Modern Romance: Can’t buy me love?

19. Juni 2018 von in

All you need is love, love is a battlefield, love will tear us apart – I wanna know what love is! Kaum ein Thema ist gleichzeitig so allgegenwärtig und so mit Mythen und Missverständnissen verwoben wie die Liebe. Grund genug, sich diesem irrationalsten aller Themen einmal auf analytischer Ebene zu nähern. Denn so mächtig und schön sie auch ist: Auch die Liebe ist nicht frei von kulturellem Wandel. Was die Liebe einmal war, wie sie wurde, was sie heute ist, und was sie in Zukunft werden könnte: Diese Fragen werden in dieser Reihe geklärt – zumindest im Ansatz. Denn ein bisschen mystisch muss die Liebe trotzdem bleiben dürfen.

Liebe und Kapitalismus. Eigentlich zwei Dinge, die nichts miteinander zu tun haben sollten, oder? Dass die Liebe nicht zeitlos ist und von gesellschaftlichen und kulturellem Wandel abhängt, haben wir ja schon geklärt. Heute sind wir in einer Zeit gelandet, in der die Liebe vielleicht widersprüchlicher ist als je zuvor. Glasklar jedoch ist: Sie ist untrennbar mit Konsum verbunden. Romantik ist Konsum und Konsum ist Romantik – und auch deine Definition von Liebe hat ihren Ursprung im Kapitalismus.

 

Diese Entwicklung nahm in der Säkularisierung ihren Anfang – seit dem Bedeutungsverlust von Religion in der westlichen Welt. Vor einigen hundert Jahren, als der Kapitalismus noch in den Kinderschuhen steckte, verloren Religionen im Westen durch die Aufklärung langsam ihre Bedeutungsmacht. Eine andere kulturelle Sphäre nahm den Platz des Außeralltäglichen an: die romantische Liebe. Wo Gott keine Rolle mehr spielt, ist es die Erfahrung der Romantik, die eine Flucht aus dem Alltäglichen verspricht: Eine Welt, die mehr und mehr von ökonomischen, „kalten“ Beziehungen beherrscht wurde. Die Liebe bot eine Art Alternativreligion, die scheinbar frei von Rationalität und Berechnung war: Die neue „höhere Macht“, der man sich nicht verschließen kann. So wurde das Ideal romantischer Liebe zu einem unentbehrlichen Teil des Wohlstandsideales und Teil einer Utopie, die sich seither quer durch die westliche Gesellschaft zieht.

Der Konsum verspricht uns eine Erfüllung romantischer Phantasien.

Dass diese neue Ersatzreligion eine Vielzahl an Sehnsüchten hervorrief, erkannten vielleicht als erste die Werbeindustrie und die neu entstandenen Massenmedien seit dem frühen 20. Jahrhundert: Die Liebe wurde im Westen schnell zur Hauptthematik von Werbung, Filmen, Songs und zeitgenössischer Literatur. Weil nun das Treffen im öffentlichen Raum – wir nennen es heute Dating – das „Vorsprechen“ zu Hause abgelöst hatte, wurde das gemeinsame Konsumieren beim Rendez-Vous zur öffentlichen Bühne der anbahnenden Liebesbeziehung. Waren wurden romantisiert: Ob es nun eine Reise nach Paris oder ein Staubsauger war. Immer versprach der Konsum der Ware eine Erfüllung romantischer Phantasien.

 

Und hier liegt der Ursprung der Bilder, die wir heute selbstverständlich mit Romantik verbinden: Ein Essen zu zweit, ein Strandspaziergang im Sonnenuntergang, ein Kinobesuch, ein Getränk an der Bar. Oder heute immer öfter: Gemeinsame Yogasessions am Strand, Partner-Instagram-Accounts mit Affiliate-Links, Snapchatvideos mit Herzfiltern. Es waren die neue Massenkultur und die Ökonomie, die definierten, wie die kollektive Utopie der romantischen Liebe seither traditionell für uns aussieht. Die Soziologin Eva Illouz fasst das Phänomen so zusammen: „Romantische Liebe ist eine kollektive Arena, in der die sozialen Teilungen und kulturellen Widersprüche des Kapitalismus ausgetragen werden.“

Das Konsumieren ist nötig, um der Liebesbeziehung Gestalt und Form zu geben.

All diese romantischen Blaupausen aus Werbung, Film und Popkultur beschreiben Erfahrungen der Außeralltäglichkeit – einen gemeinsamen Ausstieg aus dem Alltag, der nur mit Konsum möglich wird. Der Gedanke, dass Romantik nur außerhalb von Routine möglich ist, sitzt tief in unserem Unterbewusstsein – und das, obwohl wir eigentlich alle ganz genau wissen, dass sich die wirklich intimen Momente trotzdem meist ganz unverhofft im Alltag abspielen. Trotzdem ist unsere Vorstellung von Romantik untrennbar mit Konsum, und damit mit dem Kapitalismus, verwoben. In den folgenden Jahrzehnten nahm diese Tendenz immer stärker zu – so sehr, dass Konsumartikel heute längst in den innersten Bereich der Liebesbeziehung vorgedrungen sind, indem sie die entsprechenden Gefühle und Erwartungen symbolisch verkörpern. Pralinen, Blumen, Schmuck, Restaurantbesuche, Reisen zu zweit: Das Konsumieren ist nötig, um der Liebesbeziehung Gestalt und Form zu geben. Die Waren wuchern ganz selbstverständlich in die Erfahrungswelt Frischverliebter hinein.


Und die Entwicklung geht nicht nur in eine Richtung: Seit einigen Jahrzehnten nimmt die Tendenz zu, dass nicht nur die Waren romantisiert werden, sondern die Liebe auch ökonomisiert und rationalisiert. Das merkt man sehr deutlich an den Vokabeln, die wir heute in Bezug auf romantische Beziehungen benutzen: Man hat einen Marktwert, macht Kosten-Nutzen-Rechnungen und sucht nach einem romantischen „Teamplayer“. Auch Dating selbst wird spätestens seit Tinder immer mehr zu einer Form des Konsums. Das Internet dient dabei als Katalysator der bestehenden Tendenz: Romantik und Liebe werden rationalisiert – und das, während wir immer noch an der alten Definition der Liebe als etwas Mystisches und Unerklärliches festhalten. Das stürzt unsere Generation in fatale Widersprüche – aber das ist eine andere Geschichte.

Das ganze Thema zum Nachlesen gibt es in Eva Illouz‘ Buch „Der Konsum der Romantik“.

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