Die Germany’s Next Topmodel Ära ist vorbei (spätestens jetzt)

„Denn ab jetzt höre ich nur noch auf mein Herz – und deswegen verzichte ich auf das Finale.“, damit beendet die Finalistin Lijana von Germanys Next Topmodel 2020 ihre Rede, die Live auf Pro7 ausgestrahlt wurde. Unabgesprochen. Ohne des Wissens der Produktion stieg sie live im Fernsehen aus, mit der Begründung, dem Hass und Mobbing im Internet keine Macht zu geben. Lijana war eine der Skandal-Teilnehmerinnen von Germany’s Next Topmodel 2020. Denn wie jedes Jahr bilden sich unter den Teilnehmerinnen Grüppchen. Die Dynamiken sind dabei immer die gleichen – zumindest die, die wir als Zuschauende mitbekommen. Denn so wie die Beliebtesten brachte die Sendung auch immer die Unbeliebtesten hervor. 

Die Skandalnudeln, die Zicken, die Heulsusen, die Nervigen. Mit dabei Lijana, die von Pro7 als böse Furie geframed wurde, die allen das Leben schwer machte. Lijana wurde beim Lästern gefilmt, beim Anzetteln von Streits, beim heimlichen Weintrinken. Sie war die Außenseiterin der Gruppe und verbündete sich mit ihrer Kollegin Larissa, die zu zweit gegen den Rest kämpften. Deshalb kassierte sie nach der Ausstrahlung massive Drohungen. Sie wurde beschimpft, beleidigt und sogar Morddrohungen erreichten ihre DMs. Es ging so weit, dass sie unter Polizeischutz stehen musste und auch ihre Familie in Gefahr schwebte. Das alles erzählt die ehemalige GNT-Teilnehmerin in einem YouTube-Video, in dem sie entgegen ihrer Schweigepflicht die Wahrheit über die Produktion von Germany’s Next Topmodel erzählt.

Sie ist wahrscheinlich die erste Teilnehmerin in 17 Jahren, die so explizit austeilt und Details hinter den Kulissen erzählt.

 

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Erstmal geht sie auf das Framing des Teams ein. So werden in den Einzelinterviews ganz bestimmte Fragen gestellt, die den jeweiligen Charakter der Teilnehmerinnen herausstellt. Fragen wie: „Person X war ganz schön schlecht bei dem heutigen Shooting, oder? Heidi hat das auch gesagt“, in der Antwort müssen die Models die Frage mit aufgreifen, sodass ihnen automatisch das Wort in den Mund gelegt wird. Das klingt nach einer durchschaubaren Taktik, doch junge Frauen, die monatelang keinen Kontakt zur Außenwelt haben, fallen da gerne mal drauf rein. Ohne ihres Wissens werden sie zu Lästerschwestern und zum Hassobjekt der Nation.

Weiter noch erzählt sie von perfiden Manipulationen, wie beispielsweise, dass manchen Models vor ihrem allerersten Catwalk die Füße kurz vor ihrem Walk eingecremt wurden. So rutschten sie lockerflockig in ihren High Heels herum und fielen natürlich hin. Beweise gibt es dafür keine, doch eine Betroffene, deren die Füße einecremt wurde, bestätigte diese Info. Es gibt Videos von ihr auf dem Catwalk, auf dem sie so dermaßen schlecht läuft, dass man sich als Zuschauerin nur denken kann: Die Info muss stimmen. Oder das war einfach so der schlechteste Walk aller Zeiten. 

Lijanas YouTube-Video wurde bereits über 2.5 Millionen-mal angesehen. Und ich bin mittendrin in der Germany’s Next Topmodel Rabbithole. Alle ehemaligen Teilnehmerinnen geraten unter Zugzwang, sich zu Pro7 und der Produktion zu äußern. Die Reaktionen sind gespalten. Während die einen sagen, dass die Aussagen von Lijana völliger Unsinn sind, geben andere ihr zu 100% recht. Meistens die, die ebenso unter extremen Hasstiraden litten. Denn natürlich kann es für die Stars der Nation anders laufen. Entweder Deutschland liebt oder hasst dich. Dazwischen gibt es nichts im Reality TV. Es geht schließlich darum, oder? Für Charaktere zu brennen oder sie zu hassen? Wer außerdem zu Lijana steht, ist Rezo, der in einem anderen YouTube-Video die deutsche Modelshow innerhalb von dreißig Minuten auseinandernimmt. 

An sich ist das alles nichts Neues. Natürlich framed Pro7 – so wie jeder andere Sender auch.

Natürlich wird hier nur die halbe – oder vielleicht auch nur 1/4 der Wahrheit dargestellt. Doch das Problem ist, dass das viele Personen nicht zu wissen scheinen. Vor allem die Viewers von Germany’s Next Topmodel, die überdurchschnittlich jung sind. Viele scheinen absolut keine Ahnung davon zu haben, dass es sich hier um eine Show handelt, die zwar einen auf DiVerSitY macht, aber am Ende genauso daneben ist wie jede andere Trash Show auch. In hübscheren Kostümen und besserem Make Up. Denn entgegen Heidis neu entdecktem „Diversity-Motto“, das sie seit ein paar Jahren ganz stolz propagiert, fühlt man am Ende nur wenig von dem Spirit.

Klar, die Models sind nicht mehr alle weiß, dünn, unter 25 und groß. Sie werden nicht mehr wie noch vor ein paar Jahren krass beleidigt und offensichtlich von alten Dudes lächerlich gemacht. Das ist vermutlich ein Fortschritt, stimmt. Doch man kann der Show verdammt viel vorwerfen. Wieso werden Schwarzen Personen beim Umstyling immer die Afrohaare abrasiert? Wieso gibt es vermutlich so gut wie keine Person of Color hinter den Kulissen? Wieso sind die Stylist*innen beim Umstyling alle weiß, obwohl doch die Teilnehmerinnen es nicht sind? Wieso sind die Fotografen fast alle immer noch alte weiße Männer, die die Frauen halbnackt oder gar nackt fotografieren? Gibt es keine anderen Fotografinnen auf dieser Welt? Wer bekommt hier am Ende das Geld? Natürlich kein diverses Team.

Diversity wird bei Germany’s Next Topmodel als Werbeslogan angepriesen, aber es ist bisher nichts weiter als ein leeres Versprechen. 

Kann eine Show wie Germany’s Next Topmodel in der heutigen Zeit noch überleben? Das ist die Frage, die mich bei all den Skandalen herumtreibt. Eine Show, die junge (jetzt neu: auch diverse) Frauen vorführt, erniedrigt, manipuliert, und sich gleichzeitig als wokes und empowerndes Reality TV darstellt. Wenn sich hinter den Kulissen nichts ändert, die Fotografen und Stylisten seit 17 Jahren dieselben sind – und die Teilnehmerinnen so langsam keine Lust mehr haben, die lebenslängliche Schweigepflicht einzuhalten. Stattdessen fangen sie sich an zu wehren und erzählen immer häufiger die Wahrheit. And I am here for it.

Die Wahrheit ist nichts, was einem GNT-Image gut steht. Zumindest dann nicht, wenn sich in den festgefahrenen Strukturen der Show nichts ändert.

Ich finde es richtig gut, dass sich die ehemaligen Teilnehmerinnen der Show wehren und einen einflussreichen Sender damit ganz schön unter Druck setzen. Vielleicht verändert sich dann wirklich mal was, und die Teenie-Show wird wirklich ein bisschen besser. Ansonsten winken wir dem alten Format zum Abschied noch einmal zu – um es in Worten von Lijana zu sagen: „Dankeschön, Heidi.“.