Spätestens allerdings, wenn man selbst ein paar Jahre in einer dieser pulsierenden Großstädte verbracht hat, muss einem auffallen, dass für die Touris eigentlich nur die langweiligsten, überteuertsten und nichtssagendsten Programmpunkte reserviert sind. Denn egal, wie hip der Reiseführer ist: Sobald das schicke Café oder das spartige Museum oder der besonders gute Dönerladen in ihm auftauchen, ist ihr Schicksal besiegelt. Die Einheimischen wenden sich ab und die Touristen übernehmen das Ruder. Und wen trifft man dann an diesen Hotspots? Genau: Touristen. Das ganze Wochenende lang. Und so macht man eigentlich keinen Urlaub in der jeweiligen Großstadt, sondern in der immergleichen Touri-Blase.
Kolumne: Städtetrips sind grauenhaft
Es gibt einige Dinge, bei denen ist es derartig normal, dass jede und jeder sie gut findet, dass man gar nicht mehr hinterfragt, ob man sie selbst wirklich ehrlich mag. Pesto zum Beispiel, oder Kartoffelchips. Technoclubs, die Beatles, Paarbeziehungen. Und Städtetrips.
Ich hab mir kürzlich vorgenommen, Dinge, die scheinbar universell gut gefunden werden, auf ihre Kompatibilität mit mir zu prüfen. Einfach, weil wir langsam zu alt werden für unbegründeten Gruppenzwang. Und dann habe ich gemerkt: Vieles davon finde ich eigentlich gar nicht mal so geil. Das gilt übrigens für alle oben aufgezählten Beispiele außer die Beatles. Die find ich nur manchmal ein bisschen langweilig. Am Prägnantesten ist es mir allerdings aufgefallen, als ich das selten hinterfragte Konzept „Städtetrip“ nochmal unter die Lupe genommen habe. Denn eigentlich, wenn ich so drüber nachdenke, finde alles daran nervig.
Urlaub in der Touri-Blase
Früher, als ich noch jünger und lebenshungriger war und vor allem noch nicht selbst in einer Großstadt gelebt habe, hätte ich am Liebsten nichts anderes gemacht als mir jedes Wochenende eine pulsierende Großstadt nach der anderen reinzuziehen, dabei in überteuerten Hostels mit lauter anderen Neunzehnjährigen zu übernachten und mir massenhaft Lonely-Planet-Hotspots auf dem Stadtplan zu markieren. Eine Stunde anstehen für den besten Döner der Stadt? Unbedingt! Eine überteuerte Grachtenfahrt? Yes please! Saufen in der Touriklatsche, die im Reiseführer als „Party-Erlebnis“ beworben wird? Count me in! Foto vorm Eiffelturm? Highlight meines Wochenendes! Ganz ehrlich: Was gibts Schöneres als nach einem 15-Kilometer-Marsch durch eine austauschbare Innenstadt auf einem Marktplatz einen schlechten Kaffee für fünf Euro zu trinken und sich die frisch geschossenen 300 Bilder von irgendwelchen historischen Gebäuden reinzuziehen, die man sich nachher nie wieder anschauen wird? Genau.
Das Gute liegt viel näher
Um eine Stadt zu erleben ist ein Kurzurlaub derartig ungeeignet, die Aktivitäten derartig austauschbar, dass es am Ende des Tages komplett irrelevant ist, ob man nun in Lissabon, Paris, Kopenhagen oder Castrop-Rauxel gewesen ist. So lange es ein Hardrock-Café, ein Wahrzeichen mit adäquater Foto-Opportunity und Hostels mit Free Walking Touren gibt, gleicht ein Städtetrip dem anderen – bis auf ein paar wenige Details (meistens die jeweilige Sprache und die verfügbare Biersorten). Hat man keine versierten Locals verfügbar, lernt man von der Stadt mehr kennen, wenn man sich nachts eine Doku auf 3sat reinzieht. Und selbst mit einem höchst motivierten, persönlichen Touristenführer ist das Projekt „die Stadt kennenlernen“ zwecks Zeitmangel zum Scheitern verurteilt. Das habe ich spätestens verstanden, als ich während meiner Zeit in Berlin zum zehnten Mal Freunde, die zu Besuch waren, im Dauerlauf von Neukölln zur Oberbaumbrücke gescheucht habe, um ihnen irgendwie möglichst effizient diesen „speziellen Vibe“ näher zu bringen. Es funktioniert nicht! Will man eine Stadt verstehen, muss man ein Weilchen in ihr leben.
Und dann ist da ja auch noch unser Planet. Denn zu den instaworthy Fotospots gelangt man ja meist per Billigflieger. Allein das sollte eigentlich schon Grund genug sein, das Konzept „Städtetrip“ endlich in einer Mottenkiste mit der Aufschrift „Relikte der 2010er“ zu verbannen. Zusammen mit Energy-Drinks, David Guetta und Schlauchschals. Statt sich der Illusion hinzugeben, eine Stadt in wenigen Tagen kennenlernen zu können, könnten wir uns beispielsweise mehr Zeit nehmen und uns Orte und Länder intensiver reinziehen. Oft liegt das Gute aber sowieso viel näher, als man glaubt: Braucht man dringend für ein Wochenende einen Tapetenwechsel, reicht doch eigentlich schon der nächstbeste Badesee. Vorausgesetzt, man mag Badeseen. Aber die mag doch jeder, oder?
Bildcredits: Paul Thomas, Anthony Delanoix, polaroidville via Unsplash
6 Antworten zu “Kolumne: Städtetrips sind grauenhaft”
Du hast sehr gut in Worte gefasst, was seit längerem unförmig in meinem Kopf rumwabert, merci!
Hi Jowa
Bis auf den letzten Absatz des Artikels bin ich anderer Meinung. So wie du deine Städtetrips beschreibst, fände ich es auch einen Graus ;-).
Nimmt man sich ein wenig Zeit für die Vorbereitung, muss man auch kein 08-15-Touri-Programm mit Lonly Planet und Tripadvisor durchziehen. Würde ich zb. nach Berlin oder München reisen, fände ich genau auf eurem Blog tolle Inspirationen für Shops, Restaurants und andere Lieblingsorte von waschechten Einheimischen. Oder aber man ist komplett spontan, lässt sich treiben und findet selber „Lieblingsorte“ in einer neuen Stadt – mit dem Risiko, das eine oder andere touristische „Highlight“ zu verpassen. Mir gefällt ein Mix aus beidem. Zum Glück werden langsam die Nachtzugverbindungen in Europa wieder ausgebaut, sodass Städtereisen wieder klimafreundlicher möglich sind.
Isabelle, genau so sehe ich das auch. Auf den Punkt gebracht.
Liebe Isabelle,
das ist definitiv ein besserer Ansatz! Mir persönlich ist es aber trotzdem lieber, im Urlaub Städten fern zu bleiben. Der Mehrwert erschließt sich mir nicht, wenn ich selbst in einer Stadt lebe – ich hab immer das Gefühl, man kratzt nur an der Oberfläche und es ist unmöglich, den Ort wirklich zu begreifen. Und durch die Gegend schlendern kann man auch in der eigenen Stadt. Aber das ist natürlich nur meine Meinung :)
Amen, Schwester! Auch auf Städtetrips gibt es wirklich tolle Möglichkeiten die Touri-Blase zu verlassen. Die richtige Vorbereitung ist da das AundO. ich gucke mir im Vorfeld immer ein paar Dokus an um mich ins „Thema“ ei nzustimmen und eine solide Basis an Fakten (historisch wie kulturell) zu bekommen und ansonsten versuche ich so viel es geht zu Laufen und die Augen offen zu halten. Dabei bekommt man auch immer ein guten Eindruck von der Stadt, ihrer Bewohner, der Architektur, ihrer Besonderheiten etc. die besten Restaurants habe ich zum Beispiel genau so entdeckt: Beobachtung! LG Judith
ich muss mich isabelle anschließen, nur weil man eine kurze reise in eine stadt macht, ist das ja nicht automatisch gleichzusetzen mit sightseeing, touri-fallen oder freizeitstress. dazu wird man bei der buchung ja nicht gezwungen, aber es kommt eben darauf an, was man vorhat, erleben möchte etc. gerade von münchen aus gibt es tolle zugverbindungen in sämtliche nachbarländer und ich bin mir sicher, dass ein entspanntes wochenende in wien etwas ganz anderes ist, als durch die eigene stadt zu schlendern. aber natürlich hast du recht, das klischee eines städtetrips verheißt nicht unbedingt authentische erlebnisse oder ein wochenende zum runterkommen. vll kommt man eben mit ein bisschen reiseerfahrung drauf, was einem wirklich gefällt und dass man es eben auch anders machen kann. (wer ist nicht als anfang zwanzigjähriger genau so crazy durch europa getourt? zum glück entwickelt man sich ja weiter)