All by Myself: Corona und Einsamkeit

17. November 2020 von in

Es gibt eine Pandemie, die sich klammheimlich auf dem Erdball verbreitet – schon lange, bevor Corona die Welt auf links krempelte: die Einsamkeit. Sie gehört ganz selbstverständlich zum modernen Leben dazu: Wir leben in einer Welt, die immer mehr auf das Individuum – und nicht mehr auf die Gemeinschaft – zugeschnitten ist. Und sie verträgt sich ganz hervorragend mit dem neuen Virus, das uns nun zusätzlich zwingt, Kontakte einzuschränken und zu Einzelgänger*innen zu werden.

Einsamkeit und Corona – name a more iconic duo.

Wie also schaffen wir es, uns inmitten der Pandemie vor der Einsamkeit zu schützen? Und was ist das überhaupt für ein Gefühl?

Zunächst sollte man Einsamkeit als das verstehen, was sie ist: Einerseits eine ganz normale Empfindung, die jede Person in ihrem Leben erfährt – aber andererseits eben auch eine große Gefahr, wenn sie chronisch wird. Denn andauernde Einsamkeit macht geistig und körperlich krank. Es gibt eine wachsende Zahl an Studien, die zeigen, dass Einsamkeit Ängste befeuert, Depressionen fördert, Schlaflosigkeit begünstigt und der Gesundheit schadet. Für die Herzgesundheit ist Einsamkeit genauso gefährlich wie regelmäßiges Rauchen.

In der Neurowissenschaft wird das Gefühl von Einsamkeit als ein ähnliches Warnsignal wie Hunger oder Angst gedeutet.

Wenn ich mich einsam fühle, dann sagt mein Körper mir, dass ich gerade Gefahr laufe, mich von meiner Gruppe zu isolieren. Und das war für Menschen lange Zeit eine sehr riskante Sache, denn der Mensch ist ein Rudeltier: Wer für sich allein kämpft, der hat geringere Überlebenschancen. Wenn wir also sozialen Schmerz empfinden – auch Einsamkeit genannt – dann geht es dabei um eines unserer zentralen menschlichen Bedürfnisse. Wir stehen unter Stress – und der ist sehr ungesund.

Sind wir nun also dank Corona und den Kontaktbeschränkungen alle in akuter Herzinfarkt-Gefahr? Nein, denn soziale Isolation und Einsamkeit sind nicht dasselbe: Nicht jeder Mensch, der sozial isoliert ist, ist einsam, und nicht jeder Mensch, der sozial eingebunden ist, fühlt sich nicht einsam.

Man kann sich auf seiner eigenen Geburtstagsparty schrecklich einsam fühlen und gleichzeitig in einer Hütte irgendwo in der Walachei alles andere als allein.

In der Psychologie wird Einsamkeit als eine Diskrepanz zwischen den gewünschten Beziehungen und den tatsächlich vorhandenen Beziehungen verstanden. Heißt: Man möchte zum Beispiel gern mit jemandem über ein Problem sprechen, aber kennt niemanden, dem man sich anvertrauen möchte. Das ist auch der Grund, wieso (prä-coronale) Ratschläge wie „Geh doch einfach mal raus“ nicht unbedingt etwas bringen, wenn eine Person sich einsam fühlt. Es geht um Qualität, nicht um Quantität. Alleinsein hingegen beschreibt eher den objektiven Zustand, das man buchstäblich keine Menschen um sich herum hat. Das ist für viele Menschen – looking at the introverts – sogar ein positiver Zustand.

Aber nichts desto trotz kann Corona Einsamkeit enorm befeuern, denn uns gehen sehr viele Gelegenheiten abhanden, uns mit anderen zu verbinden: Mittagspause im Büro, Konzerte, Geburtstagsparties, Familienfeiern, Clubbesuche und das gemeinsame Feierabendbier. Wir sind nun allein verantwortlich für das Aufladen unserer sozialen Akkus. Wenn wir nicht selbst dafür sorgen, dass wir andere Menschen sprechen oder treffen – ja, dann sind wir eben allein. Das ist für viele Menschen eine sehr belastende Situation. Denn wer jetzt – aus welchen Gründen auch immer – über kein starkes soziales Netz in der unmittelbaren Umgebung verfügt, der ist in akuter Einsamkeitsgefahr. Das betrifft sehr viele von uns, denn in unserer modernen Welt befinden sich unsere engsten sozialen Kontakte nur noch selten in unserem Haushalt oder in unserer direkten Umgebung.

Und das ist gefährlich, denn wer einmal drin ist in der Einsamkeitsspirale, der kommt so schnell nicht wieder raus. Das Gefühl von Einsamkeit löst Stress aus, der wiederum dazu führt, dass der Mensch in eine Art Verteidigungsmodus geht und Gefahren vermutet, wo gar keine sind. Wissenschaftler*innen haben zum Beispiel heraus gefunden, dass chronische Einsamkeit dazu führen kann, dass man die Mimik anderer als feindseliger liest als sonst. Dieses allgemeine Misstrauen kann immer tiefer in die Isolation führen. Es ist also wichtig, Einsamkeitsgefühle zu erkennen, sobald sie entstehen – und etwas dagegen zu tun.

Einsamkeit weicht, wenn man sich von anderen verstanden fühlt. Um diese Erfahrung zu machen, muss man nicht im selben Raum sitzen.

Auch, wenn ein gemeinsames Lachen via Skype ein gemeinsames Lachen am selben Tisch nicht komplett ersetzen kann: Es ist wichtig, dass wir uns jetzt auch aus der Ferne miteinander verbinden. Und oft sind es gerade die Freund*innen, die man lange nicht gesehen hat, die einem das gute Gefühl geben, sich buchstäblich zu verstehen. Auch der obligatorische Corona-Spaziergang zu zweit kann hilfreich sein. Auch wenn er vielen von uns inzwischen ein bisschen zum Hals raushängt – danach geht es uns immer ein bisschen besser als zuvor, oder?

Wir müssen anfangen, bedeutsame soziale Kontakte als genauso wichtig wie Essen und Trinken zu verstehen – denn das sind sie.

Hunger, Durst, Einsamkeit: All das sind Zeichen unseres Körpers, die sagen:
Kümmere dich! Ich brauche etwas!

Solange wir in einer Welt leben, die uns zur Isolation zwingt, müssen wir eben doppelt aufpassen. Und vielleicht – wenn das alles irgendwann vorbei ist – darüber nachdenken, wie wir so leben können, dass die Gefahr der Einsamkeit nicht mehr ständig über unseren Köpfen schwebt. Die Corona-Krise kann helfen, Einsamkeit von ihrem Stigma zu befreien. Momentan betrifft sie uns plötzlich beinahe alle – und wir können lernen, sie ernst zu nehmen. Redet doch mal mit euren Freund*innen darüber.

 

Bildcredit: Unsplash

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3 Antworten zu “All by Myself: Corona und Einsamkeit”

  1. Corona hat mir gezeigt, was wirklich echte Depression ist. Davor war ich schon auch mal länger traurig oder einsam, trotz vieler Bekannter und ein paar enger Freunde. Aber die Unbarmherzigkeit einer depressiven Verstimmung, wenn einfach gar nix mehr geht und man sich da nur viel schwerer alleine wieder raus kämpfen kann.. das kam erst mit Lockdown und 100% Homeoffice und einer Einzimmerwohnung und einer besten Freundin mit einem neuen Freund und dem Schließen von Sportstudios, wo ich fast jeden Abend verbracht habe, um raus und unter Leute zu kommen. Dazu noch die Scham, dass man sich wie ein Loser ohne Freunde fühlt, während es die anderen irgendwie trotzdem noch hinkriegen und mit ihren Partnern oder WGs eig ganz zufrieden sind. Es vergehen viele Tage, an denen ich außer mit meinen Kollegen und über WhatsApp mit niemandem spreche und jedes Mal merke ich wie sich ein Gewicht über mich legt, das ich nicht abschütteln kann… bis ich mich dann trotz Verbot doch mal wieder in kleinere Runde treffe und es sich so leicht anfühlt und ich meine Freunde umarme, ganz lang und fest, weil ich ohne körperliche Nähe eingehe wie eine vertrocknete Zimmerpflanze.

    • Liebe Rosa, danke, dass du deine Gefühle teilst. Ich bin mir sicher, dass du ganz genau damit eben alles andere als allein bist und es momentan so wahnsinnig vielen Menschen so geht. Diese Situation ist eine große Herausforderung an sich, und die Isolation ein genauso gravierender Aspekt wie das eventuelle Krankwerden. Eine Sache ist sicher, das wird alles vorbeigehen. Aber ich wünsche dir sehr, dass du Projekte, Ansprechpartner und anderes Positives für dich findest, um die nächsten Wintermonate gut zu überstehen.

    • Liebe Rosa: Feel u!!! Befinde mich in vergleichbaren Umständen und kann deswegen bestens nachvollziehen, wie es dir ergeht. Hatte mich eigentlich sehr aufs alleine Wohnen gefreut- die Situation verändert den Blickwinkel allerdings. Gewählt hat sich doch anders angefühlt, als gezwungen.
      Was mir bislang am besten geholfen hat: Computer/Smartphone (abends) aus und dadurch gar nicht erst in den sozialen Vergleich (& ins Vermissen) kommen und mich stattdessen auf ungelesene Bücher, ungemalte Bilder und Nachtspaziergänge mit Podcasts in den Ohren konzentrieren. & Tagebuchschreiben, again and again.
      Wünsch dir nur das beste

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