Kolumne: Über das Leben im Internet, eine persönliche Hölle und Neidgefühle
Ich bin sowas von ausgelaugt. Wenn ich wie jeden Tag auf den Laptop starre, um kurze Pausen einzulegen, um danach wieder in den Laptop zu starren. Abends starre ich dann privat auf meinen Laptop oder starre aufs Handy, um zu chatten oder einen Film zu schauen. Wenn ich über mein letztes halbes Jahr nachdenke, fällt mir vor allem ein, dass ich auf einen Bildschirm gestarrt habe. In dieser Zeit habe ich trotzdem ganz schön viel geschafft. Ich bin präsent, führe Freundschaften, pflege Beziehungen zu meiner Familie, verdiene Geld, erlebe Zuspruch oder Widerspruch, diskutiere, bin traurig oder glücklich, mache Sport. All das geschieht, während ich auf einen Bildschirm starre. Es fällt also im Grunde gar keinem auf, dass ich mein Leben im Internet führe, denn alle anderen sind ja auch im Internet.
Und dort sind wir dann verbunden auf WhatsApp, Instagram, TikTok, Twitter oder alleine nur über die Nachrichten oder Podcasts und lesen, hören oder sehen uns an, wie andere ihr Leben gerade führen. Dieses Leben ist nicht unbedingt besser als das eigene, aber wir kennen Social Media und seine Angewohnheit, alles besser aussehen zu lassen. Wir bekommen nur die Snippets von kurzen Momenten der anderen mit, obwohl wir ja eigentlich wissen, dass gerade keiner sein bestes Leben führen kann.
Doch manche verzichten in dieser Zeit mehr und erfahren mehr Leid als andere.
Sie haben ihre Jobs oder gar Menschen verloren, sind alleinerziehend, sind vorerkrankt und leben in größerer Gefahr und Angst, und stecken deshalb noch mehr zurück. Während andere auf die Regeln pfeifen, weil sie einfach nicht mehr können, und mit ihren Friends draußen eine kleine Party feiern oder ein Dinner zu Hause schmeißen für mehr als einen weiteren Haushalt, weil sie das Risiko eben eingehen. Während sie Urlaub machen, auf Ausstellungen gehen, und einfach allgemein so tun, als wäre im Grunde alles wie immer. So zumindest fühlt es sich für die an, die gerade überhaupt nicht so tun können, als wäre alles normal. Aus ganz egal welchem Grund. Also zusammenfassend lässt sich mindestens sagen, dass eine weltweite Krise nicht gerade die Fairness in der Welt steigert.
Doch was ist schon fair. Fair war vor der Pandemie schließlich auch absolut gar nichts.
Durch die ständige Internetpräsenz und das fehlende wirkliche Leben wird einem jeden Tag auf’s Neue vor Augen geführt, dass es andere besser haben, als man selbst. Und allgemein sind ja alle gerade unzufriedener als normalerweise. Also ich zumindest bin unzufriedener, und ich gehe einfach mal davon aus, dass mir da ein paar Leute zustimmen werden.
Und zur persönlichen Unzufriedenheit gesellt sich noch ein anderes Gefühl gerne dazu: Neid.
Neid ist niemals ein schönes Gefühl, vor allem nicht in einer Zeit, in der unverhältnismäßig viele Menschen die herausforderndsten Monate ihres Lebens erleben und mit einer Krise zu kämpfen haben, die ihr Debüt hat. Dabei entwickelt sich das Gefühl des Neides momentan schnell mal zur Missgunst, also zum destruktiven Neid, der ohnmächtig macht. Was daraus entsteht ist Wut, dass manche Menschen eine weniger solidarische Zeit leben als andere. Wenn nun manche in den Urlaub fliegen, können wir uns vom Neid nicht inspirieren lassen, wenn wir uns den Urlaub nicht leisten können, wir solidarisch sein wollen, oder unsere Angst vor einer Erkrankung so groß ist, dass sie uns vom Urlaub abhält. Die Missgunst ist einfach da, und wir müssen sie ertragen.
Ich war auf der einen und der anderen Seite. Ich habe die Regeln zwar nie schlimm gebrochen, aber durchaus strapaziert. Auch ich war manchmal egoistisch und nicht ganz solidarisch. Die meiste Zeit aber saß ich brav zu Hause, habe mich hinter meinem Bildschirm verkrochen und demütig auf eine bessere Zeit gewartet. Weil „We’re all in this together“, oder? Dabei habe ich mich selbst nicht ausstehen können und noch viel weniger die Menschen, die sich eben nicht ganz so solidarisch verhalten haben und scheinbar ein Leben führen, das ich gerade nicht führen darf.
Beide Seiten sind da und haben ihre Berechtigung.
Was zwischen all dem Verständnis, der Sorgen und Erwartungen an eine rosige Zukunft bleibt, ist der Neid. Neid auf andere Länder, die ihre Pforten schon längst wieder geöffnet haben, Neid auf junge Personen im eigenen Alter, die eine Impfung haben, Neid auf Menschen, die momentan sorglos sein können. Ich glaube, anders geht es momentan gar nicht. Denn wir erleben gerade eine Krise. Und diese Krise hat viele Gesichter, eben auch diese. Doch das Gröbste wird hoffentlich bald vorbei sein. Dinge werden sich irgendwann ändern und die Zeit wird irgendwann hoffnungsvoller.
Das Allerwichtigste ist, momentan nicht so streng zu sein. Weder mit sich, noch mit anderen.
Wir erleben gerade alle parallel zueinander eine individuelle Hölle. Das klingt wohl pathetisch, aber vielleicht versteht ihr, was ich meine. Die einen erleben eine dunklere und schmerzhaftere Hölle als die anderen. Doch wir alle erleben gerade höchstwahrscheinlich eine schwierige Zeit. Und das darf man auch genau so sagen, auch wenn es da draußen Menschen gibt, denen es noch schlechter geht. Wenn sich da manche nicht ganz an die Regeln halten, sind sie vielleicht egoistisch, doch vielleicht brauchen sie diesen Egoismus gerade. Vielleicht können sie gerade nicht anders, als die Regeln zu strapazieren und einen Funken Egoismus zuzulassen. Wenn jedoch andere daraufhin Missgunst empfinden, ist auch dieses Gefühl verständlich.
Wir müssen uns der Tatsache bewusst sein, dass wir gerade im Kollektiv eine weltweite, schwerwiegende Krise erleben.
Eine, die Gefühle verstärkt, verändert und herausfordert. Kreuz und quer. Dass wir alle am Rad drehen, ist legitim. Was wir jedoch alle öfter mal machen können ist, uns unsere Gefühle zu verzeihen. Gutmütig zu anderen zu sein. Und sich dann auf eine leichtere Zeit zu freuen, die bereits in Sicht ist.