Short Cut: Scheiß ZEN

1. November 2016 von in

Unter Short Cut veröffentlichen wir von amazed ab sofort Kurzgeschichten.

Kaffeepause. Das ist die achte Kaffeepause, die ich heute mache und es ist noch nicht mal Mittag. Ich gieße mir lauwarmen Brühkaffee von Tchibo in meine Tasse. Sie ist ein Werbegeschenk und auf ihr ein verblichener Frosch und für was die Tasse werben sollte, erschließt sich mir nicht. Aber die Tasse hat mir Andrea gegeben, meine Chefin im Rathaus meines Heimatdorfes. Sie hat mir die Tasse gegeben, weil hier im Büro jeder seine eigene Tasse hat, weil was gibt es Schlimmeres, als wenn die Lieblingstasse am Montagmorgen nicht da ist. Das sagt die Andrea immer. Andrea sagt auch, dass ich an meinem Zen arbeiten muss, weil ich neulich heulend vor ihrer Tür stand und um einen Job im Rathaus flehte und sie nett wie immer – Bürgermeisterin halt. Sie kennt mich seit ich ein kleines Kind bin, meine Eltern haben sie früher immer zum Grillen eingeladen. Jetzt bin ich ihre Praktikantin, Yoga-Schülerin und bekomme 8.50 Euro Mindestlohn, was mehr ist, als ich damals in der Bar in Berlin verdient habe (inklusive Trinkgeld), und Zen werde ich auch.

Sechs Tage die Woche habe ich in der Zauberinsel gearbeitet – die schlechteste Bar Berlins. Ich mochte es da. Sie war immer leer, weil sie so schlecht war und deshalb saß ich meistens hinter dem Tresen und habe Bier getrunken. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die lieber viel arbeiten, weil die Zeit dann schneller rum geht. Ich arbeite lieber wenig, weil die Zeit vergeht beim Nicht-Arbeiten genauso schnell rum. Ich habe in einer typischen WG in Neukölln gelebt, und ich hatte den schönsten Freund der Welt. Den hatte ich zwei Jahre und alle haben sich gefragt, warum er mit mir zusammen ist. Ich habe mich das auch gefragt. Ich sehe okay aus, aber wirklich nicht so gut wie er. Dann sagen alle, Aussehen spiele keine Rolle, aber das ist Blödsinn: Aussehen spielt die größte Rolle, das wissen alle, das sagt nur keiner. Also schnitt ich mir diesen zu kurzen Pony und kaufte mir Second Hand Jeans, die man in den 80ern und 90ern getragen hat, um neben ihm wenigstens cool auszusehen. Ich arbeitete an meinem Humor, weil so richtig lustig bin ich nicht. Eigentlich haben hässliche Menschen und Randgruppen im Allgemeinen Humor, damit sie ihre fehlende Attraktivität ausgleichen können. Denk mal drüber nach.

Nach zwei Jahren jedenfalls hat sich Elias von mir getrennt, weil er sich in ein Model verliebt hat. Das hat mich nicht überrascht und jetzt, wo ich die zwei so auf Instagram sehe, finde ich, macht das viel mehr Sinn. Die zwei sehen so schön zusammen aus, ohne Scheiß, Brangelina nichts dagegen. Und so passend, dass ich nicht mal sauer auf ihn oder auf sie sein kann (sie trägt weder Micropony noch 90s Jeans). Das Einzige was ich gesagt habe, als er mit mir Schluss gemacht hat, war: „Danke für die schöne Zeit. Ich geh‘ dann jetzt wieder heim.“, damit meinte ich mein Heimatdorf. Berlin hat aus mir nur eine Karrikatur einer coolen Person, die in Berlin lebt, gemacht, und keine coole Person, die in Berlin lebt. Da bin ich lieber cool in meinem Heimatdorf, weil weniger Konkurrenz.

Ich lebe nun bei meinen Eltern (übergangsweise) und stand heulend vor Andreas Tür, weil so einfach war das alles nicht für mich. Am nächsten Tag durfte ich direkt im Rathaus anfangen und seit ein paar Wochen putze ich keine Biergläser in der Zauberinsel mehr, sondern Kaffeetassen im Rathaus. Hier auf dem Dorf sehe ich mit Abstand am Besten aus und ich mag den Zustand durchaus lieber als andersrum. Ich stehe jeden Freitagabend im Boomerang auf der Gästeliste, weil der Andi ist dort Türsteher und dem habe ich mit 16 mal einen geblasen. Heute ist der Andi zwar verheiratet und hat drei Kinder, aber er ist immer noch Türsteher im Boomerang, eine Win-Win-Situation also. Ich betrinke mich also freitags im Boomerang, arbeite im Rathaus oder mache Yoga bei Andrea.

Die hat vor drei Jahren, kurz bevor sie Bürgermeisterin wurde, eine Ausbildung zur Yogalehrerin in Indien gemacht. Die Stunden gibt sie zu Hause und wenn wir montags und mittwochs um 15.00 Uhr mit der Arbeit fertig sind, gehen wir gemeinsam zu ihr und machen zwei Stunden Yoga. Dann meditieren wir, und ich lerne Atemübungen, um meine Trauer zu verarbeiten. Wir dehnen unsere Hüften und Andrea erklärt, dass es okay sei, wenn man dabei anfängt zu weinen, weil da Gefühle hochkommen können. Das war bei mir jetzt noch nicht so. Manchmal hängt ihre Yoga-CD, das stört bei der Abschluss-Meditation etwas. Sie sagt, dass man sich von der Außenwelt in der Meditation nicht stören lassen darf und dass es gut ist, dass das gerade passiert ist.

Am nächsten Tag sehe ich sie dann wieder in der Arbeit. Ich gebe zu, das nervt schon etwas. Die Andrea ist nett und so, aber sie riecht immer nach Kreuzkümmel und Räucherstäbchen und sie grinst so viel. Ihre Pullover sind meistens Grün und bei aller Liebe, aber Grün habe ich noch nie verstanden. Neulich gab es Zitronenkuchen auf Papptellern, weil die Karin aus dem Dritten Geburtstag hatte, und danach hat mich die Andrea in ihr Büro bestellt. Ich also hin und dann sagt die mir, dass sie mich unbefristet übernehmen möchte. Und da finde ich, ging ihre Nettigkeit doch zu weit, denn bisher habe ich dem Rathaus nichts gegeben außer frischen Wind (es stellt sich nämlich heraus: Je bemitleidenswerter meine Situation, umso besser mein Humor).

Ich stelle meinen Pappteller ab und setze mich. Das ist sehr freundlich, sage ich und dass ich etwas darüber nachdenken müsse. Dann wird die ganz rot im Gesicht und schreit, dass ich langsam mal mein scheiß Leben auf die Reihe kriegen müsse, dass ich mit 30 nicht zurück in das scheiß Dorf ziehen soll mit den scheiß langweiligen Menschen, wo ich es doch schon bis nach Berlin geschafft hätte und dass ich eine armselige (das hat sie echt gesagt), traurige Gestalt meiner selbst bin. Dass ich außerdem fett geworden wäre und aufhören soll, diesen scheiß trockenen Zitronenkuchen zu essen – wer backt überhaupt Zitronenkuchen – und im Selbstmitleid zu versinken und dass mir echt keiner helfen kann. Dass sie mich sowieso nicht übernehmen möchte und dass die Unterkunft bei meinen Eltern niemals übergangsweise sein wird und ich aufpassen soll, weil am Ende heirate ich den Schuster Maxi und ich soll mich gefälligst verpissen aus diesem Dorf. Keiner würde hier sein wollen.

Und da dachte ich mir in dem Moment, also so Zen, wie sie immer tut, ist die Andrea auch nicht.

Sharing is caring

8 Antworten zu “Short Cut: Scheiß ZEN”

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Absenden des Kommentars bestätigst Du, dass Du unsere Datenschutzerklärung zur Kenntnis genommen hast.

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner