Buchtipp: Doris Knecht – Wald

24. April 2015 von in

Was passiert, wenn die Karriere nicht konstant nach oben geht, sondern man abstürzt und fällt, so tief, dass man in einem komplett anderen Leben landet? Je höher der Lebensstandard, desto tiefer die Fallhöhe: In ihrem neuen Roman Wald zeigt Doris Knecht, wie sich das Leben ändern kann, wenn man alles vermeintlich Lebensdefinierende verliert, und merkt, dass es trotzdem weitergeht.

Die Wiener Modedesignerin Marian Malik hatte ein wohlhabendes Leben in hippen Kreisen, ihr eigenes Label mit eigenem Laden, mehrere Beziehungen und den Großstadtluxus. Dazu den festen Glauben, dass alles so bleiben wird, wie es ist – bis sie durch mehrere kleinere und größere Umstände in den Ruin fällt. Erst geht alles ganz schleichend, dann ganz schnell, und auf einmal steht sie da, ohne irgendetwas, das noch gepfändet werden kann und ohne Versicherung und haut einfach ab. Flüchtet ins Nirgendwo, in ein Haus ihrer Tante im Wald, und beschließt, ohne Geld, ohne Verpflichtungen und ohne ihre alte Identität zu leben.

Was bleibt übrig vom alten Ich, wenn all das, was man glaubte zu sein, was das Leben und die Identität definiert hat, nicht mehr da ist? Marians neues Leben besteht aus Taten, ihr altes Leben bestand aus Dingen. Dinge, die uns nur zu bekannt vorkommen. In einem Kapitel werden diese Dinge aufgezählt, die willkürliche Anreihung ohne Sinn und Ordnung unterstreicht eindrucksvoll die Oberflächlichkeit:

Designermöbel, Antikmöbel, auf Flohmärkten vertrödelte Tage. Ordentlichkeit, Ordnung, Sex mit Oliver. Gute und sehr gute Restaurants, mehr Fleisch, als gut für einen war. Lindt-Schokolade. Mode, natürlich, Tag und Nacht durcharbeiten. Ein schöner Teppich. Geschäfts- und Wochenendreisen in europäische Metropolen. Maniküre, Pediküre, Massagen. Milchkaffee. Geräte, die einem das Leben erleichterten, Entsafter, Dämpfer, Elektroofen, Klimaanlagen. Prosecco, überall und jederzeit, manchmal Champagner, Bettwäsche aus weicher Baumwolle, Tischsets, Wein, in zarten Gläsern. Apotheken. Therapeuten. Taxis. Pakete, die schöne Dinge enthielten: Schuhe, Handtaschen, Seidenblusen, Seidenhöschen, Spitzeh-BHs. Flachbildfernseher. Serien, aus dem Internet geladen. Modemagazine. Badewannen mit heißem Wasser darin. Tiegel mit teuren Cremes: Cremes für die Partie unter den Augen, Cremes für die Lider, Cremes für den Hals und das Dekolleté, Cremes, die durchfeuchteten, Cremes, die mattierten, Lotionen, die erfrischten. Make-up. Lidschatten. Essen, das geliefert wurde. Sushi. Vertrödelte Sonntage. Beheizte Toiletten. Weiches Klopapier. Buchhandlungen. Einladungen bei Freunden. Brunch mit Freundinnen. Schuster, Haushaltshilfen, Putzfrauen. Klimatisierte Räume. Handtuchheizungen, Luftbefeuchter. Heizkörper. Parfum. Duftkerzen. Viele Menschen auf engem Raum, das Gedränge in Einkaufsstraßen, der Geruch in der U-Bahn an einem heißen Augusttag.

So geht es weiter und weiter, während Marians neues Leben ohne dies alles auskommt. Und auch funktioniert. Sie lernt, mit dem Minimum auszukommen, sie lernt es zu fischen und zu pflanzen, sie lernt, mit den Menschen vom Dorf umzugehen. Die Zeit ist eine andere, und auch Marian wird eine andere: zäher, härter, aber auch gelassener.

Alles verschiebt sich, und gleichzeitig wird alles, was das alte Leben ausgemacht hat, relativ. Es ist eine Ruhe, die die Geschichte ausstrahlt, eine Sehnsucht nach dem Einfachen und nach dem Ausbruch. Doch nichts wird romantisiert und wie man es von Doris Knecht kennt ist der Ton unbeschönigend und ehrlich. „Wald“ ist eines der eindrucksvollsten und intensivsten Bücher, die ich seit einiger Zeit gelesen habe.
Doris Knecht habe ich euch übrigens schon letztes Jahr ans Herz gelegt – hier geht es zur Besprechung ihrer ersten beiden Bücher!

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5 Antworten zu “Buchtipp: Doris Knecht – Wald”

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