The Talk: In der Einsamkeit schmecke ich Salzwasser

3. September 2019 von in

Ich bin einsam. Diesen Satz, der sich vielmehr wie ein Geständnis anhört, habe ich noch nie laut gesagt. Würde man mir dann antworten, ich solle halt mal mehr unternehmen und sei selbst schuld? Oder würde man es bei mitleidigen Blicken und einem Schulterklopfer belassen? So oder so, Gesellschaft hilft mir nicht, das drückende Gefühl der Einsamkeit loszuwerden. Es ist, als würden alle anderen über einen Witz lachen, den ich einfach nicht verstehe. Der Witz ist schon mehrere Wochen alt, immer noch lustig und ich irgendwo still am Rand.

Mit Hund sei man nicht einsam, sagen Hundeliebhaber. In einer Beziehung ist man nicht so einsam, sagen angebliche Glücksberater. Ich habe einen Hund, ich war in einer Beziehung. Und ich war trotz beidem einsam. Das Loch blieb leer. Ich bin das Epizentrum meiner Einsamkeit. Sie ist wie Salz in meinem Körper, der zu 70 Prozent aus Wasser besteht. Er löst die Einsamkeit in sich auf und verteilt sie bis in meine Fingerspitzen. Pflanzenliebhaber würden behaupten, Pflanzen verbesserten Schlafstörungen und so teste ich auch das: Lavendel. Gut gegen innere Unruhe. Diesmal hilft mir auch die Pflanze nicht, egal wie flehend ich sie anschaue und wie tief ich den Duft einatme. Da liege ich also, es ist Donnerstag, fast Mitternacht und ich kann einfach nicht einschlafen. Ich rolle mich zusammen und versuche es mir kuschelig zu machen. Ich wünsche mir, dass mich  jemand ganz fest umarmt. So fest, dass ich kaum Luft bekomme. Damit ich spüre, dass da jemand ist und dass dieser jemand ganz nah bei mir ist. Nur wer?

Eine Freundin fragt mich, ob ich bei ihr im Bett schlafen möchte und ob ich mit auf eine Kuschelparty kommen möchte. Ich kann mir nichts Unangenehmeres vorstellen und lehne beides dankend ab. Mit einem Bekannten trinke ich viel Schnaps und irgendwann streicht er mir übers Haar. Ich will berührt und irgendwie getröstet werden – für was eigentlich? Es fühlt sich gut und schlecht gleichzeitig an und dann gehe ich einfach.

Zu Fremden bin ich meistens offen: Kinder streicheln meinen Hund, ich komme leicht mit anderen ins Gespräch und fühle mich meistens gut dabei. Ich setze mich zu einer Gruppe in den Park, trinke Bier und rede belangloses Zeug. Mit dem Spätiverkäufer rede ich über Eis, im Supermarkt über Netflixserien. An der U-Bahn-Station helfe ich einer Frau, die sich herzlich bedankt. Früher habe ich mich dadurch alleine richtig gut gefühlt. Jetzt ist das Gefühl weg und ich fühle mich ausgeschlossen. Eis und Netflix sind mir doch gar nicht wichtig. Wenn jemand die Arme öffnet, habe ich Probleme, auf sie zuzugehen. Geht es um Verabredungen, bin ich oft unmotiviert und frage, ob es okay ist, wenn daraus doch nichts wird. Weil ich so müde bin, wirklich zu müde. Zu einsam. Und ich will in Gesellschaft nicht noch mehr daran erinnert werden, wie lustig der Witz ist, den ich nicht verstehe. Oder wie Salzwasser schmeckt. Früher konnte ich gar nicht auf genug Hochzeiten gleichzeitig tanzen. Das war vielleicht auch nur eine Flucht vor der Einsamkeit, aber meistens hat es sogar geklappt.

Wenn ich jetzt in Gemeinschaft bin, habe ich wieder öfter Angst davor, zu nervig, laut, still, schüchtern, aufbrausend, kindisch oder spießig zu sein. Oder nichts von dem: Völlig unscheinbar zu sein. Das ist noch schlimmer. Irgendwo vergessen zu werden, weil die anderen nicht mehr wissen, dass ich auch noch dabei war. Mit ein paar Kollegen bin ich beim Späti. Da ich die letzte in der Schlange bin, sehe ich erst nach dem Bezahlen, dass die anderen schon weg sind. Ich warte noch einen Moment, gehe dann hinterher und hoffe, dass diese Situation nicht auffällt. Ich will nicht darauf reagieren müssen, dass man mich vergessen hat.

Ein paar Tage lang ist die Toilette mein Lieblingsort, weil ich dort alleine bin. Das soll mal einer verstehen. Meine Kollegen sind wirklich cool, aber ich brauche das Alleinsein. Einige Minuten gebe ich mich dem Alleinsein hin und so komisch das auch ist: Dort fühle ich mich weniger einsam als in einer Gruppe mit Menschen. Die Stille ist angenehm. Die Gefahr ist nur, dass das Ziel ja sein sollte, weniger socially awkward zu werden und auf dem Fliesenboden zu liegen statt am Schreibtisch zu sitzen, wahrscheinlich nicht zu den Maßnahmen gehört, die ich ergreifen sollte. Selbsthilfegruppen und Kuschelpartys aber auch nicht, das kann ich mir selbst glauben.

Aber wie sonst? Die Einsamkeit, dieses andauernde Gefühl, dass irgendwo ein großes Loch ist, das weder einen Namen noch sonstige Angaben von sich preisgibt, nimmt mich ein und ich kann es nicht mehr kontrollieren. Manchmal will dieses ungestillte Bedürfnis zwanghaft erfüllt werden. Ich sitze mit meinem Chef in einem kurzen Gespräch. Dann fange ich an, erzähle von der letzten Party und erkläre mich, entschuldige mich. Erzähle was von Alkohol, meiner Familie und irgendwelchen Problemen. Zwischendrin mache ich dann Witze und versuche das Ganze zu relativieren, weil: Bloß keine Drama Queen sein. Dazu ist es jetzt wohl zu spät. Ich schließe die Tür hinter mir und die Luftveränderung macht mir sofort klar, dass das absolut erbärmlich war. Eigentlich müssen selbst meine besten Freunde mich zu solchen Gesprächen durch konstantes Nachfragen drängen.

Eine Studie über Einsamkeit besagt: „Menschen, die einsamer sind, vertrauen weniger, fühlen sich von sozialen Interaktionen eher bedroht und haben Angst vor weiteren sozialen Kontakten.“ Ich hab Freunde, wirklich gute Freunde, sogar die besten, die ich jemals hatte. Nur sind sie überall auf der Welt verteilt und ich brauche trotzdem lange zum Antworten, weil das doch irgendwie alles was anderes ist, als vertraute Arme um sich zu haben. Wir werden alle erwachsen und manchmal hasse ich das und habe Angst, dass wir uns verlieren, dass ich diese Arme verliere. Wir sitzen in Unis oder irgendwelchen Büros, probieren neue WGs aus, ziehen um und kommen nur ab und an wieder zusammen. Immer mit dem Wissen, dass es bald auch wieder fort geht, mit dem Bus oder Flugzeug. Vielleicht ist das der Trost des Ganzen: Wie sollte man sich nicht einsam fühlen, wenn das doch alles irgendwie dazu gehört? Wahrscheinlich ist das alles gar nicht so komplex und verwirrend wie es sich anfühlt, sondern das Natürlichste der Welt. Irgendwann schaffe ich es vielleicht, die Einsamkeit hinter mir zu lassen. Wie soll das funktionieren, wenn ich nicht ab und zu etwas ganz Neues probiere?

Ich vermisse sie nur so, die vertrauten Arme. Ich vermisse das Gefühl, das ich habe, wenn mich jemand hält. Jemand der weiß, wie ich mich ohne diese Arme fühle. Jemand der weiß, wie sehr mich die Sehnsucht zerreißt. Doch in einigen Stunden wird mich mein sehr hässlicher Weckerton daran erinnern, dass es weiter geht. Die Tage werde ich mit Menschen verbringen, die mir bekannt, aber noch nicht vertraut sind. Aber das kann sich ändern. Ich will es gar nicht abwarten, die Arme irgendwann um mich zu haben und zu wissen: Das ist es, worauf ich solange gewartet habe. Bis dahin, mit duftendem Lavendel und einer kalten Hundenase.

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8 Antworten zu “The Talk: In der Einsamkeit schmecke ich Salzwasser”

  1. Vielen Dank für deinen schönen Text. Er hat mir aus der Seele gesprochen. Genau das mache ich auch durch. Immer auf der Flucht, vor mir selbst. Zu oft müsste ich meine Kreise wechseln um in jungen Jahren nicht ganz abzurutschen. Heute habe ich keine Kreise mehr. Nur die Einsamkeit, die jeden Tag an einem nagt. Hast du deine Einsamkeit überwunden? Wenn ja, was hat dir vielleicht geholfen ?

    • Hey Malte, danke dir. Es freut mich sehr, dass du mit meinem Text etwas anfangen kannst. :) Der Text ist ziemlich aktuell, deshalb hab ich auch noch keine Lösung für mich gefunden. Man will es nicht hören, aber wahrscheinlich steckt ein Fünkchen Wahrheit doch drin, dass die Arbeit und Sport einem helfen könnten, sich selbst genug zu sein und ein gutes Gefühl zu bekommen, nachdem man etwas geleistet hat. (Kapitalismus lässt grüßen) Keine Ahnung, ob das wirklich so toll ist und irgendwie find ich den Gedanken unangenehm, dass Arbeit die Lösung sein soll. (Und Sport mag ich auch nicht) Aber im Moment habe ich keine andere Idee. Ich bin vor einiger Zeit wieder in eine vertrautere Umgebung gezogen, aber ein Wundermittel ist auch das nicht. Sorry, dass ich dir da keine Tipps geben kann…
      Ich wünsche dir alles Gute und hoffe, dass du den Mut und die Kraft hast, weiter auszuprobieren, was für dich funktioniert.
      Debbie

  2. Sehr guter Artikel, danke dafür!
    Was du geschrieben hast, fasst auch für mich recht gut zusammen, wie ich mich fühle.
    Mit fällt es oft schwer das Gefühl der Einsamkeit in Worte zu fassen. Es anderen so zu vermitteln, dass nicht direkt die unnützen Tipps ala „geh doch mal mehr raus“ oder ähnliches, kommen.
    In solchen Fällen gebe ich den Leuten dann zb. den Link zu einem Artikel wie diesem, der es einfach gut beschreibt.

    Ich denke viel darüber nach, woher es bei mir kommt, diese Einsamkeit. Und was es bewirkt und wohin es führt, wenn ich nichts dagegen unternehme.
    Ziemlich sicher bin ich mir, dass es in einer Depression enden würde, wenn man sich davon mitreißen lässt.
    Ich für meinen Fall habe mich daher entschieden, mehr zu unternehmen und mich wieder auf andere Menschen einzulassen. Der Sportkurs, die Kontaktaufnahme zu alten Freunden, der offenere Umgang mit dem Thema.

    Vllt. sogar ein Freiwilligendienst übernehmen. In der Hoffnung, dass Sinnvolles und Gutes zu tun mich mit der nötigen Wärme erfüllt.

    Unsere Fälle sind vermutlich nicht völlig vergleichbar, aber doch in vielen Punkten sehr ähnlich.
    Ich hoffe du schaffst es eine positive Änderung herbeizuführen und die Einsamkeit zu überwinden. Falls du dich mal austauschen willst, gerne. Ansonsten alles Gute!

    • Hi Marv,
      ich finde es sehr schön, dass du dich verstanden fühlst und ich dir da, zumindest teilweise, aus der Seele spreche. Dann sind wir schonmal nicht alleine, wenn auch einsam. ;) Tatsächlich sind einsame Menschen häufiger von Depressionen betroffen. Das war auch Teil dieser Studie, die in dem Text verlinkt ist. (Wobei das keine neue Erkenntnis ist, da aber nochmal aufgegriffen wird)
      Sehr cool, was du dagegen unternimmst! Freiwilligendienst bzw. Ehrenamt ist auch einfacher zu organisieren als man denkt, wenn man sich dran gibt und schnell ne Mail schickt und da nachfragt, wo man Interesse hätte. Ich war die letzten Wochen im Altenheim und es ist auf jeden Fall spannend!
      Weiterhin alles Gute dir,
      Debbie

  3. Hallo,
    Ich habe den Artikel gelesen und gleich an meine mir vertrauten Personen ( Freundinnen, Bruder) gesendet.
    Ich konnte es noch nie so in Worte packen! DANKE dafür!
    Es ist ja auch so diffus, wer versteht schon, dass man sich selbst in größeren Menschenansammlungen einsam fühlen kann? Habe ich selbst lange nicht verstanden.. Ich habe immer latent mit Depression zu schaffen, war früher viel unterwegs, war in einer großen Kirchengemeinde, die sich als „Familie“ versteht, hatte verschiedene Ehrenämter, und trotzdem.?
    Es macht mich fertig, wie oft ich es nicht schaffe, auch wenn was los wäre oder ich eine Freundin treffen könnte.
    So bleibt nur,- weiter kämpfen..

    • Liebe Sabi,
      ich freue mich so so sehr, dass du durch den Text die Möglichkeit hast, deine eigenen Gefühle mitzuteilen und verständlicher zu machen. Hast du mal eine Therapie begonnen, um mit den Depressionen besser umgehen zu können? Vielleicht gibt es auch ein noch unentdecktes Hobby, in dem du aufgehst. Vermutlich kennst du diese „Ratschläge“ schon, ich hoffe, du nimmst sie mir nicht übel. Ich würde es mir nur so wünschen, dass so etwas funktioniert. Bis dahin, kämpfe so weiter. Es lohnt sich für die Momente, in denen du die Schwere loslassen kannst. <3

  4. Hi Debbie,
    erst einmal hat mir dein Text richtig gut gefallen. Es macht einfach Freude deine Worte zu lesen. Deine Schilderungen trösten, ermutigen, rühren und ich hatte mehrere Male – besonders beim flehenden Blick zum Lavendel – ein Lächeln auf den Lippen. Man merkt, dass du Spaß am Schreiben hast. Du bewirkst dadurch sicherlich bei vielen Menschen positives. Mich – und gewiss auch andere Leser – würde es freuen, noch weiter von dir lesen zu können (vielleicht sogar irgendwann einen Bestseller, wer weiß das schon :) ).
    Bezogen auf die Einsamkeit, sprichst du viele Eindrücke und Gefühle an, die ich selbst auch empfinde. Es ähnelt einer drückenden, stumpfen, reißenden Schneide, die unbemerkt Arbeit an uns verrichtet, sodass es uns auch schwer fällt, anderen das eigene Leid aufzeigen zu können. Oftmals fehlen die passenden Worte, die richtigen Ansprechpartner oder auch einfach Ruhe und Zeit, die nötig sind, um die inneren Stürme nach außen zu tragen. Es ist schwer dagegen anzugehen, doch sollten wir deswegen nicht verzweifeln und weiter an uns und unserem Leben arbeiten. Gerade der Umgang mit anderen Menschen – oder auch schöne, berührende Texte – lassen uns etwas in dieser Welt bewirken. Nicht selten denke ich an warme Worte zurück, die längst, von dem Menschen, der diese an mich gerichtet hatte, vergessen sind. Es ist ein toller Gedanke, dass wir selbst solch Quell der Freude sein können, deren positive Auswirkung, als erster Stein, weiteren Menschen hilft. Ich sehe meine Einsamkeit mittlerweile als einen Begleiter meiner selbst, der mir immer wieder dabei hilft, zu realisieren, dass mein Leben zählt und ich weiter kämpfen muss. So wie wir vielleicht ohne Einsamkeit – die unwillkommene Schneide – nicht existieren können, so wird auch niemals das Licht ohne die Dunkelkeit existieren :)

    • Lieber Simon,
      ein Bestseller oder generell erstmal ein Roman ist tatsächlich ein großer Traum von mir. Danke für deine Ermutigungen, das tut wirklich gut.
      Alles Gute,
      Debbie

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