Kolumne: Die Qual der (Bundestags-)Wahl 2021

16. September 2021 von in

Es ist wieder soweit. Die Straßen und Ubahnen der deutschen Städte duften nach Stressschweiß. Die Diskussionen werden heißer als die vorletzte Princess Charming Folge. Die Nachrichten werden noch ein paar Kilo belastender und die Hoffnung transparenter. Wie ein leiser Fade-Out verabschiedete sie sich zumindest bei mir schon vor langer Zeit die Hoffnung auf ein akzeptables Ergebnis in der Bundestagswahl. Doch je näher die Wahlen rücken, desto weiter entfernt sich der Wunsch auf ein Wunder. Call me a Pessimist, doch: Die Wahlzeit ist eine deprimierende, in der ich daran erinnert werde, dass ich machtlos in einem System festhänge, das ich von Grund auf nicht für gut heiße. Die Wahl ist ein mehrschneidiges Schwert, und meine Gefühle sind gemischt. Das Gemisch verträgt der menschliche Körper nur bedingt mit flauem Magen und Kopfschmerzen.

1. Die Qual der Wahl – Wenn keine Option gut ist

Fangen wir mit dem deprimierendsten Teil of them all an: Die schon oben angesprochene Machtlosigkeit in einem System. Die große Frage überschattet alle anderen: Welche Partei wählen? Da kann man noch so viele Wahlomat-Ergebnisse generieren lassen, so richtig zufriedenstellend fühlt sich für mich keine Partei an. Was macht eine Person wie ich, die vom Wahlomat gesagt bekommt, sie solle die Bergpartei oder die Tierschutzpartei wählen? 

Zwar klingt die Bergpartei als selbsternannte „ökoanarchisches-realdadaistisches Sammelbecken“ nicht unpassend zu meinen Bedürfnissen, doch herzlich wenig würde es Deutschland verändern, eine Partei zu wählen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit sowieso nicht die Hürde für den Bundestag reißen wird. Das Gleiche gilt für die Tierschutzpartei auf Platz 2 meiner Wahlomat-Ergebnisse, mit deren Programm ich mich nicht mal beschäftigt habe, deren Parteiname allerdings nicht unpassend klingt. Ich mag Tiere, also haben wir hier schonmal mindestens ein Interessensmatch. Zugegeben. Die Hilfestellung war zwar nett gemeint, lieber Wahlomat, jedoch bin ich genauso ratlos wie vorher. Wen wählt man, wenn man alle Parteien blöd findet? Meine Antwort ist: Die Linke, deren Wahlprogramm und Philosophie mich zugegebenermaßen auch nicht gerade rundum glücklich stimmt. Doch scheint mir die Wahl ein Trauerspiel namens „Das geringste Übel“ zu sein. Lieber wähle ich etwas halbherzig und zähneknirschend, als gar nicht. 

2. Das Privileg: Nutze deine Stimme, auch wenn du gegen das System bist 

Das Meckern ist für diejenigen, die in Deutschland leben, aber kein Wahlrecht haben, wahrscheinlich kaum auszuhalten. Ich kann es mir nur im Entferntesten vorstellen, wie toll es sich anfühlen muss, das erste Mal in Deutschland wählen zu können, weil der deutsche Pass nach jahrelangem Kampf endlich da ist. Das Wählen ist – trotz aller berechtigter Kritik – ein Privileg, und dieses Privileg sollte genutzt werden. Auch deshalb fülle ich zähneknirschend die Papiere aus, um mich der Qual der Wahl hinzugeben, bei der ich mich mit keiner Entscheidung wohl fühle. Für mich, für genau jene, die nicht wählen gehen dürfen und für den winzigen Funken Hoffnung, mit geballter linker Kraft das Schlimmste abwenden zu können und dem rechten Flügel keinen Spielraum zu geben. Oder, realistischer gesagt: So wenig Spielraum wie möglich.

3. Die Geheimnistuerei: Öffne dich und sprich über die Parteien 

„Die Wahl ist etwas sehr Privates“, diesen Satz habe ich in letzter Zeit ziemlich häufig gehört. Ich frage mich immer, was genau daran so privat ist. Der Wahlkampf ist auch nicht privat und Deutschland zwar privatisiert, aber nicht privat. Die Geheimnistuerei darum, welche Partei man wählen wird, ist mir ein Rätsel. Vielleicht ist die Scham zu groß, sich öffentlich zu einer mittelmäßigen Partei zu bekennen, die nur einen Bruchteil der Bedürfnisse abdeckt, die Deutschland dringend nötig hätte (I feel you). Vielleicht ist das schlechte Gewissen zu groß, eine Partei gewählt zu haben, die ein egoistisches Ziel verfolgt. Wie zum Beispiel das sowieso schon überdurchschnittlich hohe Eigenkapital zu schützen und die Reichen noch reicher werden zu lassen, als sie sowieso schon sind. Da kann ich die Geheimnistuerei schon verstehen, das wäre mir auch ganz schön unangenehm. 

Ich persönlich bin der Meinung, dass es wichtig ist, über Parteipräferenzen, zumindest im vertrauten Kreis, zu sprechen, sich auszutauschen, zu informieren und vielleicht sogar offen dafür zu sein, sich gegebenenfalls umstimmen zu lassen.

Die Wahl ist zwar eine Qual, jedoch wünsche ich mir, dass ihr das flaue Magengefühl überwindet und wählen geht – besonders für die, die es nicht dürfen. Und wählt, nicht nur um eure Interessen zu sichern, sondern für die derjenigen, die nicht mal eine Qual der Wahl haben. 

Eltern wünschen sich Enkel und wählen dann CDU.

— Cornelius W. M. Oettle (@C_W_M_O) September 14, 2021

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Eine Antwort zu “Kolumne: Die Qual der (Bundestags-)Wahl 2021”

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