The Talk: Über das Ich-selbst-bleiben zu zweit

2. November 2018 von in

Meine Eltern schlafen, seitdem ich denken kann, in getrennten Betten. Spricht man sie darauf an, atmen beide erleichtert auf, erklären, dass das für sie Freiheit bedeute, und das getrennte Schlafen eines ihrer ultimativen Beziehungs-Geheimrezepte sei. Man könne sich schließlich gegenseitig besuchen, wer allerdings festgelegt habe, in einer Lebenspartnerschaft müsse man jeden Abend gleichzeitig das Licht ausmachen und später das Schnarchen des Anderen ertragen, das sei ihnen schleierhaft.

Meine Eltern sind seit 32 Jahren zusammen und eines der wenigen Paare, das ich für den Umgang miteinander bewundere. Überhaupt machen sie einige Dinge gemeinsam sehr richtig, was dabei immer eine große Rolle spielt ist allerdings ein großes Thema: Die eigene Ruhe, der eigene Freiraum, so sein zu können, wie man eben ist, und das Zusammenleben mit genau dem Funken Abstand, der beiden seit 32 Jahren das Gefühl gibt, auch gemeinsam bei sich selbst zu bleiben.

Die Balance aus Nähe und Abstand

Die Balance aus Nähe und Abstand ist eine der schwierigsten Disziplinen in einer Partnerschaft, und wenn ich ganz ehrlich zu mir bin, gingen an diesem Thema schon mehrere meiner Beziehungen in die Brüche. Wenn ich mit jemandem zusammen bin, so dachte ich früher, als ich mich nach einem Nachmittagstreffen mit 14 in einer Beziehung wiederfand, die zwei Jahre halten sollte, dann soll dieser jemand so ziemlich wie ich sein, nur eben ein anderer Mensch. Mir immer nah, wir beide wie offene Bücher, die keine Geheimnisse haben und jedes Erlebnis teilen. Damals kriegten der Junge, der seitdem an mir klebte und ich es tatsächlich hin, uns über ein Jahr lang absolut jeden Tag am Stück zu sehen, und irgendetwas anderes kam mir auch gar nicht in den Sinn. Bis ich anfing, mich für Themengebiete zu interessieren, die bei ihm nicht mal müdes Feuer entfachten, und ich daraufhin panisch Schluss machte, der festen Meinung, wir passten also nicht zusammen.

Ein paar Beziehungen, einige Jahre und sehr viele Erfahrungen später, lebe ich jetzt mit jemandem zusammen, der in vielen Dingen überhaupt nicht ist wie ich. Mit dem mich trotzdem wahnsinnig viel verbindet, der aber für manche meiner Interessen so wenig empfindet, wie ich für seine Playstation. Diese Dinge sehe ich heute aber nicht als zwischen uns stehend, sondern sie sind ein Teil von jedem Einzelnen, den man auch einfach nur für sich haben kann. Nicht nur das ist heute also für mich ok, wenn nicht sogar wichtig, sondern auch ein anderes Thema verändert sich jetzt, nach drei Jahren, so langsam: Die gemeinsame Zeit und der Funken Abstand zwischen uns.

Der Funken Abstand zwischen uns

Als alles frisch, neu, bauchkribbelnd, Angst machend und überwältigend war, da drehte sich erst mal viel mehr um die gemeinsame Zeit, als mir lieb war. Die Wochen plante ich, wenn ich ehrlich zu mir bin, am liebsten um die gemeinsamen Tage herum, und beging damit einen der großen Fehler: Ein bisschen weniger Ich, ein bisschen weniger Unabhängigkeit, für mehr Nähe und Zweisamkeit. Zum Glück wurde es nie richtig extrem, wir pendelten uns ganz gut ein, und je wohler ich mich in der Beziehung fühlte, desto leichter fiel es mir, mich selbst nicht zu vergessen.

Das Zusammenziehen vor einem Jahr nahm das große und nervigen Thema der Treffensplanung aus unserer Beziehung heraus und machte es zur Normalität, sich jeden Tag zu begegnen. Und so langsam, ganz langsam veränderte sich etwas in mir: Je näher ich mich meinem Freund fühlte, desto leichter fiel es mir, Abstand zwischen uns zuzulassen.

Ganz plötzlich fühlt es sich so an, als hätte alles eine neue Stufe erreicht, denn in mir verkrampft sich nichts mehr, wenn wir beide einfach mal drauflos unsere Pläne schmieden, ohne darauf zu achten, die wöchentliche Portion Quality Time zu zweit fest einzuplanen – noch vor zwei Jahren war mir genau das unheimlich wichtig. Heute weiß ich, dass wir uns sehen und dass der Andere da ist, das ist sicher und das geht auch nicht weg. Und wenn wir eine Woche lang mal nur ohne einander unterwegs sind, kommen danach auch wieder 2, 3 oder sogar 4 Abende gemeinsam.

Ganz im Gegenteil sehe ich die Zeit mit mir allein, die Zeit für mich und die Zeit für meine ganz eigenen Pläne mittlerweile in völlig neuem Licht: Zum ersten Mal, seitdem ich vor 10 Jahren von zu Hause ausgezogen bin, fühle ich mich wieder ganz wie ich selbst. Eingebettet in etwas, was mich glücklich macht und mir Sicherheit gibt, und gleichzeitig völlig frei in allem, was ich tun und lassen möchte. Habe ich einen Abend für mich, oder mache einfach mal die Tür hinter mir zu, schätze ich jede Sekunde daran und kann die Zeit mit mir selbst mehr genießen denn je.

Das Ich-selbst-bleiben zu zweit

Und so langsam beginne ich zu begreifen, was meine Eltern da immer so reden. Dass die Fähigkeit, Abstand nehmen zu können und dem Anderen Raum zu lassen eines der wertvollsten Dinge in einer Beziehung ist. Und dass genau dieser Raum es ist, der das Ich-selbst-bleiben zu zweit ermöglicht. Sich gegenseitig eigene Zeit zu geben, sich auch in Ruhe lassen zu können, macht alles schöner: den gemeinsamen Umgang liebevoller, die gemeinsame Zeit intensiver.

Welche Regeln und Strukturen man zu zweit für sich findet, muss jeder selbst für sich herausfinden. Je weniger wir uns dabei an Konventionen oder Modellen um uns orientieren, desto mehr finden wir heraus, was beide Menschen in einer Beziehung wirklich wollen. Ob das ein fester Zeit-zu-zweit-Abend pro Woche ist, ein eigenes Schlafzimmer oder die Freiheit, einfach überhaupt keine Pläne zu machen. Und so wachsen wir, wenn wir immer ehrlich zueinander und vor allem uns selbst sind, in einen Zustand, in dem wir nach und nach immer mehr wir selbst in der Zweisamkeit sein können.

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2 Antworten zu “The Talk: Über das Ich-selbst-bleiben zu zweit”

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