Truth bomb zu offenen Beziehungen: Eifersucht ist erst der Anfang

11. März 2024 von in

Johanna* und David*, beide 36, wohnen im Umland von München, haben ein Kind (M., 5 Jahre). Und sind seit einiger, längerer Zeit in einer offenen Beziehung. Das ist ziemlich viel mehr, als nur mit anderen zu schlafen. Johanna erzählt hier von ihren persönlichen Erfahrungen. Zum Beispiel von der permanenten Frage, ob sie denn nicht eifersüchtig sei, wenn ihr Mann sich mit einer anderen Frau trifft und wie sie damit umgeht. *Alle Namen wurden zum Schutz geändert.

Seien wir mal ehrlich: Die wenigsten würden von sich wirklich behaupten (wollen), sie seien eifersüchtig. Es ist kein besonders schönes Gefühl und auch nicht unbedingt eine Eigenschaft, die man gerne von sich preisgibt. Während man auf die Frage nach seinen Schwächen durchaus antworten könnte, man sei unordentlich oder unpünktlich, würde kaum jemand offen zugeben, dass man innerlich fast verbrennt, wenn der Partner vom Mittagessen mit seiner neuen Kollegin erzählt oder noch immer mit der Ex befreundet ist, die auch noch vermeintlich hübscher und erfolgreicher ist.
Mein Mann und ich führen eine offene Ehe, die sich von einer klassischen offenen Beziehung hin zu einem polyamorösen Konstrukt entwickelt hat. Der Unterschied zwischen den beiden Formen? Gefühle und Commitment zu anderen Personen in jeglicher Form sind erlaubt und auch gewünscht. In unserem Leben ist nun inzwischen eben nicht nur Platz für die Ehe, für unser Kind, für die Familie und Freundschaften, sondern auch für Davids* Freundin Kathi* und meinen Freund Felix*. Friends with benefits. Casual datings. Und alles dazwischen.

Mehr Liebe. Mehr schöne Momente. Vielfalt. Offenheit. Toll, eigentlich. Nur Gutes. Oder?
Wirklich easy, peasy, lemon squeezy?

Die Eifersucht traf mich, die sie bis dahin so gut wie nie wirklich empfunden hatte, erst nach über einem Jahr offener Beziehung wie ein Vorschlaghammer. Aber anders als in monogamen Beziehungen war hier nicht das Ende, an dem man versuchte, die Risse wieder zuzuspachteln. Nein, es war erst der Anfang. Der Vorschlaghammer riss Wände und Mauern nieder und legte emotionale Räume frei, die ich bis dahin nur erahnt hatte. Die Eifersucht gab mir plötzlich unglaublich viel Platz, mich selbst nochmal ganz anders zu entdecken, zu entfalten. Das klingt so poetisch. Aber wie bei jedem Wanddurchbruch wurde es erst einmal richtig dreckig! Ich bin bis heute fest davon überzeugt, dass es vor allem deshalb so anstrengend war, weil ich nie gelernt hatte, mit diesem Gefühl umzugehen und mich damit gesund auseinanderzusetzen.

Wenn ich von unserer offenen Ehe erzähle, werde ich nicht selten zuerst auf die Eifersucht angesprochen. Sie ist also auch bei anderen da. In Beziehungen. In Köpfen. In den Gefühlen. Und zwar ziemlich weit vorne mit dabei.

„Bist du denn nicht eifersüchtig, wenn sie sich treffen?“
„Oh Gott, ich könnte das nicht, ich würde vor Eifersucht durchdrehen!“
„Meinen Mann teilen?! Das könnte ich nicht!“

Das muss man schon einmal kurz sacken lassen: In einem Konstrukt, das mehr Freiheit, mehr Raum, mehr Erfüllung, mehr Liebe und Anerkennung zulässt, ist die Eifersucht das, was fast allen dazu als Erstes einfällt. Und alles andere überwiegt. Darüber hinwegwischt.

Ich komme nicht umhin, als mich zu fragen, warum wir eigentlich in einer Gesellschaft leben, in der Beziehungen und Eifersucht so unfassbar eng miteinander verbunden sind. Liebe nahezu untrennbar gebunden an Besitzansprüche, an Kontrolle.

Ich war noch nie ein besonders eifersüchtiger Mensch. Weder in meiner aktuellen Beziehung mit David, noch bei meinen Ex-Freunden. Und weil mir selbst das Gefühl so fremd war, konnte ich nie nachvollziehen, wie stark sich andere herein steigern konnten. Einer meiner Ex-Freunde, zum Beispiel, der mir am laufenden Band vorwarf, dass ich ihn gar nicht richtig lieben würde, weil ich nicht eifersüchtig auf seine Freundinnen war. Immer wieder provozierte er mich mit Worten und Taten, die bei mir Eifersucht entlocken sollten. Das habe ich aber erst viel später begriffen. Stattdessen wurde er selbst immer unkontrollierter und wütender, selbst rasend bei jedem Lächeln und jedem Kontakt. Die Beziehung ging zum Glück auseinander.

Von mehreren Personen in meinem Leben weiß ich, dass sie bereits das Handy des Partners durchsucht haben. Von anderen, dass sie ihren Partnern verboten haben, sich mit bestimmten Freunden und Freundinnen zu treffen. Von „micro cheating“ und „emotional cheating“ ist die Rede, sobald dein Partner sich regelmäßig mit jemand anderem austauscht oder sich auf jemand anderen freut. In den USA verkündet eine Sängerin stolz, sie würde aus Respekt vor ihm Mann keine Duette mit anderen Männern aufnehmen. Jonah Hill wollte seiner Profi-Surfer-Freundin verbieten, Fotos in Badeanzügen zu machen. Wie sagte einmal ein Content Creator aus der Poly-Bubble: „Are the monogs ok?!“

Und ich glaube, genau deshalb müssen wir sehr dringend über das Thema Eifersucht sprechen. Nicht nur im Kontext von offenen Beziehungen, sondern im Kontext von Beziehungen allgemein.

In Zeiten, in denen bei Femiziden immer noch gerne von „Tat aus Liebe“ oder „Beziehungsdrama“ gesprochen wird, müssen wir aufhören, Eifersucht als etwas anzusehen, was eine normale oder gesunde Grundlage für irgendeine Beziehung ist.

Aber das ist schwer, wenn man es durch Medien, Popkultur und sozio-kulturelle, westliche Prägung am laufenden Band vermittelt bekommt. Und eben toxische, übergriffige Verhaltensweisen normalisiert werden. Eines haben diese Verhaltensweisen nämlich gemeinsam: Die eigene Unsicherheit. Verlustängste. Das habe ich inzwischen auch für mich begriffen.

Warum wurde ich nie eifersüchtig aufgrund des Sex‘, verspürte aber dann ein heftiges Brennen und Toben in mir, als mein Mann mir von einem Sushi-Date erzählte? Wie war es möglich, dass ich erst nach über einem Jahr überhaupt Eifersucht verspürte? Wo kam sie her? Hatte ich nun doch selbst Angst, meinen Mann an seine Freundin zu verlieren? Die Angst, dass er sich irgendwann entscheidet, mehr Zeit mit ihr zu verbringen als mit mir? War diese Angst berechtigt? Unzählige Fragen an sich selbst. Und auch an meinen Mann. Offene Kommunikation. Rohe Ehrlichkeit. Verletzlichkeit. Bei der Eifersucht in polyamoren Beziehungen gibt es keine Abkürzung.

Eine Freundin erzählte mir mal, dass sie sich nicht wohl damit fühlte, dass ihr Freund mit einer Arbeitskollegin regelmäßig essen ging. Es gab viel Streit, und sie verbot ihm die gemeinsamen Lunches. Anstatt die zugrunde liegenden Probleme anzugehen – Unsicherheit, ungenügende Kommunikation & Wertschätzung, offensichtlich mangelndes Vertrauen in ihren Partner, zu wenig gemeinsame Zeit und gemeinsamer Alltag – wurde dem Verhalten der anderen Person ein Riegel vorgeschoben. Pflaster darauf. Tür zu. Und dahinter? Ängste.

In monogamen Beziehungen geben wir uns und unseren Partner*innen zu oft nicht die Chance, uns wirklich mit der Eifersucht auseinanderzusetzen und durch diese Unsicherheiten und Glaubenssätze durchzuarbeiten. Stattdessen wird die Symptomatik behandelt.

Nur: Mit Wunschdenken und Ignorieren bleibt der Kern des Problems bestehen. Und mit dauerhafter Eifersucht kann keine Beziehung funktionieren, egal ob offen oder nicht. Sie vergiftet einen selbst und alle Verbindungen um sich herum.

Heute ist es der Streit, weil auf einer Party die Partnerin zu lange mit jemandem gesprochen hat. Morgen ist es die Handykontrolle. Und übermorgen?
Versteht mich nicht falsch. Wenn ich eins gelernt habe, dann ist es, dass es keine schlechten Gefühle gibt. Eifersucht ist nichts, wofür wir uns schämen oder was wir gar unterdrücken sollten. Sie ist Teil von uns, ein Teil unserer Gefühlswelt. Wir fühlen sie, ob wir wollen oder nicht. Sie ist unangenehm. Einnehmend. Lässt Wut und Tränen aufsteigen. Das Gefühl von schrecklicher Ungerechtigkeit. Von ungeliebt-sein, von verlassen-werden. Wir müssen aber sehr wohl das Bewusstsein dafür schärfen, dass Eifersucht nicht die Grundlage von tatsächlichen Handlungen sein darf. Denn diese Handlungen sind meistens eins – hässlich.

Ins Handy des Partners nach auffälligen Nachrichten schauen?
Ein brennendes Gefühl in der Brust, wenn der Name einer Freundin oder Kollegin fällt?
Der Ex in ihrer Arbeit auflauern, um zu sehen, mit wem sie sich trifft?

Nichts von diesen Handlungen entspringt der Liebe. Nichts von diesen Handlungen ist wertschätzend.

Die Eifersucht ist für mich dabei gar kein richtiges Gefühl mehr. Es ist ein Symptom für eine ganze Bandbreite an Gefühlen, die dahinter liegen. Mangel, zum Beispiel. Für mich war es eine simple und augenöffnende Erkenntnis, dass mein Mann und ich einfach zu wenig Datenights hatten, als bei mir die Emotionen über Sushi hochkochten. Wenn ich mir an manchen Tagen selbst aufgequollen und hässlich im Spiegel vorkomme, reagiere ich eifersüchtiger als an Tagen, an denen ich mich klug, stark und begehrenswert fühle.

Eifersucht ist kein Gefühl, dass einfach für sich alleine im Raum steht und erst recht keine lobenswerte Charaktereigenschaft. Es ist ein riesengroßes, blinkendes Neon-Schild auf dem „ACHTUNG, BAUSTELLE!“ steht. Die offene Beziehung hat mich gelehrt, hier ganz genau hinzusehen, in mich hineinzuhören, hinzufühlen. Und etwas zu verändern – und zwar an mir und meinem Leben, anstatt kontrollierend in das Leben von anderen einzugreifen, um mich selbst vermeintlich zu schützen.

In ihrem Buch „Sex at Dawn“ schreiben Cacilda Jetha und Christopher Ryan die Frage:
„If fear is removed from jealousy, what’s left?”.
In der offenen Ehe finde ich zumindest auf diese Frage immer wieder eine Antwort.

Sharing is caring

Eine Antwort zu “Truth bomb zu offenen Beziehungen: Eifersucht ist erst der Anfang”

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Absenden des Kommentars bestätigst Du, dass Du unsere Datenschutzerklärung zur Kenntnis genommen hast.

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner