Beziehungs-Fragebogen: Lidia, 37 und Gregor, 36, mit Sohn
Wie kann Gleichberechtigung in einer Beziehung aussehen? Wie können Alltagsaufgaben so aufgeteilt werden, dass sich alle damit wohlfühlen? Wie kann mit dem Mental Load des gemeinsamen Lebens umgegangen werden, egal ob man gemeinsame Kinder hat oder noch gar nicht zusammenwohnt?
Für diese Fragen gibt es kein Patentrezept, vielmehr ist jede Beziehung und Familienkonstellation individuell. Ein Austausch darüber, wie verschiedene Paare das Thema Gleichberechtigung in ihrer Beziehung leben, ist daher umso spannender. Deshalb haben wir eine neue Serie gestartet: Den Beziehungs-Fragebogen, der sich um die Themen Gleichberechtigung und Mental Load dreht. Themen, bei denen es kein Richtig oder Falsch gibt, sondern nur ganz viel Austarieren, in sich hineinfühlen und Ausprobieren. Und darüber sprechen, um zu sehen, was sich bei anderen bewährt hat – Vorhang auf für unsere vierte Folge des Beziehungs-Fragebogens!
Wie heißt ihr, wie alt seid ihr, wie ist der Hintergrund eurer Lebensumstände?
Wir sind Lidia, 37 und Gregor, 36, und schon seit 19 Jahren ein Paar. Unsere erste gemeinsame Wohnung haben wir vor 12 Jahren bezogen. Mittlerweile haben wir ein gemeinsames Kind, das 4 Jahre alt ist, und arbeiten auch zusammen.
Eine erste Einschätzung: Fühlt ihr euch beide gleichberechtigt in der Beziehung?
Wir sind beide mit alleinerziehenden, berufstätigen Müttern aufgewachsen, möglicherweise kam uns dadurch nie etwas anderes in den Sinn, als eine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen – in unserem Fall – Mann und Frau anzustreben. Da wir in der gleichen Branche arbeiten, gab es nie ein großartiges Gehaltsgefälle, sodass wir uns auch monetär immer schon gleich stark einbringen konnten. Die Möglichkeit, die finanzielle Verantwortung gleich zu verteilen, schafft eine gute Basis für eine gleichberechtigte Partnerschaft. Die Aufgabenverteilung versuchen wir ähnlich anzugehen, allerdings ist die Umsetzung im Alltagsstress nicht immer möglich. Aber ich glaube, wir haben beide eine gewisse Toleranz entwickelt, solange es sich nur phasenweise mal nicht ganz so gleichberechtigt anfühlt.
Was bedeutet für euch Gleichberechtigung? Strebt ihr überall eine 50:50-Verteilung an, oder habt ihr eine andere Vorstellung von Gleichberechtigung?
50:50 ist ja eher eine symbolische als eine reale Verteilung. Erstens: Wer rechnet genau nach? Und wer beurteilt die “Punkthöhe” der jeweiligen Aufgaben? Für uns ist es ein Gefühl von Ausgeglichenheit, wie bei einer individuellen und sehr dynamischen Waagschale. Wenn sich eine Seite “zu schwer” anfühlt, sprich ein Partner unter seiner Aufgabenlast leidet, dann müssen beide daran arbeiten, das Gleichgewicht wiederherzustellen. Wenn man ehrlich ist, dann gibt es das perfekte Gleichgewicht eigentlich kaum, es geht eher ums Feststellen des Ungleichgewichts und den Prozess des “Wiederherstellens”.
Durch welche konkrete Situation wurde euch das Thema Mental Load und eine eventuell ungleiche Verteilung von Aufgaben zum ersten Mal bewusst?
Ganz klassisch: Mit der Geburt unseres Sohnes. Lidia war für die Care Arbeit und Gregor für die Erwerbsarbeit zuständig. Das passte in unserem Fall überhaupt nicht. Lidia war überlastet und unausgelastet zugleich. Gregor wollte mehr Care Arbeit übernehmen, konnte es aber mit der Arbeit nicht richtig vereinen. Beide fühlten sich zerrissen und unausgeglichen.
Was sind grundsätzlich jeweils eure Stärken und Schwächen?
Organisatorisches und Planerisches liegt bei Lidia. Diese Aufgaben gehören nicht nur zu ihren Stärken, sondern machen ihr in einem gewissen Umfang auch absolut nichts aus. Das umfasst Urlaubsplanung, Verabredungen mit Freunden, Vorsorgetermin bei Ärzten, aber auch Anträge bei Behörden, und im beruflichen Kontext sind es Buchhaltung, Controlling und Co.
Die praktische Umsetzung, das “Anpacken” und die Spontaneität sind Gregors Stärken. Er wird lieber mit einer fertigen Einkaufsliste losgeschickt, als das Essen für die Woche zu planen und die Liste selbst zu schreiben. Er findet sich außerdem deutlich besser in stressigen, hektischen Situationen zurecht, wie im überfüllten Supermarkt oder beim Autofahren in einem fremden Land.
Wer von euch fühlt sich tendenziell für welche Bereiche mehr verantwortlich?
Grundsätzlich sind wir beide für alles verantwortlich. Mit den Jahren haben wir aber Aufgaben zum Teil ganz automatisch den jeweiligen Stärken entsprechend verteilt. Auch wenn wir’s wahrscheinlich nicht wahrhaben wollen, fallen wir hier gerne mal in klassische Rollenmuster zurück, zum Beispiel hat Lidia immer im Kopf, welche Kleidung in welcher Größe für den Nachwuchs angeschafft werden muss. Und Gregor ist derjenige, der weiß, wie man den Router neu einstellt, damit das Internet wieder funktioniert. Ich würde schon sagen, dass diese Aufgabenbereiche ein wenig den jeweiligen Interessen entsprechen, aber gerne verbringen wir unsere Zeit nicht unbedingt damit. Generell würden wir beide in Zukunft lieber Unterstützung, zum Beispiel im Haushalt oder bei den Finanzen, in Anspruch nehmen, um mehr Zeit für die Dinge zu haben, die wir wirklich gerne tun.
Wie handhabt ihr eure Finanzen?
Für unser gemeinsames Leben haben wir seit einigen Jahren vier Konten. Ein Geschäftskonto für berufliche Finanzen, jeweils ein eigenes privates Konto und ein gemeinsames Konto für Miete und andere laufende Kosten wie Strom, Netflix und Kinderbetreuung sowie Ausgaben für Lebensmittel, medizinische Kosten oder Anschaffungen. Da wir unsere Geschäftseinnahmen 50:50 teilen, verfügt jeder über den gleichen Betrag und zahlt den gleichen Anteil an allem. Weil sich private und berufliche Finanzen so stark bei uns vermischen, führt Lidia ziemlich genau Buch über alle Einnahmen und Ausgaben. Das hilft ungemein, um finanzielle Entscheidungen zu treffen und zu vermeiden, dass es irgendwann mal eng wird mit unseren Ressourcen.
Wie sind die Haushaltsaufgaben bei euch aufgeteilt?
Von den üblichen Haushaltsaufgaben gibt es keine, die ausschließlich einer von uns übernimmt. Manche Dinge sind von der Tagesform abhängig, wer etwa gerade mehr Lust zu kochen hat, oder von äußeren Faktoren. Bekommt einer von uns zum Beispiel Besuch von Freunden oder Familie, dann hat diese Person mehr Anlass und Motivation, die Wohnung zu putzen. Es gibt aber auch ein paar relativ klare Aufteilungen, zum Beispiel übernimmt Gregor fast vollständig die Tierpflege mit Katzentoilette bis Fellpflege. Dafür macht Lidia die Wäsche vom Vorsortieren, übers Waschen, Aufhängen, Falten und Einräumen.
Wie laufen soziale Planungen bei euch ab, übernimmt hier einer mehr?
Soziale Planungen werden in den meisten Fällen von Lidia initiiert, anschließend gemeinsam besprochen und gegebenenfalls Aufgaben verteilt, wie Geschenke besorgen oder Aufräumen und Einkaufen, wenn jemand zu Besuch kommt. Je älter jedoch der Nachwuchs wird, desto aufwendiger und fordernder wird dieser Teil des Familienlebens, sodass wir uns, wenn’s möglich ist, zwischendurch bewusst Pausen von sozialen “Verpflichtungen” nehmen, um mal durchzuatmen.
Wie läuft bei euch die Planung von Unternehmungen und Reisen ab? Wer recherchiert, wer plant, wer trifft Entscheidungen?
Lidia war schon seit Beginn der Beziehung diejenige, die einerseits immer Hummeln im Hintern hat und andererseits gerne Pläne schmiedet. Sie braucht immer etwas zu tun oder etwas, worauf sie sich freuen kann. Außerdem hat sie meist sehr konkrete Vorstellungen. Dadurch werden Unternehmungen und Reisen meistens von ihr initiiert und geplant. Wenn sie allerdings mal nicht weiterweiß, weil etwas aufwendiger oder teurer ist als gedacht, dann werden die Köpfe zusammengesteckt und gemeinsam Lösungen gefunden. Entscheidungen werden immer zu zweit getroffen, es wird also nichts angesteuert oder gemacht, worauf einer absolut keine Lust hat.
Falls ihr Kinder habt: Wer übernimmt hier tendenziell was? Und wie habt ihr die Elterzeit aufgeteilt?
Das Kind war – soweit das eben geht – geplant, die Umstände, in die es “hineingeboren” wurde, nicht so sehr. Noch während der Schwangerschaft wurde bei Lidias Arbeitgeber ihre Abteilung aufgelöst. Sie wusste also nicht, wie ihre berufliche Reise nach der Geburt weitergehen würde. Dadurch nahm sie den größeren Anteil der Elternzeit, 11 Monate. Diese war bei uns direkt ans Elterngeld gekoppelt, weil wir nicht von nur einem Gehalt leben können. Gregor nahm drei Monate Elternzeit, wechselte anschließend in Teilzeit und kündigte dann sogar seinen Job, um Familie und Beruf besser vereinbaren zu können. Wären die Umstände anders gewesen, hätten wir uns eine gleichmäßigere Verteilung der Care-Arbeit im ersten Jahr sehr gut vorstellen können. Wir ergänzen uns bei diesem Thema mittlerweile ganz gut, aber Gregor war deutlich entspannter und ausgeglichener in den ersten Lebensjahren als Lidia.
Mittlerweile teilen wir uns deutlich stärker nach unseren persönlichen Vorstellungen vom Familienleben auf: Die täglichen Aufgaben, wie das morgendliche und abendliche Fertigmachen, werden abwechselnd übernommen. Nachmittage und Wochenenden verbringen wir überwiegend als Familie. Wenn jemand von uns eine stressige Phase bei der Arbeit hat oder gesundheitlich angeschlagen ist, dann übernimmt der andere mehr. Wir versuchen darauf zu achten, dass es ausgewogen bleibt. In der Praxis kann sich aber eine Phase auch leicht in Routine umwandeln, dann müssen wir schauen, wie wir das wieder ändern können.
Ihr arbeitet auch zusammen, wer übernimmt hier was, wo gibt es Reibungspunkte und was funktioniert gut?
Aus unserer Erfahrung ist zusammen sein als Paar UND zusammen arbeiten als Partner eine krasse Herausforderung. In beiden Fällen ist – Suprise, Suprise! – gute Kommunikation das A und O. Und obwohl wir stetig daran arbeiten, gibt es immer wieder Situationen und Phasen, in denen es zu Reibungen kommt. Meistens, wenn einer von beiden – oder im Worst Case sogar beide – zu viel Stress und Druck verspürt. Eine gerechte Verteilung des Loads wäre natürlich auch hier eine mögliche Lösung, aber das ist als Dienstleister mit einer Vielzahl von Kunden oft nicht so einfach umzusetzen. Vermischen sich dann noch private und berufliche Themen, wie bei uns, braucht es ganz viel Trial and Error im Umgang miteinander, gerne auch Unterstützung wie Coaching oder Therapie und den Willen, immer weiter daran zu arbeiten, damit es allen Beteiligten gut geht.
In welchen Bereichen gab oder gibt es Reibungspunkte? Gibt es konkrete Situationen, in denen ihr wegen Mental Load oder Verantwortungsaufteilung gestritten habt oder streitet?
Letztlich haben wir uns schon sinnvoll aufgeteilt und schwierige Situation entstehen eher, wenn äußere Einflüsse einen oder beide von uns in die Knie zwingen: Krankheiten wie in den ersten Kita-Wintern, Müdigkeit nach schlaflosen Nächten mit Baby oder Kleinkind, finanziell schwierige Phasen und beruflicher Stress aufgrund der ersten beiden Punkte. Fühlen wir uns beide überlastet, dann werden selbst alltägliche Aufgaben, wie Einkaufen und Kochen, manchmal zu viel. Wenn man sich dann nicht gesehen oder verstanden fühlt, kommt es automatisch zu Auseinandersetzungen.
Welche positiven Momente hattet ihr schon im eigenen Mental Load Prozess?
Das langsame Realisieren, dass keine Situation von Dauer ist, hat enorm geholfen. Jedes Kundenprojekt, jede Entwicklungsphase unseres Sohnes, jede Krankheitsphase zogen irgendwann vorüber. Und je mehr wir in die Selbstständigkeit und ins Elternsein hineingewachsen sind, desto mehr Freiheiten und Leichtigkeit haben wir wiedergewonnen. In der Zwischenzeit war es aber umso wichtiger, das Thema Selfcare ernst zu nehmen. Für Gregor bedeutete das, regelmäßig zum Kampf-Training zu gehen, für Lidia, sich die Abende möglichst freizuhalten, um zur Ruhe zu kommen.
Und was würdet ihr gerne noch verändern, habt ihr Wünsche aneinander oder an euch selbst?
Der Rahmen unseres Zusammenlebens ist durch die Arbeit in der Selbstständigkeit und die gemeinsame Verantwortung für den Nachwuchs – ohne großelterlichen Support – manchmal etwas eng gesteckt. Wir würden uns da künftig mehr Freiheiten wünschen, um uns zum Beispiel beruflich etwas mehr ausprobieren zu können – ohne große Sorgen, dass nicht genug Geld reinkommt. Also auch in diesem Bereich mehr Fokus auf die eigenen Bedürfnisse als aufs “Funktionieren”. Wir merken jetzt schon, dass die Zeit mit dem Nachwuchs und als Familie weniger wird durch Nachmittagskurse, Playdates und Co. Das kommt diesem Wunsch sicher zugute, auch wenn es gleichzeitig ein Abschiednehmen von einer weiteren Kindheitsphase ist und uns durchaus sentimental werden lässt.
Eine Antwort zu “Beziehungs-Fragebogen: Lidia, 37 und Gregor, 36, mit Sohn”
Eine super interessante Serie! Es ist immer spannend und hilfreich zu sehen was bei anderen funktioniert und auch nicht funktioniert. In diesem Fragebogen habe ich mich/uns – bis auf die Selbstständigkeit – oft wiedergefunden.