Söder, du kannst mich kreuzweise

27. April 2018 von in

Es gibt Tage, da wacht man in Bayern auf, liest die Nachrichten und fragt sich, ob man vielleicht über Nacht in ein Raum-Zeit-Kontinuum geraten und im Jahr 1950 gelandet ist. Die Häufigkeit dieser Erfahrung nahm seit der Amtseinführung eines gewissen Markus Söder als bayerischem Ministerpräsidenten im März diesen Jahres drastisch zu.

Gesetzesbeschlüsse an der Grenze zur Verfassungswidrigkeit scheinen Markus Söders liebstes Hobby zu sein.

Erst wurde ein neues Polizeigesetz vorgestellt, das einen glauben macht, Bayern befände sich im Bürgerkrieg: Die Polizei darf Handgranaten bei sich tragen und schon bei „drohender Gefahr“ – also eigentlich immer – mutmaßliche Störenfriede festnehmen. Das ist ein Eingriff in die Grundrechte im Namen der Sicherheit – und das ausgerechnet im sichersten Bundesland der Republik. Kurz darauf folgte dann der Entwurf zur Einführung des sogenannten „Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz“, das auf Gutdeutsch dafür sorgt, dass psychisch Kranke in Bayern fortan wie Kriminelle behandelt werden sollen: Inklusive Besuchszeitregelung, Überwachung, gegebenenfalls sogar Untersuchung der Körperöffnungen.

Gesetzesbeschlüsse an der Grenze zur Verfassungswidrigkeit scheinen Markus Söders liebstes Hobby zu sein, denn als wäre das nicht genug Irrsinn gewesen, wurde am Dienstag im bayerischen Ministerrat beschlossen, dass ab 1. Juni in den Eingangsbereichen aller staatlichen Behörden ein Kruzifix zu hängen habe – das gilt beispielsweise auch für Hochschulen. Dieser Beschluss kommt einem zurecht vor wie aus einem anderen Jahrhundert – denn bereits im Jahr 1995 hatte das Bundesverfassungsgericht eine „Kruzifixpflicht“ an bayerischen Schulen für verfassungswidrig erklärt. Das ignoriert Markus Söder rebellischerweise einfach – ist das die konservative Revolution, von der immer alle sprechen?

Söder verwendet das Kruzifix als universales Abgrenzungsinstrument.

„Das Kreuz ist nicht ein Zeichen einer Religion“, verkündete Söder. Stattdessen spricht er von christlichen Werten, von einem „Bekenntnis zur Identität“ und der „kulturellen Prägung“ Bayerns. Das Kreuz wird in Söders Logik also zu einer Vergegenständlichung bayerischer Identität und damit zur Folklore – ein Heimatsymbol, ein patriotisches Bekenntnis. Wieso hängen wir nicht stattdessen eine Brezn oder ein Portrait von Franz Beckenbauer in öffentliche Gebäude? Die sind schließlich auch bayerische Folklore. Ganz einfach: Weil es eben irgendwie doch um Religion geht – aber nicht um das Christentum.

Die Kruzifix-Anordnung ist, wenn man so will, der Satz „Der Islam gehört nicht zu Deutschland“ in Beschlussform. Und nicht nur der: Denn praktischerweise entzieht das Kruzifix nicht nur dem Islam, sondern auch gleich allen anderen nicht-christlichen Glaubensrichtungen – inklusive dem Glauben an gar nichts – metaphorisch die Daseinsberechtigung auf bayerischem Boden.

Söder selbst betont, dass es ihm nicht um Religion geht: Stimmt, denn in Wahrheit geht es ihm um so viel mehr. Er verwendet das Kruzifix als universales Abgrenzungsinstrument: Nicht nur gegen andere Religionen, sondern gegen die Andersartigkeit an sich – gegen jegliche Abweichung von der weißen, männlich dominierten, heterosexuellen, christlichen, bayerischen Norm, die Söder mit aller Kraft zu verteidigen versucht. Wenn Söder mit dem Kreuz posiert, dann weil er glaubt, die Diversität der modernen Welt damit abwehren zu können wie einen Vampir, der droht, Bayern das Blut auszusaugen. Nur dass es diese Bedrohung in Wahrheit überhaupt nicht gibt: Diversität bedroht keine christlichen Werte, sondern höchstens Bayerns verstaubten Konservatismus à la 1950.

Auch nach drei Maß im Hofbräuhaus sollte man erkennen, dass es sich hier um bloße Symbolik handelt.

Die „christlichen Werte“ kann man Söder ohnehin nicht abkaufen: Wären ihm diese so wichtig, wie er behauptet, dann würden sich diese Prinzipien auch in seiner Flüchtlings-, Sozial- oder Bildungspolitik niederschlagen. Dass sie das nicht tun, hat er spätestens bei den letzten beiden Beschlüssen, die er ins Rollen brachte, eindrücklich bewiesen. Auch nach drei Maß im Hofbräuhaus sollte man also erkennen, dass es sich hier um bloße Symbolik handelt: Hier wird gestrampelt gegen Modernisierung, Toleranz und Diversität.

Und das alles im Namen des armen Jesus, der übrigens – anders als man meinen könnte, wenn man Söder so zuhört – nie in Bayern war. Da protestieren sogar Christen – und so ist es ausgerechnet ein bayerischer Pfarrer, der am Besten auf den Punkt bringt, was der Kruzifix-Beschluss in Wahrheit ist: Eine Instrumentalisierung des Kreuzes als „verlängerter Arm einer Politik der Ausgrenzung oder des nationalistischen Egoismus“.

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7 Antworten zu “Söder, du kannst mich kreuzweise”

  1. Liebe Antonia,
    ich folge euch schon lange und freue mich neben schönen Outfits, Kollagen und Co. immer wieder sehr über genau solche Texte. Das trifft genau mein Empfinden. Danke dafür. Ihr verköpert für ich damit ein strakes Rollenbild fern ab jeglicher Klischees.

    Viele Grüße, Imke

    • Liebe Imke, vielen Dank für das Kompliment, wir freuen uns sehr, dass du das so siehst! Der Artikel ist übrigens von unserer freien Autorin Johanna Warda geschrieben :).

      Liebe Grüße!
      Amelie

  2. Word! Die CSU ist nur noch peinlich als hätten wir keine anderen Probleme im Land. Wohnungsnot, Insektensterben, Luftverschmutzung, Hebammenmangel – aber ja, Kreuze und Burkaverbot das sind die Themen die uns 2018 bewegen. Ich bin übrigens gläubige Christin und finde das alles andere als christlich. Religion sollte nichts mit dem Statt zu tun haben. Außerdem weder Nächstenliebe noch Respekt vor der Schöpfung sind Herrn Söder wohl ein Begriff.

  3. „Die christlichen Werte kann man Söder ohnehin nicht abkaufen: Wären ihm diese so wichtig, wie er behauptet, dann würden sich diese Prinzipien auch in seiner Flüchtlings-, Sozial- oder Bildungspolitik niederschlagen.“
    Dem ist nichts hinzuzufügen. Johanna hat schon recht: Auch mich kann der Söder mal. Viele Grüße, Michael

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