Wenn das Zuhause nicht mehr am schönsten ist

29. August 2023 von in ,

Die U3 gen Krumme Lanke rattelt vom Kotti, und mein müder Blick erhascht die Innenräume anderer Leben: Von den Gleisen sehe ich eine Mutter, die Armdrücken mit ihrem rund zehnjährigen Sohn stehend in ihrer Küche macht, ein Fenster ist auf, die Vorhänge zu, ein Paar liegt vor dem Fernseher. Manchmal trauere ich um ein Leben in Berlin, das ich mir noch vor gar nicht allzu langer Zeit ausgemalt habe. Eines Tages in Kreuzberg. Eines Tages in einer Drei- bis Vier-Zimmer-Wohnung. Eines Tages dem Wedding den Rücken kehren mitsamt seiner schweren Erinnerungen, die Wohnung räumen, meinen Eiermann-Tisch in frischen vier Wänden platzieren.

Es fühlt sich ein wie ein langes Gehen von einem Ort, dem ich schon länger entwachsen bin, ohne es wirklich zu merken. Gespürt habe ich es.

Vergangenes Jahr im Sommer räume ich mein Wohnzimmer aus, zerreiße alte Uni-Unterlagen, stopfe alte Fotos in Mülltüten. Ich bin genauso zerstreut wie meine Habseligkeiten in der Wohnung: Wegwerfen, verschenken, mitnehmen oder in den Keller sperren sind die Optionen, denn ich habe untervermietet.

Abends treffe ich mich mit M., wir holen uns beim Spätkauf Bumbum-Eis und Radler. Die Süße breitet sich nostalgisch auf meiner Zunge aus, und ich lasse viele Erinnerungen, die ich mit dem Platz, an dem wir sitzen, verbinde, vor meinem inneren Auge wandern. Dieser Ort ist einer von vielen, der sich nicht mehr wie meine Realität anfühlt. Ich habe zu lange in einem Rahmen gelebt, aus dem die Bilder schon längst genommen und in den Keller zum Einstauben gebracht wurden.

Erst jetzt realisiere ich, wie lange ich in einer Erinnerung gelebt habe, statt eine neue Realität zu akzeptieren.

Bevor es im Spätsommer 2022 wieder nach Indonesien geht, drehe ich meine Runde: Innerhalb Berlins treffe ich R., wir gehen bei seinem Lieblings-Italiener im Friedrichshain essen, es kommen viele Dinge hoch, an die ich lange nicht gedacht habe. Der Bezirk trägt für mich eine Schwere, die ich schwer abschütteln kann und eigentlich auch nicht möchte, da sie nur erlebbar ist, wenn ich wirklich dort bin. Sentimental fahre ich mit der S-Bahn durch die Nacht, sammle kleine Abschiede und merke, wie meine Brust bei dem Gedanken an das Fortgehen leichter wird.

Jahre später verlasse ich meine Wohnung, für die ich mich damals im August 2018 bewusst nach der Trennung von meinem damaligen Partner entschieden habe. Die Schmerzen aus dieser Zeit sind wie eingemauert in die Brüstung des nackten Balkons.

Pflanzen habe ich im letzten Jahr gar nicht mehr gekauft. Oft war ich zu lange nicht da.

Ob Indonesien nun das Non-Plus-Ultra ist, werde ich oft vor meinem Abflug nach Lombok gefragt. Ich weiß es nicht, mal sehen. Menschen können Schwebezustände nicht gut ertragen und der Versuch einer Einordnung, was Zuhause ist und was nicht, ist etwas, an dessen Definition ich selbst scheitere. Wie ich mir das leisten könne, kommt nicht selten etwas patzig hinterher geschoben. Was sich so ergeben hat, hat nach und nach meine neue Lebensrealität gebildet. Corona hat mich ziemlich lange ins Homeoffice verbannt und nach einem Jahr Vollzeit von zu Hause arbeitend, habe ich meine Remote-Chance genutzt.

Was mit Athen begonnen hat, hat sich über Korfu und andere deutsche Städte gezogen. Irgendwann konnte ich und habe ich von überall aus gearbeitet. Oft hatte ich die Überlegung länger dorthin zu gehen, wo es warm ist, statt mit zwei Pullovern an der Heizung sitzend meine To Dos abzuarbeiten. Vor allem die Berliner Winter sind hart und ein Jobwechsel hat mir einen Monat Pause verschafft, den ich nach einer sehr intensiven Arbeitszeit, Weihnachten und Silvester gut gebrauchen konnte. Aufgrund der Reisebeschränkungen fiel meine Wahl auf Sri Lanka, wo ich einen Monat verbracht habe.

 

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Als ich wieder zurückkomme, hat sich etwas in mir verändert, und ich merke, ich will wieder weg. Daher habe ich es seitdem auch nie mehr länger als ein paar Monate in Berlin ausgehalten.

Von da hat sich mein Leben recht nomadenhaft ausgebreitet. Den Anker zwar immer noch in Berlin gesetzt, aber eine Abnabelung war nicht mehr aufzuhalten. Meine Mutter hat mich irgendwann ganz trocken gebeten, ihr Bescheid zu sagen, wenn ich da sei und nicht, wenn ich weg wäre.

Nach und nach ging es mir mit Berlin so wie mit meiner alten Heimat: Ich konnte es dort genießen, wenn ich wusste, dass ich diesem Ort bald wieder den Rücken kehren werde.

 

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Ich lebe in den vergangenen Jahren auf Lombok, Bali und in Australien. Ich finde temporäres Zuhause in der Welt, entwickle mich weiter, löse mich aus alten Gewohnheiten. Alles, was in meiner Berliner Tristesse nicht gedeihen konnte. Meinem eigenen Berlin-Bashing kann ich irgendwann selbst nicht mehr zuhören und anstatt mich zu beschweren, streiche ich die Segel.

Was bleibt, ist die Frage, was Zuhause überhaupt ist.

Da, wo sich das mobile Endgerät mit dem Wifi automatisch verbindet? Da, wo ich meine Bücher im Regal nach Farbe sortieren kann? Da, wo sich mein Späti-Verkäufer wundert, wenn ich nicht mehr komme? Da, wo ich Hausschuhe und einen Bademantel habe? Dort, wo alle meine Freund:innen leben?

Heute hier, morgen dort – so extrem möchte ich mein Leben nicht leben.

So sehr ich mir gewünscht hätte, in Berlin sesshaft zu werden, so sehr bin ich dieser Stadt – zumindest im Moment – entwachsen.

Am Ende werde ich so lange weiterziehen und meinen Rucksack immer wieder schultern, bis ich einen Ort gefunden habe, der sich für mich wieder wie Zuhause anfühlt. In der Zwischenzeit werde ich mir selbst das beste Zuhause sein, auch wenn ich meine flauschigen Hausschuhe schon manchmal vermisse.

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