Barbie: Über Widersprüche, kindliche Euphorie und Selbstkritik

24. Juli 2023 von in
Eine Welt, in der unterschiedlichste Frauen den obersten Gerichtshof bilden, sich untereinander nicht bekriegen und keinen Wert auf männliche Beachtung legen: Was sich anhört wie eine erfrischende und äußert innovative Filmhandlung, ist ausgerechnet ein kleiner Einblick in den neuen Barbie-Film. Ein Film, der wider Erwarten von der ehrlichen Auseinandersetzung toxischer Männerbilder, Frauenzusammenhalt, Selbstreflexion und Humor getragen wird. Ich bin begeistert. 

Schon bei Bekanntgabe des Filmes schien durch, dass es nur zwei Möglichkeiten an Film- und Themenkritik geben kann. Entweder es wird ein Desaster, oder es wird grandios. Doch unter Gerda Gerwig, einer Indie-Film-Regisseurin, die für ihre feministischen Werke bekannt ist, standen alle Zeichen auf Grandiosität. Und diese überwog definitiv.  

Vorweg: Wer mit den Farben Pink und Rosa, Feminismus und (teils alberner) Ironie nichts anfangen kann, wird diesen Film schlichtweg hassen. Alle anderen werden zumindest vereinzelt Stellen finden, die sie lieben und die sie überraschen. Die gesamte Filmlänge herrscht ein einziges Augenzwinkern. So klassisch Barbie-like der Film beginnen mag, so rasant wird er auch politisch und gesellschaftskritisch. Dabei sind die Kulissen, die Outfits, die Musik, das Setting und die Dialoge auf den Punkt. Humor spielt bei dem Film eine enorme Rolle. Selbst der Verantwortliche der Firma Mattel muss das Ego ordentlich hinter sich gelassen haben, um dieses Drehbuch durchzuwinken, denn für die Mattel-Szenen muss man definitiv über sich selbst lachen können. 

Zusammengefasst vermittelt der Film: Frauen können ALLES! „Barbie“ ist einfach alles. Besonders lustig, vielseitig, beeindruckend, feministisch, willensstark. Jede Frau ist Barbie. Jeder Mann ist Ken. Dabei spielt weder Gewicht noch Ethnie noch die körperliche Beeinträchtigung eine Rolle. So ist zumindest die Botschaft des Filmes. In „Barbieland“ regieren die Frauen, Männer sind einfach: da. Sie spielen eine marginale Rolle im Schatten der Barbies, die hingegen in riesigen Anwesen (Barbie-Villen) leben und als Ärztinnen, Schriftstellerinnen und Präsidentinnen arbeiten

Aufgrund von Cellulite, platter Füße und Todesgedanken muss die stereotypische Barbie (natürlich Margot Robbie) einen Abstecher in die echte Welt machen (natürlich in Birkenstocks statt in High Heels). Dort merkt sie, dass Barbieland der Realität nicht weiter entfernt sein könnte. Plötzlich steht sie vor jeder Menge ego-überlaufendem Testosteron und somit: vor dem Patriarchat. Blankes Entsetzen in Barbies perfektem Gesicht, als sie merkt, dass weder CEO noch CFO, noch COO der Firma Mattel weiblich sind. In der „echten Welt“ ist nur die Empfangsdame des Riesenkonzerns weiblich (ja, ich weiß!!). Wie sie damit umgeht, nehme ich nicht vorweg.

Hier kommt auch der Mattel-Humor zum Einsatz, denn es fallen Mitarbeitersätze, wie: „Das mit dem Patriarchat machen wir immer noch gut, wir verstecken es jetzt nur besser.“ Selbstkritik mit einem Augenzwinkern: Das gefällt uns. Noch lustiger wäre es, wenn es doch nicht so wahr wäre. 

Barbieland ist perfekt

In Barbieland gibt es keine Negativität, kein Kummer, alles ist schön, alles ist feministisch, alles ist perfekt: Die echte Welt hingegen ist das Gegenteil. Daher ist es eine „echte“ Frau, die im Film mit absolut wahren Worten allen Beteiligten die Augen öffnet und verdeutlicht, was von Frauen eigentlich alles erwartet wird.  Dass aber auch eine Welt, in der Männer unterdrückt werden, nicht funktioniert, wird auch in Barbieland schnell deutlich. Es geht eben – auch im Film – um Individualität und die Unerlässlichkeit der Selbstständigkeit – ohne je im Schatten eines anderen Menschens zu stehen. 

Während einer Mental-Breakdown-Szene, in der Barbie (Margot Robbie) über äußerliche Selbstzweifel klagt, setzt eine Frauenstimme aus der Regie ein und verkündet die Anmerkung, dass es die falsche Besetzung sei, wenn dieser Szene glaubwürdig herüberkommen sollte. Grandios. 

Auch wenn uns eine Barbie mit Selbstzweifeln sehr weit weg vorkommt, in ihr steckt mehr als eine schöne Hülle. Denn theoretisch (!!) konnte Barbie schon früher mehr sein, als nur die wunderschöne blonde Barbie. Sie konnte Astronautin sein oder Ärztin. Wenn wir ihr das richtige Kostüm kauften, was es immer passend zu jeder Barbie gab. Die erste schwarze Barbie erschien in den 1960er-Jahren. Fast schon progressiv im Puppen-Land. Aber: Die erste Barbie im Rollstuhl kam hingegen erst 30 Jahre später auf den Markt. Kurvige Barbies, also alles, was über Konfektionsgröße 36 hinausgeht, sind erst seit 2016 zu erwerben. Heute gibt es Barbie in den unterschiedlichsten Ausführungen. Der bekannte Barbie-Slogan: „You can be everything“ wird also leider erst seit kurzer Zeit gelebt. 

Realitätsflucht oder Realität?

Die Frage ist also: Verdrängen wir mit dem Barbie-Film die Realität oder gar die Problematik rund um Matell und Barbie oder ist es eine raffinierte Art und Weise, die Realität rund um das Barbie-Image neu zu bilden? Wahrscheinlich ist es alles und gar nichts. Dennoch vermittelt der Film die feministische Botschaft, die wir uns alle von Barbie gewünscht hätten. So perfekt und unrealistisch Barbieland auch ist, so wahrhaftig, aktuell und wichtig sind die Dialoge und die Handlungen im Film. Wenn auch verpackt in rosafarbenem Plastik. Dennoch werden gesellschaftsrelevante Themen kritisch (!) angesprochen. Nicht beiläufig, sondern konzentriert. Und gerade weil viele von uns mit Barbie und ihren unrealistisch langen Beine, die im Spagat Stunden verweilte, groß geworden sind, erreicht uns die Botschaft vielleicht auf anderer Ebene. Der Film löst Nostalgie aus und lässt uns gleichzeitig auf eine teilweise harte Realität blicken.

Wie feministisch ist Barbie?

Wenn man sich die makellose (Barbie-stereotypische) Besetzung des Filmes anschaut, kann man sich schon mal in (vielleicht auch zuerst gerechtfertigte) negative Kritik stürzen. Das war auch mein erster Gedanke. Jedoch sollte man sich den Film einmal ansehen – und dann urteilen. Denn dieser Film ist einfach mehr.

Ruth Handler, die Schöpferin von Barbie, hat die blonde, viel zu biegsame Plastikfigur einst nach ihrer Tochter Barbara Millicent Roberts genannt. Die Puppe Barbie ist heute die bekannteste Puppe der Welt. Und Great Gerwig macht einfach einen Film aus der Puppe. Einen Film, der alle überrascht.

Neben den wichtigen Botschaften, vermittelt der Film auch jede Menge Emotionen. Der Film hat mich berührt. Berührt, aufgrund der Erinnerungen, die mit Barbie zusammenhängen. Aber auch berührt, weil der Film so viel tiefer geht, als man vermutet. An vielen Stellen kann man als Zuschauer:in nickend schmunzeln, an anderen nickend schluchzen. Es fühlt sich teilweise an, als würde man sich mit dem eigenen inneren Kind auseinandersetzen – und zwar sanft. Es geht um unrealistische Erwartungen, die einem im Leben begegnen. Es geht um das Frau-sein. Und um das Erwachsenwerden.

Dennoch dürfen wir bei all der Euphorie nicht vergessen, dass es trotzdem die Puppe Barbie war, die einen teils ungesunden Einfluss auf das Schönheitsideal junger Mädchen hatte. Selbstverständlich ist die Arbeit nicht so einfach mit dem Film getan. Ein einziger Film, so schön er auch sein mag, wird nicht das verändern, was sich über Jahrzehnte eingebrannt hat. Aber das ist vielleicht auch nicht der Job eines Filmes. Viel mehr geht es darum, auf die Missstände, die immer noch herrschen (egal, wie gut sie versteckt werden), aufmerksam zu machen und auf spielerische und besonders aufmerksamkeitsstarke Weise wiederzugeben. 

Profitmaximierung und Oscar-Absichten

Wer in den vergangenen Tagen, besonders in der Woche vor Filmstart, nicht gerade Urlaub auf dem Mond machte, dem wird die enorme Marketing-Maschinerie aufgefallen sein. Mattel hat sich nicht gerade dezent verhalten. Der Merch in fast jedem Bekleidungsgeschäft. Die Banner auf unterschiedlichsten Websites und pinkfarbene T-Shirts und Plakate auf der Straße. Allesamt versehen mit dem bekannten Barbie-Logo. Gleichzeitig ist der Film auf einen Oscar aus – ein, wie sich herausstellte, realistisches Ziel.

Für uns heißt es also, dass wir dabei nicht vergessen dürfen, dass hinter all dem Schönen auch am Ende einfach ein Produkt steckt. Ein Produkt, Barbie, das aufgrund der eigenen Historie und der positiven Veränderungen in der Gesellschaft ordentlich kämpfen musste. Es war also bitter nötig, sich neu zu positionieren und die Werbetrommel zu rühren (Money, Money, Money). Rosa Smeg-Toaster und Birkenstock als Produktplatzierungen und gegenwärtige relevante Themen verpackt in einem Film bedeuten auch immer eine hohe Einnahme, die der Firma Matell wieder den Sprit verleiht, der ihnen beinahe ausgegangen ist. 

Daher: Selbstverständlich ist die Darstellung und Besetzung der Diversität aufgesetzt. Dennoch vermittelt sie in Anbetracht der Tatsache, dass der Film ab sechs Jahren angesehen werden kann, eine feministische, bestärkende und berührende Botschaft. Natürlich ist der Film nicht perfekt. Wie auch? Wir sagen ja gerade, dass nichts perfekt sein kann. Dennoch strotzt der Film mehr vor Überraschung und Grandiosität als vor Enttäuschung. Und vielleicht ist es am Ende einfach nur: Barbie, der Film. 

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