spiel mit uns spielt, bis man süchtig danach geworden ist? Süchtig nach der Anerkennung, Zuneigung und dem Wunsch, Teil seines Lebens zu sein?

Ganz sicher bin ich mir da noch immer nicht, was ich aber mittlerweile weiß, ist:

Auch zu einer toxischen Beziehung gehören immer zwei. Denn auch die Person, die sich über Jahre so hat behandeln lassen, die all die Demütigung mitgemacht hat, trägt natürlich eine Verantwortung. Nämlich die für sich selbst.

Sich nur in die Opferrolle zu begeben und mit dem Finger auf den*die andere*n zu zeigen, reicht dann doch nicht. Und, was noch wichtiger ist, es ändert nichts an der Situation und auch nicht daran, dass man sich in Zukunft mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit wieder in eine ähnliche Beziehung manövrieren wird. Und hier kommen wir zu dem Punkt, um den es eigentlich gehen soll.

Was wäre, wenn aus unseren toxischen Beziehungen – egal in welchem Kontext – etwas richtig Gutes entstehen kann? Wenn wir für uns etwas Positives rausziehen könnten? Achtung, good news! Können wir. Wenn wir es tatsächlich erstmal geschafft haben, uns aus einer solchen Verbindung zu lösen, ist es völlig okay, dass wir uns erst einmal eine Weile in Selbstmitleid ertränken und es ist auch okay, daran zu zweifeln, ob die – vielleicht sogar x-te –Trennung, wirklich der richtige Schritt war. Aber: Dann ist es an der Zeit, stolz auf uns zu sein! Und zwar so richtig richtig stolz. Wir haben es geschafft. Endlich haben wir erkannt – oft, wie bei mir, nach etlichen Jahren -, dass wir uns so nicht länger behandeln lassen wollen. Wahrscheinlich zum ersten Mal seit sehr langer Zeit haben wir uns an erste Stelle gesetzt. Und das ist verdammt nochmal nicht leicht. Also: Be proud!

Und was jetzt? Jetzt, wo dieser Mensch nicht mehr unseren Alltag, unsere Emotionen, unser Handeln, unser Sein bestimmt?

Genau jetzt ist es an der Zeit zu reflektieren. Einen Blick zurück und in uns hineinzuwerfen. Auch wir hatten unseren Anteil daran, wie die Beziehung gelaufen ist. Und es gibt Gründe dafür, warum wir empfänglich für bestimmte Verhaltensmuster sind. Auch in meinen vorherigen Beziehungen haben sich – wer hätte es gedacht – ähnliche Dinge ereignet, wie in der letzten. Lügen, Betrug, „Push-Pull“-Taktiken und Co.

Seit ich mich nun dank meiner letzten Beziehung mit meinen eigenen Verhaltensmustern beschäftige, habe ich für mich fünf wichtige Grundsätze erkannt, die für mich die Basis für eine gesunde Beziehung bilden sollten – und das übrigens auf beiden Seiten. Let’s go:

1. Ich kann bedingungslose Liebe erwarten

In meiner Beziehung habe ich jeden Tag versucht, Erwartungen zu erfüllen. So zu sein, wie ich glaubte, sein zu müssen, um von diesem Menschen geliebt zu werden. Später ist mir aufgefallen, dass ich das in gewisser Weise schon immer getan habe. Ich habe mich ab einem bestimmten Punkt in meinem Leben immer überdurchschnittlich an meine Partner angepasst – und das ehrlich gesagt lange Zeit, ohne es zu merken. Klar, wir alle passen uns an die Menschen an, mit denen wir die meiste Zeit verbringen. Das ist normal.

Die Frage ist nur, ob wir wirklich so sein möchten oder ob wir uns der Bestätigung halber in gewissem Maße anpassen. In meinem Fall habe ich oft das Gefühl gehabt, in „seine“ Welt passen zu müssen, um ihn halten zu können. Ein bestimmtes Frauenbild verkörpern zu müssen, um von ihm geliebt zu werden. Schön, erfolgreich, angesehen, sportlich, künstlerisch interessiert, gleichzeitig verständnisvoll, natürlich, leidenschaftlich, abenteuerlustig und gesellschaftlich kompatibel. All das habe ich geglaubt, in mir vereinen zu müssen. Verursacht durch Verhaltensweisen und Worte meines Partners – und meine eigenen Glaubenssätze und Unsicherheiten.

Heute weiß ich: Liebe sollte niemals an Bedingungen geknüpft sein. Sie entsteht. Und zwar weil uns ein Mensch dafür schätzt, was und wer wir sind.

Uns schätzt, für unsere Stärken genauso wie für unsere Schwächen. Tut er das nicht, liebt er uns nicht auf eine echte, ehrliche Art und Weise. Wichtig dafür: Wir müssen uns so zeigen wie, wie wir wirklich sind. Völlig unverstellt. Denn was bringt es uns und unserer Beziehung, wenn wir vorgeben, jemand anderes zu sein? Vielleicht für eine kurze Zeit die augenscheinlich perfekte Beziehung, die Erfüllung unseres persönlichen Märchens und des rosa Luftschlosses. Doch am Ende bleibt es eben doch genau das, ein Luftschloss. Denn der Schmerz und die Enttäuschung kommen. Niemand möchte und kann sich dauerhaft und jeder Lebenslage verstellen.

Diese Erkenntnis bewirkt in mir Erleichterung, auch wenn sie erstmal ziemlich schmerzhaft war. Denn sich einzugestehen, dass der Mensch, den man selbst für sehr lange Zeit sehr geliebt hat, diese Liebe höchstwahrscheinlich nie so empfunden hat, tut weh. Was sich aber echt gut anfühlt ist, verstanden zu haben, dass es nicht notwendig ist, einem Ideal hinterherzulaufen, denn wenn ein Mensch mich nicht so nimmt, wie ich bin, ist er meine Liebe nicht wert und ganz sicher nicht der richtige Mensch für mich.

2. Punkt 1 gilt auch für die Liebe zu mir selbst: Damit mich jemand aufrichtig lieben kann, muss ich mich zuerst selbst lieben

Das, was ich unter Punkt 1 beschreibe, gilt ebenso für mich selbst und die Liebe und Wertschätzung, die ich mir selbst entgegenbringe. Denn, und das haben wir wahrscheinlich alle schonmal von unseren Eltern gehört oder in einem schlauen Magazin gelesen: Nur wenn wir uns selbst lieben und akzeptieren, wie wir sind, können andere das auch tun.

Für mich persönlich ist dieser Punkt noch immer eine der größten Herausforderung. An vielen Tagen bin ich mit mir selbst ganz zufrieden. An anderen verfalle ich doch noch dem Selbstzweifel und der Selbstoptimierung, was ich grundlegend gar nicht für etwas Schlechtes halte. Wenn einem etwas nicht gefällt – ob Verhaltensweisen, Lebensumstände oder körperliche Dinge – kann man es verändern, um sich selbst wohler zu fühlen. Sich aber immer wieder über die gleichen Dinge zu ärgern, sich schlecht zu reden, sein Licht unter den Scheffel zu stellen, weil man denkt, man sei ja eh nicht gut genug, das ist sicherlich nicht der richtige Weg, um eine gesunde Beziehung zu sich selbst aufzubauen.

Leider kann ich nicht mit einem Guide à la „10 Schritte zu mehr Selbstliebe“ dienen. Und ich glaube auch, dass am Ende jeder seinen individuellen Weg finden muss. Mir hilft es aber manchmal, in die Beobachterperspektive zu wechseln und mich selbst so zu sehen wie meine liebsten Menschen, mit denen ich oft liebevoller und verständnisvoller umgehe, als mit mir selbst. Und sind wir mal ehrlich. Wenn wir uns wirklich mal die Zeit dafür nehmen, finden wir doch einige Dinge an uns, die gar nicht mal so schlecht oder sogar ziemlich liebenswert sind.

3. Ich wahre meine persönlichen Grenzen

Wie oft ich meine eigenen Grenzen in Beziehungen überschritten habe und wie oft sie überschritten wurden, kann ich gar nicht mehr sagen. Auf jeden Fall war es zu oft. Jeder Mensch hat seine persönlichen Grenzen, und die sind da, um gewahrt zu werden. Manchmal kann es auch hilfreich sein, seine eigenen Grenzen zu überwinden und daran zu wachsen. Hier sollten wir in uns selbst reinhören und genau schauen, was sich für uns gut anfühlt.

Möchte ich etwas gerade wirklich tun, oder denke ich, dass ich es tun muss, damit ich geliebt werde? Ist das Verhalten meines*r Partners*Partnerin in dieser Situation vertretbar oder beuge ich mich ihm nur, um nicht abgewiesen zu werden? Sollte ich diesen einen Vorwurf in einem Streit annehmen, weil er tatsächlich gerechtfertigt ist, oder sucht mein Gegenüber nur ein Ventil für den Ärger über sich selbst? Unsere Grenzen immer und immer wieder zu überschreiten und überschreiten zu lassen, ist auf Dauer ziemlich zermürbend. Deswegen habe ich mir vorgenommen, sie zukünftig zu kommunizieren, zu beschützen und nur noch einem Mann Platz an meiner Seite einzuräumen, der meine Grenzen respektiert. Und mich genau dafür schätzt.

4. Ich lasse mich nicht mehr von Oberflächlichkeiten leiten

Ich würde mich selbst nicht als oberflächlich bezeichnen. Allerdings habe ich schon immer Wert auf ein gepflegtes Äußeres gelegt. Und ja, ich gebe zu, vielleicht gefallen mir die dunkleren Typen mit braunen Augen und dunklen Haaren noch ein kleines bisschen besser als die nordischen Typen. Früher konnte ich mich auch von schicken Restaurants, einem großen Freundeskreis und einem „guten“ Job beeindrucken lassen. Aber was bedeutet das schon? Ein „guter“ Job oder ein Freundeskreis, der auf den zweiten Blick eher aus entfernten Bekannten als aus wirklich engen Freund*innen besteht. Was sind Restaurantbesuche, teure Kleidung, Einladungen zu gesellschaftlichen Happenings und der Titel als augenscheinlich „tolles Paar“ schon wert, wenn’s hinter den Kulissen dunkel wird?

Lerne ich heute einen Mann kennen, sollte er mir natürlich auch äußerlich auf den ersten Blick gefallen, mein Hauptaugenmerk liegt aber auf anderen Dingen. Über welche Themen kann ich mich mit ihm unterhalten? Wie fühle ich mich in seiner Gegenwart? Ist der Mensch an mir interessiert, stellt er Fragen, was ist ihm selbst wichtig? Und genau das sind doch die Parameter, die für eine funktionierende, im besten Fall lange, glückliche Beziehung, übereinstimmen sollten.

5. Ich möchte mich nie wieder emotional abhängig machen

Toxische Beziehungen gehen meist mit einer emotionalen Abhängigkeit einher. Die eigene Stimmung, der Tagesablauf und teilweise sogar das körperliche Wohlbefinden sind abhängig von dem Verhalten des anderen. Der Grund: extreme Verlustangst. Ich bin ein Mensch mit sehr feinen Antennen für die Gefühle und Stimmungen anderer. Fluch und Segen zugleich. In meiner Beziehung, die teilweise mit extremen Stimmungen gespickt war, habe ich mich oft nach der Laune und den Bedürfnissen meines Partners gerichtet. Bloß keinen Ärger erzeugen, ja nicht noch mehr Salz in eine mögliche Wunde streuen und immer so handeln, dass kein Streit geschürt wird. Wie es mir dabei ging oder was das mit mir gemacht hat, war nebensächlich. Glücklich war ich dann, wenn ich Zuneigung bekam.

Die Zeit nach der Beziehung, meine Zeit als Single, hat mir gezeigt, wie wichtig es für mich ist, zu lernen, mit mir allein sein zu können. Mir mein eigenes Glück, unabhängig von einem Mann, zu schaffen. Mich selbst besser kennenzulernen und zu entdecken, was mir wichtig ist, welche Werte ich vertrete und wofür ich in Zukunft einstehen möchte. Ich glaube: Wenn man sich darüber erst einmal bewusst ist, fällt es leichter, hinter sich selbst und seinen Bedürfnissen zu stehen.

Mein wichtigstes Learning: Hinter jeder glücklichen Beziehung mit jemand anderem steckt auch immer eine gesunde Beziehung zu uns selbst.

Dafür, dass ich all das für mich lernen und aus meiner Beziehung mitnehmen konnte, bin ich sehr dankbar. Ich glaube sogar, dass ich nur so gewisse Teile in mir aufdecken konnte und mich heute sehr viel besser kenne als noch vor einigen Jahren. Das alles dann in einer neuen Beziehung tatsächlich anzuwenden, wird mit Sicherheit nicht von allein gehen, sondern mit neuen Herausforderungen verbunden sein. Aber eben auch mit ganz viel Glück, Aufrichtigkeit und Liebe.

 

 

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