Ein Portrait von einem Mädchen vor einer Blumenwiesen

Coffee Break: Über meine plötzliche Landsehnsucht

17. Juni 2020 von in
Vor ein paar Jahren schrieb unsere Autorin Anja in ihrer Kolumne noch über die Liebe oder was man dafür halten könnte. Nun haben wir Coffee Break neu aufgelegt – und diesmal dreht sich alles um das Thema 30 werden. Über Freunde, die gehen und andere, die dazukommen. Wie man immer mehr weiß, was man kann und trotzdem an manchen Tagen so sehr an sich zweifelt, dass man lieber im Bett liegen bleibt. Darüber, dass man Angst hat, kein Baby bekommen zu können und gleichzeitig totale Angst davor hat, jetzt eines zu bekommen. 30 werden ist anstrengend, aber vor allem eines: wahnsinnig spannend.

Eines meiner Hobbys ist es, mir bei Immobilienscout24 irgendwelche Wohnungen anzuschauen, die ich mir niemals leisten könnte  – das kann in München übrigens schon eine Vier-Zimmer-Wohnung ohne Balkon sein. Danach schaue ich aber immer, was es so an Ein-Zimmer-Wohnungen in meinem Viertel gibt, um mich wieder aufzubauen. So kann ich mich schließlich doch immer über meine jetzige Wohnung freuen, vor allem über ihren Preis. Eine neue Suchanfrage, die sich nun klammheimlich dazugesellt hat, ist diese: „Haus zur Miete“, „bis 1800 Euro“ in Bayern. Und was soll ich sagen? Ich bin verliebt – und zwar in ein renoviertes Bauernhaus bei Weilheim.

Vielleicht ist es ja der Sommer, vielleicht auch Corona. Vielleicht ist es das Älterwerden. Oder, was ich vermute, eine Mischung aus alledem – dass mich das Landleben plötzlich so anlacht.

Dass genau ich das schreibe, die nicht einmal einen Führerschein hat, niemals außerhalb des mittleren Rings in München wohnen würde und schon meckert, wenn sie nach Pasing fahren soll, ist nun ebenso überraschend wie die Auswahl der traumhaften Suchergebnisse. Denn während man in München froh sei darf, wenn man für 1800 Euro überhaupt 80 Quadratmeter findet, bekommt man außerhalb der Stadt schnell mal einen Garten dazu, der doppelt so groß ist. Und sechs Zimmer und Ruhe und einen Blick ins Grüne. Garage natürlich inklusive!

Vielleicht ist es ja der Sommer, vielleicht auch Corona. Vielleicht ist es das Älterwerden. Oder, was ich vermute, eine Mischung aus alledem – dass mich das Landleben plötzlich so anlacht. Ich liebe die Stadt und ihre Vorzüge. Ich kann in München überall zu Fuß hinlaufen. Mit dem Radl brauche ich nie länger als 20 Minuten. Wenn mich mein bester Freund spontan anruft, bin ich in einer Viertelstunde bei ihm. Ich kann eben mal in die Innenstadt spazieren und lokal im Laden einkaufen. Ich kann mir jedes Essen bestellen, auf dass ich gerade Lust habe. Und ich komme immer nach Hause, egal wie spät es ist und wo ich bin. Diese Aufzählung könnte man noch drei Absätze lang weiterführen. Die Stadt bietet wahnsinnig viele Vorteile und wer hier aufgewachsen ist, gewöhnt sich schließlich an sie.

Freunde, die auf dem Land groß geworden sind, schauen mich jedes Mal entgeistert an, wenn ich erzähle, dass ich nie einen Führerschein gemacht habe. Denn der gehört nun mal zu einer anständigen Dorfjugend wie die erste U-Bahn frühmorgens für Stadtkinder.

Freunde, die auf dem Land groß geworden sind, schauen mich jedes Mal entgeistert an, wenn ich erzähle, dass ich nie einen Führerschein gemacht habe. Denn der gehört nun mal zu einer anständigen Dorfjugend wie die erste U-Bahn frühmorgens für Stadtkinder. Ich fahre nun seit 20 Jahren mit den Öffentlichen und kann das Gefühl, dass ein Auto vor meiner Haustüre steht, nicht vermissen, denn ich kenne es schlichtweg nicht. Im Gegensatz dazu schaue ich auch ziemlich entgeistert drein, wenn mir meine Landfreunde erzählen, dass es genau eine Pizzeria im Umkreis gibt – und zu der muss man – Überraschung! – natürlich mit dem Auto fahren.

Aber zurück zur Stadt: So wunderbar sie ist, vieles strengt mich an. Und das auch immer öfter. Das könnte man natürlich auf mein Frührentner-Dasein schieben, ich schiebe es vor allem darauf, dass München immer voller und damit auch unspontaner wird. An einem Feiertag oder am Wochenende bleibt man am besten zuhause oder geht zu jemandem nach Hause – denn die Isar sieht aus, als würde dort demonstriert werden. Zum Frühstücken muss man reservieren, zum Eis in der Schlange stehen und für einen Ausflug um sechs Uhr morgens aufstehen. Diese Art von Erholung strengt mich eher an. Wenn man aber all das unter der Woche macht, erlebt man die wohl schönste kleine Großstadt, die man sich vorstellen kann.

Aber ich träume auch von dem Anderen – und dieser Traum wird nun mal immer lauter: mein eigener grüner Rückzugsort am Wochenende.

Auf München verzichten möchte ich niemals. Vielleicht sieht meine Zukunft also so aus: Ich werde für immer meine bezahlbare Wohnung in der Stadt behalten. In der ich unter der Woche arbeite und lebe, von der aus ich meine Stadt genießen kann. Und in die ich immer fahren kann, wenn ich mich abends bei meinem besten Freund mal wieder verquatscht habe. Aber ich träume auch von dem Anderen – und dieser Traum wird nun mal immer lauter: mein eigener grüner Rückzugsort am Wochenende. Und dafür würde ich sogar auch mal einen Führerschein machen.

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3 Antworten zu “Coffee Break: Über meine plötzliche Landsehnsucht”

  1. Danke für diesen Text!
    Mir geht es ein bißchen ähnlich. Ich bin eigentlich Großstadtkind durch und durch. In Berlin geboren und aufgewachsen und nie länger als 4 Wochen weg gewesen. Die letzten Jahre hat sich Berlin aber sehr verändert und ich habe gemerkt, dass ich die ganzen Möglichkeiten, die Berlin bietet, sowieso nicht nutze. Alle paar Monate gehe ich mal ins Kino, ca. alle zwei Monate in mein Lieblingstheater (wobei das jetzt ja eh nicht geht) und in Clubs mag ich eh nicht (mehr).
    Ich arbeite zwar mit Menschen in Berlin (ich leite Theaterkurse für Erwachsene), aber das könnte ich auch woanders – auch wenn ich mir dann alles wieder von vorn aufbauen muss. Meine Freunde sehe ich in Berlin selten, auch wenn sie nah dran wohnen. Das liegt manchmal an der Entfernung, aber in den meisten Fällen an unserer Eingebundenheit in Alltag und Arbeit, familiären Situationen oder psychischen Erkrankungen. Das heißt, dass ich mit ihnen hauptsächlich online Kontakt habe. Und das kann ich von überall.
    Also haben mein Mann und ich uns entschlossen, im nächsten Jahr Ausschau nach einer Wohnung in Rostock zu halten – am Meer! Und dort dann in den nächsten Jahren im Umfeld nach einem Haus zu gucken. Aber bitte in S-Bahn-Nähe, ich hab nämlich auch keinen Führerschein.:D

    • Liebe Sarah,
      das klingt ja fantastisch! Am Meer wohnen ist bestimmt toll. Und wie du sagst: Oft sieht man Freunde, die in der selben Stadt, teilweise sogar im selben Viertel wohnen, auch nur alle paar Monate. Da macht es wahrscheinlich kaum einen Unterschied, wenn man im Umland wohnt und sich gezielt verabredet. Mein Traum wäre halt, meine kleine Stadtwohnung zu behalten, damit ich bei Bedarf und wenn es mal später wird, hier easy übernachten kann. Aber das ist bisher leider absolute Zukunftsmusik!

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