Der Mythos der starken Schwarzen Frau
Die in Berlin lebende Journalistin Kemi Fatoba beschäftigt sich mit den Themen Identität und Repräsentation – vor allem aus der Perspektive Schwarzer Menschen. „Schwarz mit großem S“ ist eine Kolumne über die Lebensrealität Schwarzer Menschen. Es ist außerdem eine politische Selbstbezeichnung, die verdeutlichen soll, dass es sich um kollektive Erfahrungen von Menschen afrikanischer und afro-diasporischer Herkunft handelt. In diesem Text geht es um das immer noch stark verbreitete Klischee der “starken Schwarzen Frau” – und welche Belastungen es auf die (mentale) Gesundheit von Betroffenen ausübt. Der Artikel von Kemi Fatoba ist zuerst auf der deutschen Vogue erschienen.
Ich weiß nicht mehr, wann mich zum ersten Mal jemand als “starke Schwarze Frau” bezeichnete, aber ich war definitiv noch sehr jung, vielleicht sogar ein Teenager. Wahrscheinlich fasste ich es als Kompliment auf, denn wer will in dem Alter schon als schwach gelten? Für eine lange Zeit waren die Schwarzen Frauen, die ich aus dem US-Fernsehen kannte, meine einzigen Identifikationsfiguren. Wie problematisch die filmische Darstellung dieser Frauen – insbesondere von Frauen mit dunklen Hauttönen – war, wurde mir erst viele Jahre später bewusst. An den Mythos der starken Schwarzen Frau zu glauben, machte meinen Alltag auch ein bisschen einfacher, denn das Abblocken von negativen Emotionen kann Menschen, die Diskriminierungserfahrungen machen, tatsächlich dabei helfen, besser mit Stresssituationen umzugehen – aber was passiert, wenn die Stresssituation nie endet?
Die “starke Schwarze Frau”: Klischee und Projektion ohne Raum für Schwäche
Wenn mir heute jemand das “Kompliment” macht, eine starke Schwarze Frau zu sein, antworte ich oft nur mit einem müden Augenrollen. Einerseits, weil es ein altes, abgenutztes Klischee ist und andererseits, weil mich diese Leute oft gar nicht kennen. Würden sie mich kennen, wüssten sie, dass ich es oft morgens kaum aus dem Bett schaffe, mehrere Mini-Meltdowns pro Tag habe und ein falsches (oder richtiges Wort) meiner Therapeutin einen Heulanfall auslöst. Besonders seit Corona bin ich alles andere als stark, sondern das Gegenteil. Es gibt natürlich auch Phasen, in denen ich keine andere Wahl habe, als stark zu sein – so wie letzten Sommer. Während unsere Lebensrealität im Zuge von #BlackLivesMatter für ein paar Monate auch außerhalb der Community auf Interesse stieß, hatten wir nicht den Luxus, uns mit dem Thema nur einen Sommer lang zu befassen. In diesen Momenten habe ich mich oft gefragt, woher meine Freundinnen, insbesondere Aktivistinnen, ihre Kraft nehmen. Die Wahrheit ist, dass viele Schwarze Frauen es nicht anders kennen, als mit leeren Akkus, wenigen Ressourcen und einem Minimum an Wertschätzung zu versuchen, etwas zu verändern, während andere von ihrer Arbeit profitieren. Man muss nur einen Blick auf die USA und Frauen wie Stacy Abrams werfen, die in Georgia jahrelang gegen WählerInnen-Unterdrückung gekämpft hat und damit das Ergebnis der Präsidentschaftswahl maßgeblich beeinflusst hat.
„Während unsere Lebensrealität im Zuge von #BlackLivesMatter für ein paar Monate auch außerhalb der Community auf Interesse stieß, hatten wir nicht den Luxus, uns mit dem Thema nur einen Sommer lang zu befassen.“
Der Mythos der starken Schwarzen Frau lässt per Definition keinen Raum für Schwäche zu – und sehr viel Raum für Projektionen. Deswegen begleiten uns Klischees und Stereotype auch in allen Lebensbereichen. In den USA und im UK werden Schwarze Menschen und People of Color im Gesundheitssystem schlechter behandelt, Mütter sterben häufiger bei der Geburt und junge Mädchen müssen aufgrund des Adultification Bias schneller lernen, erwachsen zu werden. Obwohl in Deutschland die Daten fehlen, wie Schwarze Menschen und People of Color im Gesundheitssystem behandelt werden, sprechen die Erfahrungen vieler Freunde und Freundinnen dafür, dass es das Problem auch hier gibt: Wir werden durch die Bank für stärker, schmerzresistenter und gesünder gehalten, als wir sind. Als ich, kurz vor einer Operation, mit einer Freundin darauf wartete, in den Operationssaal gebracht zu werden, versuchte sie mich zu beruhigen und sagte: “Mach dir keine Sorgen. Du hast starke Gene, weil du Schwarz bist”. Dass diese Worte ausgerechnet von einer Woman of Color kamen, die selbst unzählige negative Erfahrungen mit ÄrztInnen machte, weil ihre Beschwerden nicht ernst genommen wurden, machte mir große Sorgen, denn es zeigt, wie tiefsitzend das Problem ist. Wenn sie schon dachte, dass meine Gene mich irgendwie stärker machen, wie würden mich dann die ÄrztInnen und KrankenpflegerInnen behandeln? Jede Person of Color kennt Horrorgeschichten darüber, wenn sich ÄrztInnen über nicht-weiße Menschen lustig machen, indem sie “Morbus Mediterraneus” diagnostizieren oder ihre Schmerzen verharmlosen und durch diese Vorurteile die Gesundheit ihrer PatientInnen gefährden.
Was es braucht, um dem Mythos der starken Schwarze Frau ein Ende zu setzen, erfahrt ihr im Teil 2 dieser Kolumne auf der deutschen Vogue.
Foto: Jessica Felicio
Eine Antwort zu “Der Mythos der starken Schwarzen Frau”
[…] dem Rest. Und dennoch hatte ich selten so richtige Probleme ‚dazuzugehören‘. Denn mein Schwarzsein war und ist weiß beziehungsweise mixed genug, um zu […]