Kolumne: Das starke, kleine Wort Nein

5. August 2021 von in

Fotocredit: Instagram @simonebiles

Normalerweise bin ich die allerletzte Person auf Erden, die sich für die olympischen Spiele interessiert. Das Einzige, was ich mit dem sportlichen Ereignissen verbinde, sind Kindheitserinnerungen an meinen Opa. Der, im Gegensatz zu mir, extrem großer Fan der Olympia-Sportler*innen war. Und doch horchte ich dieses Jahr auf. Nicht, weil irgendein deutscher Olympionike eine Medaille gewonnen hat (wie Tennisspieler Alexander Zverev, für alle Sport-Interessierten), sondern weil Ausnahmeturnerin Simone Biles ihre Wettkämpfe absagte. Dazu muss man wissen: Die 24-Jährige galt als große Olympia-Hoffnung, war Aushängeschild für Tokio und sollte mindestens eine Goldmedaille abgreifen. Am Ende ging sie mit einer Bronzemedaille am Schwebebalken nach Hause, bei den restlichen Wettkämpfen im Einzel- oder Mehrkampf trat sie erst gar nicht an.

Nicht, weil sie etwas plötzlich keine Lust mehr hatte, die Anreise nach Japan problematisch gewesen wäre oder ein Urlaub in Hawaii verlockender schien. Nein, sie sagte ab, weil es sich nicht richtig anfühlte. „Ich kann das gerade nicht“, sagte die Amerikanerin bei der Pressekonferenz in Tokio nach ihrer ersten Absage. Da hofften die Trainer*innen noch, sie würde die anderen Wettbewerbe auf jeden Fall machen. Doch Simone Biles blieb standhaft. „Ich habe mentale Probleme. Ich muss Nein zu den Wettkämpfen sagen, und Ja zu mir“, waren ihre Worte – unter Tränen.

Jahrelang hatte sich die 24-Jährige auf Olympia vorbereitet, sie wusste, das könnten ihre letzten Olympischen Spiele sein – und trotzdem sagte sie Nein. Während die Trainer*innen noch hofften, das wäre nur ein kurzes öffentliches Debakel, begriff die Welt: Das, was Simone Biles tut, ist richtig und wichtig.

Manchmal muss man Nein sagen, um sich selbst ein Ja zu geben.

Ich, die jobbedingt schon im Vorfeld öfter über Simone Biles gestolpert war, fiel erst aus allen Wolken und war dann irgendwie stolz. Stolz, dass sich ein so großer Sportstar traut, vor den Augen der Weltöffentlichkeit Schwäche zu zeigen. Zu sich selbst zu stehen. Und sich selbst und die eigenen Bedürfnisse in den Vordergrund zu stellen, anstatt die Erwartungen anderer, der Trainer*innen, der Mitstreiter*innen, zu erfüllen. Was für ein starkes Zeichen.

 

 

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Wie schwer es ist, manchmal Nein zu sagen, wenngleich alle anderen ein Ja erwarten, habe ich erst vor wenigen Monaten gespürt. Ich hatte ein Jobangebot. Ein richtig gutes, würde man sagen. Ich hatte Gespräche geführt, hatte positives Feedback bekommen und im Anschluss eben das Angebot. Euphorisch hätte ich sein müssen, mich freuen müssen, doch in mir da regte sich vor allem eines: mein Bauch mit einem schlechten Gefühl. Ich wollte einiges, nur nicht diesen Job. Meine Zweifel wurden gehört – und doch war der Tenor eher: „Mach das, probier es aus, ist doch eine Chance.“ Ich war hin- und her gerissen zwischen einem Ja und einem Nein. Bis mir so schlecht war, dass ich absagte. „Nein, ich möchte diesen Job nicht haben.“ W a r u m? „Weil es sich nicht richtig anfühlt.“ Aufgelegt.

Mit der Absage fiel ein Zentner Gewicht von meinen Schultern. Was sich im Vorfeld so richtig für mich angefühlt hatte, war über die Wochen zur Belastung geworden. Mein Bauch hatte es mir schon sehr viel eher gesagt, als ich es mir hatte eingestehen wollen. Am Ende hatte ich keine Wahl. Alles in mir sträubte sich. „If it’s not a hell yes, it’s a no.“ Wie wahr.

Warum fällt es uns so schwer, Nein zu sagen? Wovor fürchten wir uns, wenn wir uns für uns und unsere Bedürfnisse entscheiden?

Spoiler: Weil wir niemanden enttäuschen wollen. Weil wir Angst vor Ablehnung haben. Weil wir keinen Konflikt wollen. Gründe, die wir wohl alle kennen. Auch ich machte mir im Vorfeld Sorgen: Wären die Ansprechpartner*innen sauer? Würde ich eine große Chance verpassen? Würde es zu Diskussionen kommen? Was würde mein Umfeld sagen?

Das Problem: Oft sagen wir laut Psychologin Anke Precht zu vorschnell Ja. Aus Angst vor unangenehmen Reaktionen neigt der Mensch dazu, lieber Ja als Nein zu sagen. Wir als Menschen wollen eben gefallen, wollen, dass es unseren Liebsten gut geht und Beziehungen, beruflicher oder privater Natur, nicht leiden.

Während wir doch ständig und immer Selbstfürsorge predigen, vergessen wir diese, sobald es darum geht, auch mal Nein zu sagen.

Laut Anke Precht ist das Ja oft zu schnell heraus, bevor uns eigentlich bewusst ist, was dieses Ja bedeutet. Und dann – dann rudern wir zurück. Ärgern uns, dass wir dem Termin zugesagt haben, dass wir nicht nochmal eine Sekunde darüber nachgedacht haben. Im besten Fall ist das Ja nur unangenehm, die Zusage aber zu verkraften. Im schlechtesten Fall schlafen wir schlecht, tragen das Ja im grummelnden Magen mit uns umher, bis wir nicht mehr anders können und doch absagen. Oder uns zu etwas zwingen, das uns so gar nicht gut tut.

Nein zu sagen kann man lernen. Wer öfter Nein sagt, merkt auf Dauer, es passiert gar nichts Schlimmes. Im Gegenteil: Die meisten Menschen zeigen sich verständnisvoll, wenn man Nein sagt. „Nein, ich kann heute nicht zu deiner Party kommen, weil ich eine furchtbar stressige Woche hatte und etwas Ruhe brauche“, ist eine Erklärung, die jede*r verstehen sollte. „Nein, ich möchte diesen Job doch nicht“, mag dem Empfänger vielleicht nicht gefallen, ist aber völlig legitim. „Und nein, ich denke, wir sollten unsere Liebesgeschichte hier beenden“, ist wichtig. Wie schwer uns hier Neinsagen fällt, erkennt man am Phänomen Ghosting. Lieber nichts sagen, um nicht offensichtlich am Leid des anderen beteiligt zu sein? Semi-optimal.

Enttäuschungen gehören zum Leben dazu. Wir enttäuschen und werden enttäuscht. Das ist völlig normal. Und so sollten wir lernen, Nein zu sagen, wenn wir es nicht fühlen. Dass unser Gegenüber das nicht immer super toll findet, müssen wir dann aushalten. Sie werden’s überleben, nicht?

Denn: Ein Nein ist niemals eine persönliche Entscheidung gegen dich,
sondern eine Entscheidung für mich.

Und ist es nicht so, dass wir unbedingt Entscheidungen für uns treffen müssen? Dass wir unbedingt in uns hineinfühlen und darauf hören sollten, was für uns gut ist? Denn wenn ich es als Person nicht selbst entscheide, entscheidet es jemand anderes. Und wäre das nicht paradox?

Es ist gut und wichtig, auf die eigenen Bedürfnisse zu hören. Und es ist gut und wichtig, immer wieder mal Nein zu sagen. Erwartungen zu enttäuschen in dem Wissen, dass die Entscheidung für einen selbst richtig war. Zu lernen, für sich Entscheidungen zu treffen, die nicht jedem gefallen können. Denn: Es ist das eigene Leben. Und bevor es anderen gut geht, muss es dir gut gehen. Radikale Selbstfürsorge – das steckt auch in einem Nein.

Und so feiere ich Simone Biles immer noch. Dafür, dass sie sich solch hohen Erwartungen widersetzt hat. Weil die Absage das einzig richtige für sie war. Übrigens: Die 24-Jährige ist nicht die einzige, die als Super-Sportlerin ein Nein aussprach. Auch die japanische Tennisspielerin Naomi Osaka verordnete sich vor wenigen Monaten auf dem Höhepunkt ihrer Karriere eine Pause. Depressionen würden sie dazu zwingen. Bei Olympia trat sie an – und schied im Achtelfinale aus. „Das ist okay“, sagte sie. Ich finde, damit hat sie recht.

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3 Antworten zu “Kolumne: Das starke, kleine Wort Nein”

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