Heute hier, morgen fort: Was ich aus 2 Jahren Nomaden-Dasein gelernt habe

5. Dezember 2023 von in

Mein Rucksack ist gepackt und eng geschnürt. Die Lebensmittel aus dem Kühlschrankfach geräumt, ich streife durch das dunkle, langsam ruhig werdende Haus. Fast zwei Monate habe ich hier in Ericeira gewohnt. Der erste Monat hätte fast besser nicht sein können, der zweite war etwas durchwachsen. Wie sich ein Ort anfühlt, hat immer viel mit den Leuten um einen herum zu tun und kurz vor meiner Abreise sind vor allem neue Personen eingezogen. Ich treffe einen von ihnen, wir unterhalten uns über Portugal, über den Ort und Lissabon, meine Zeit hier, was ich beruflich mache und wo meine Reise jetzt hingeht. Am Ende ist es ein nettes, aber belangloses Gespräch über diverse Co-Livings, Orte, Reisen und Wifi money. Mein eigenes Leben hat sich zwar oft geändert in den letzten zwei Jahren, aber die groben Eckdaten sind geblieben und so erzähle ich in diesen Interaktionen zumeist das Gleiche. Niemand kann etwas dafür, aber ich realisiere, wie müde ich darüber geworden bin. Denn oft bleibt es oberflächlich und kommt nicht selten einem Größenmessen gleich: Wer hat den krasseren Job, den schnelleren Lifestyle, war in den entfernten Ländern am längsten?

Jede Bubble hat seine An- sowie Unannehmlichkeiten.

So auch die der ‚digital nomads‘. Sie wurden mit der Pandemie größer, da mehr Personen auf eine Remote-Tätigkeit gesetzt haben, und nicht bereit waren, eine Freiheit, die sie geschnuppert haben, wieder loszulassen. Eine von ihnen bin auch ich. Schon vor der Pandemie hat mir das ortsunabhängige Arbeiten sehr getaugt, da es mir stets erlaubt hat, sehr fokussiert und produktiv zu sein – und es in meinem Bereich auch möglich ist.* Den Austausch in Person sollte es geben und niemals komplett vergessen werden, aber punktuell und in den richtigen Dosen war er immer völlig ausreichend, denn oftmals bedeutet im Büro arbeiten auch viel Hintergrundrauschen, viel Ablenkung, viele Kommentare zum eigenen Äußeren. Mittlerweile habe ich von überall ausgearbeitet – sei es am Flughafengate, in dunklen Hostelzimmern, auf dem Boden von Lobbys oder in Zügen: Es geht.

Man muss es wollen, sich gut organisieren können und genug intrinsische Motivation haben, das auch durchzuziehen.

Es wird oft romantisiert, viele denken, man würde vom Pool aus arbeiten oder den ganzen Tag am Strand liegen. Man ist viel alleine mit sich und der Arbeit und das ist bestimmt kein gutes Modell für alle – genauso wie für manche das Großraumbüro nichts ist. Nicht zu unterschätzen ist die ganze Organisation, die on top kommt. Reisezeiten waren oftmals die Wochenenden und das Ankommen stets daran gekoppelt, das Internet und Arbeitsumfeld zu checken und wenn nötig aufzusetzen oder zu optimieren. Welcher SIM-Anbieter ist der Beste um im Zweifel via Hotspot in Calls gehen zu können? Habe ich im Falle eines Stromausfalls genug Akku und eine voll aufgeladene Powerbank? Wie weit ist es zum nächsten Co-Working? Sind die Öffnungszeiten mit europäischen Terminen vereinbar und was kostet es? Kann ich mir einen zusätzlichen Screen irgendwo leihen und liefern lassen? Als ich einmal die Unterkunft gewechselt habe, war meine neue plötzlich nicht mehr verfügbar und ich hatte eine Stunde Zeit, um mir etwas komplett Neues zu suchen, bevor meine Arbeitszeit losging. Oder die mehrtägige Suche nach einem Co-Working in Australien, das bis Mitternacht aufhat.** Solche Dinge passieren und damit muss man umgehen können.

Sich immer wieder an neue äußere Umstände anzupassen, ist Mental Load, der zusätzlich abgearbeitet wird.

Am Ende ist jedes Nomad:innen-Dasein individuell, denn es kommt darauf an, in welchem Set-up man unterwegs ist. Ich habe Leute getroffen, die als Freelancer täglich zwei bis vier Stunden in Cafés gearbeitet haben, Content Creators, die quasi eine Hybris aus Freizeit und Arbeit sind und Angestellte, die ihre acht oder mehr Stunden pro Tag vor allem in Calls heruntergerissen haben. Was wichtig ist, ist eine Routine vor Ort, aber regelmäßige Telefon-Dates mit denen, die weit weg sind: So bin ich zumindest immer verbunden geblieben mit meinen Liebsten und der Umgebung vor meiner Nase.

Ich habe gelernt, dass es nicht zwangsläufig besser wird, je länger man sucht und je weiter man rennt.

Man kommt zurück und denkt, es hat sich nichts verändert und in einem drin doch ganz viel. Aber das stimmt nicht: Alles verändert sich ständig und auch die, die immer dort bleiben, wo sie sind, bauen sich ihre eigenen Leben. Und nach ein paar Jahren, wenn man nur zu Besuch vorbeihuscht und keine neuen Erinnerungen zusammen gemacht werden, dann guckt man sich nur noch beim Leben zu, statt aktiv Teil zu sein.

Man trifft unterwegs die besten und schlimmsten Leute.

Es gibt sie wirklich, die vielen Life Coaches, die es nicht schaffen, die Stromrechnung zu bezahlen oder das Geschirr mal selbst abzuwaschen, die ihre Hunde vernachlässigen, weil sie zu busy mit surfen sind und dann anderen erzählen, wie sie ihr Leben auf die Kette bekommen. Die nach ihren eigenen Regeln spielen wollen, Verstand sowie Anstand direkt bei der Einreise abzugeben scheinen. Aber es gibt auch die, die genau so ein Leben führen und offen sind, einfühlsam, sozial intelligent – die mir neue Wege zu leben gezeigt haben. Einige gute Freund:innen konnte ich gewinnen, die überall ein bisschen verstreut sind, aber wir sind auf einer ganz anderen Ebene in Begegnung und ich bin dankbar um jede Verbindung, die ich in so vielen Ländern finden durfte.

Bevor es – zumindest kurz- bis mittelfristig – zurück nach Berlin geht, sitze ich mit meinem guten Freund A. in Barcelona und spekuliere darüber, wie schön das Leben hier sein könnte und ob das wohl meine Stadt ist. Zu Recht spiegelt er mir, dass meine Angst vor dem Stillwerden mir Laufschuhe anzieht und mir leise ins Ohr flüstert ‚Lauf, ankommen kannst du später immer noch.‘ Vielleicht bin ich ja die geworden, die Angst vor dem Settlen hat, die Wind um die Ohren und stets etwas Neues braucht – sich nicht committen kann auf keinen Ort und kein Umfeld der Welt.

 

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Und doch merke ich, dass ich wieder eine Grundstabilität brauche. Ich hätte so gerne die 100 %, einen Ort, der alles erfüllt – aber ich habe immer einen Abstrich machen müssen.

Das Arge, wenn man mal länger ‚da draußen‘ war, ist, dass es zunehmend schwieriger ist, sich auf eine Sache einzulassen. Denn man hat immer einen gewissen trade-off vor Augen. Wenn ich auf Bali lebe, habe ich zwar das Meer, die Wärme, aber nicht meine Freund:innen und komplett andere Arbeitszeiten. Wenn ich in Berlin bleibe, muss ich zwangsläufig durch viele graue Monate, bin aber in einem festeren sozialen Umfeld eingebettet.

Vieles in meinem Leben hat sich in den letzten Monaten verändert und wenn zu viele Dinge in der Schwebe sind, fehlt wirklich die Bodenhaftung. Ich bin viel umhergesprungen, jetzt ist es Zeit für ein nachhaltigeres Lebensmodell. Zwei festere Orte, in und zwischen denen ich Zuhause bin, kann ich mir gut vorstellen – denn irgendwie wird es mich immer wieder raus- und wegziehen.

Als ich nach langer Zeit wieder an einer Familienfeier teilnehme, bin ich überrascht, wie viele sich freuen über all die Erfahrungen, mehr wissen wollen – es toll finden, was ich gemacht habe und ehrlich gespannt sind, wo es als Nächstes wieder hingeht und für wie lange. Und das bin ich auch.

 

*Mir ist sehr bewusst, dass viele Berufsfelder nicht remote stattfinden können – in meinem Fall hat es sich sehr angeboten.

**Spoiler: Es gibt sie kaum, ich habe letztlich ein sehr gutes gefunden.

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