Wieso Gendern wichtig ist, oder: „Männer sind mitgemeint“
Ich war vor Kurzem bei einen Eltern. Dort buddelte mein Vater in irgendeiner Schublade eine Mappe voll mit Kinderzeichnungen von mir aus. Dort zu sehen: Krankenschwestern, Polizisten, Lehrerinnen, Feuerwehrmänner, Ritter und Prinzessinnen. Ganz normal, oder? Leider ja, auch heute noch. Aufmerksamen Leserinnen ist vielleicht der Fehler aufgefallen: Mein Kinder-Ich hatte ziemlich festgefahrene Vorstellungen davon, welches Geschlecht in meiner Fantasiewelt welche Rolle einzunehmen hatte. Und das, obwohl ich selbst alles andere als ein sogenanntes typisches Mädchen war: Ich mochte Lego, hatte kurze Haare und habe mich geweigert, Kleider anzuziehen. Dass es in meiner sonst so lebendigen Fantasie trotzdem keine Polizistinnen oder Feuerwehrfrauen geben konnte, lag – das ist inzwischen wissenschaftlich erwiesen – unter anderem am generischen Maskulinum in der deutschen Sprache.
Sprache beeinflusst Denken. Das haben Studien noch und nöcher bewiesen.
Und wenn beispielsweise von „Richtern“ die Rede ist, dann haben Kinder das Bild eines Mannes im Kopf – egal, ob Frauen mitgemeint sind oder nicht. Auch das ist längst erwiesen – und es beeinflusst Kinderköpfe und Kinderzeichnungen seit ungefähr immer. Meinen eingerechnet. Was jedoch nicht erwiesen ist: Dass gendergerechte Sprache irgendjemanden wehtut; dass sie irgendjemanden benachteiligt. Im Gegenteil: Kinder – egal, welches Geschlecht – haben erwiesenermaßen eher das Gefühl, einen Job selbst erfolgreich ausführen zu können, wenn von allen Geschlechtern die Rede ist. Es ist auch widerlegt, dass gendergerechte Sprache Texte unverständlicher macht. Neben dem Argument, gendergerechte Sprache sei aufgrund der Sternchen und Unterstriche unästhetisch, ist also nach wie vor das einzige Gegenargument, dass es halt schon immer so gewesen ist. Ich persönlich halte das nicht für besonders überzeugend.
Ähnlich sieht das wohl unsere Justizministerin Christine Lambrecht von der SPD, die Anfang der Woche einen Gesetzesentwurf im generischen Femininum vorlegte – einer Ansprache ganz ohne Sternchen und Binnen-I, an der also die Kritik aufgrund der fehlenden Ästhetik abprallt. Im Gesetzesentwurf ging es eigentlich um Firmenpleiten und Gläubigerinnenschutz, gesprochen wurde letztlich nur über die Formulierung des Entwurfes. Denn von Wörtern wie „Geschäftsleiterinnen“ und „Schuldnerinnen“ waren einige Kollegen aus dem Innenministerium – allen voran Horst Seehofer – ziemlich getriggert. Denn die fühlten sich – Schock, lass nach – irgendwie nicht mit gemeint. Man könnte wirklich herzlich lachen, wenn es nicht so traurig wäre.
Guten Morgen, Männer! Willkommen in unserer Welt!
Jedenfalls wurde Einspruch gegen den Entwurf eingelegt, da er aufgrund der Formulierung nicht verfassungsmäßig sei. Er müsse zunächst sprachlich angepasst werden, weil das generische Femininum sprachwissenschaftlich nicht anerkannt sei. Uff.
„Für diese Art von Genderwahnsinn fehlt mir jegliches Verständnis“, sagte der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei. Und sprach damit etwas aus, was viele Gewohnheitsmenschen in Deutschland – Männer mitgemeint – vermutlich gerade denken. Wenn es allerdings schon als Genderwahnsinn gilt, wenn statt wie sonst nur von Männern einmal – in einem einzigen Gesetzesentwurf – nur von Frauen die Rede ist, dann wäre es ziemlich vermessen, in Deutschland von Gleichberechtigung zu sprechen, oder? Wir können uns also eigentlich bei Horst Seehofer und seinem Ministerium dafür bedanken, dass sie sehr deutlich machen: Echte Gleichberechtigung gibt es in Deutschland nicht. Zumindest nicht, solange Gesetze nicht beschlossen werden können, nur weil ihre Entwürfe ein anderes Geschlecht als das männliche sichtbar machen wollen.
Es ist nicht ganz klar, ob der Gesetzesentwurf aufgrund des generischen Femininums rechtlich tatsächlich nicht zulässig ist. Denn die Rechtssprache orientiert sich am „Handbuch der Rechtsförmlichkeit“. Dort heißt es, dass Männer und Frauen nach Möglichkeit direkt anzusprechen sind, um deutlich zu machen, dass beide Geschlechter gemeint sind. Bisher wurde dieser Absatz so interpretiert, dass Frauen bei der männlichen Form eben mitgemeint sind.
Aber dass Frauen sich beim generischen Maskulinum meistens eben nicht mitgemeint fühlen, ist ein vielbewiesener Fakt.
Das besagte Handbuch wurde seit zwölf Jahren nicht mehr aktualisiert. Vielleicht wäre es mal an der Zeit für ein Update, das im besten Fall dazu führt, das sich auch wirklich alle direkt angesprochen fühlen dürfen und nicht länger die Forschung ignoriert wird – nur, weil es ja schon immer so gewesen ist.