#youknowme: Darum ist die Debatte um das Recht auf Abtreibung so wichtig wie traurig

22. Mai 2019 von in

Dieser Artikel erschien zuerst auf Vogue.de , geschrieben von Ann-Kathrin Riedl

Das Recht auf Abtreibung war in den USA schon immer wacklig, jetzt aber ist es so gefährdet wie lange nicht: Alabama will das schärfste Abtreibungsverbot des Landes durchsetzen und auch in anderen Bundesstaaten könnten ähnliche Gesetze in Kraft treten. Noch gibt es Hoffnung: Im Netz formiert sich lauter Widerstand.

„Eine von vier Frauen hatte eine Abtreibung. Viele Menschen denken, sie würden niemanden kennen, der es getan hat, aber das tut ihr, denn ihr kennt mich. Lasst uns folgendes tun: Wenn ihr diese eine Frau von vier seid, dann erzählt eure Geschichte und lasst uns die Scham, die dieses Thema umgibt, beenden. Nutzt den Hashtag #youknowme und teilt eure Wahrheit.“

Mit diesem Twitter-Post löste US-Schauspielerin Busy Philipps eine Bewegung aus, der sich gerade Frauen auf der ganzen Welt anschließen. Sie sprechen in den sozialen Medien über die Abtreibung, die sie vornehmen ließen, und über ihre Gefühle, wenn sie darauf zurückblicken. Dabei geht es nicht darum, ob sie ihren Entschluss bedauern, oder damit im Reinen sind, sondern darum, zu zeigen, dass das Leben für uns alle eine Situation bereithalten kann, die uns vor eine große, alles verändernde Entscheidung stellt. Und wie wichtig es ist, diese frei, selbstbestimmt und angstfrei treffen zu können.

Ausgelöst wurde die neue Debatte durch Gesetzesbeschlüsse in den US-Bundesstaaten Georgia, Mississippi, Kentucky, Ohio und Alabama, die in ihrer Härte fassungslos machen. Erzkonservative wollen das sogenannte „Heartbeat Bill“ durchsetzten – ein Gesetz, das eine Abtreibung nach der sechsten Schwangerschaftswoche verbietet, also ab dem Zeitpunkt, an dem beim Fötus ein Herzschlag feststellbar ist. Das gleicht einem Totalverbot, denn viele Frauen bemerken ihre Schwangerschaft erst nach diesem Zeitraum. Sie selbst würden im Falle eines Abbruchs zwar straffrei bleiben, aber den ÄrztInnen, die einen Eingriff vornehmen, würden bis zu 99 Jahre Haft drohen.

Ungewollt schwangere Frauen müssten den Vorgang künftig im Geheimen, unter medizinisch unsicheren Zuständen, vornehmen lassen, oder aber weite Reisen und Behandlungen finanzieren, die sich viele nicht leisten können. Die radikalste Version des „Heartbeat Bill“ wurde gerade im Bundesstaat Alabama verabschiedet. Dort dürfen Abtreibungen bald nicht einmal mehr im Fall einer vorhergegangenen Vergewaltigung oder von Inzest vorgenommen werden.

Die einzige Ausnahme bildet eine Situation,
in der das Leben der Mutter gefährdet wäre.

In allen fünf betroffenen Bundesstaaten reichten demokratische PolitikerInnen und BürgerrechtlerInnen Klagen gegen die Gesetze ein – aber auch das gehört zum Plan der Abtreibungsgegner. Sie wollen das Thema vor den Supreme Court bringen, in der Hoffnung, dass dieser ein Urteil spricht, das dadurch das ganze Land betreffen würde. Wer nun denkt, dass solche Auseinandersetzungen nur in einem von Donald Trump geführten Amerika möglich sind, täuscht sich. Auch in Ungarn, Polen und in Italien haben sich aktuell Bündnisse aus Rechtspopulisten und erzkonservativen Kreisen zusammengeschlossen, um das Recht auf eine sichere Abtreibung gesetzlich einzuschränken. Auch in Irland, immerhin ja einem Mitgliedsstaat der EU, war der Eingriff bis zum vergangenen Jahr ausschließlich dann erlaubt, wenn das Leben der Mutter gefährdet war.

Und nicht zuletzt gibt es auch in Deutschland noch viel zu tun: So zwingt der sogenannte Abtreibungsparagraph 219a auch in der überarbeiteten Form ÄrztInnen hierzulande noch immer in eine Grauzone. Sie dürfen zwar darüber informieren, Schwangerschaftsabbrüche durchzuführen – nicht aber über Methoden oder Risiken. Außerdem gilt eine Abtreibung in Deutschland genau genommen nicht als legal – sondern lediglich als straffrei.

Auch prominente Frauen äußern sich jetzt in den sozialen Medien – einige zum ersten Mal. „Ich wollte eigentlich nicht über meine Erfahrung sprechen, aber ich kann nicht still bleiben, wenn so viel auf dem Spiel steht“, schreibt Schauspielerin Milla Jovovich in einem Instagram-Post. Vor zwei Jahren hätten bei ihr nach viereinhalb Monaten Schwangerschaft frühzeitige Wehen eingesetzt und sie habe einen Abbruch vornehmen lassen. Diese Erfahrung, die sie unter prekären medizinischen Umständen machen musste, habe sie so traumatisiert, dass sie in den folgenden Monaten mit Depressionen zu kämpfen gehabt habe. „Wenn ich mir vorstelle, dass Frauen aufgrund neuer Gesetze in noch unsichereren Situationen als ich einen Abbruch erleben müssen, dann dreht sich mir der Magen um.“ Und weiter: „Eine Abtreibung ist ein Albtraum, durch den keine Frau gehen will. Aber wir müssen für unser Recht kämpfen, sie so sicher wie möglich durchführen zu lassen, wenn wir es müssen.“

 

 

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Auch Moderatorin und Aktivistin Jameela Jamil berichtet von ihrer eigenen Abtreibung, und ruft zum Widerstand gegen die Gesetzesentwürfe auf. „Sie stehen symbolisch für einen Hass auf Frauen und eine Missachtung unserer Rechte, unserer Körper, unserer mentalen Gesundheit. Und sie sind eine Strafe für Vergewaltigungsopfer, die gezwungen werden sollen, das Baby des Täters in sich zu tragen.“

 

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I DON’T GIVE A FLYING FUCK WHAT YOU THINK OF MY DECISION. MY BODY. MY CHOICE. This anti-abortion law in Georgia is so upsetting, inhumane, and blatantly demonstrative of a hatred of women, a disregard for our rights, bodies, mental health, and essentially a punishment for rape victims, forcing to carry the baby of their rapist. I’m so stunned that our world is not only behind, it’s moving backwards. This hurts my heart in so many different ways, and in particular as a rape victim. I can’t imagine having fallen pregnant and being FORCED BY LAW to carry his baby to term, and see someone who looked like him every day, otherwise I can get the death penalty?! How do we help the women of Georgia? And Northern Ireland where this nightmare is ongoing.

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„Es gibt also eine höhere Strafe für ÄrztInnen, die Abtreibungen durchführen, als für die meisten Vergewaltiger? Das ist eine Farce und ich bete für all diese Frauen und jungen Mädchen, die unter diesem System leiden werden“, meldet sich Lady Gaga via Twitter zu Wort.

Wie in einem Land mit dem Recht von Frauen, über ihren eigenen Körper selbst zu entscheiden, umgegangen wird, sagt viel darüber aus, wo eine Gesellschaft gerade steht. Wird ein Schwangerschaftsabbruch zu einer kriminellen Staftat gemacht, schwingt darin auch noch etwas anderes mit: Es ist ein Versuch extrem konservativer Kreise, emanzipatorische Fortschritte bröckeln zu lassen und Frauen zurück in Schranken zu verweisen, aus denen sie sich gerade erst befreit haben. Diesen Aspekt der Debatte spricht auch die US-amerikanische Autorin Dani Fernendez an:

„Es geht ihnen [den Abtreibungsgegnern] nicht um menschliches Leben, sondern um Kontrolle.“

Model Emily Ratajkowski äußert sich ähnlich zu der Debatte: „Diese Wochen haben 25 alte, weiße Männer in Alabama dafür gestimmt, Abtreibung selbst im Fall von Vergewaltigung oder Inzest zu verbieten. Diese Männer, die an der Macht sind, zwingen weiblichen Körpern ihren Willen auf, um die Mechanismen des Patriarchats aufrechtzuerhalten.“

Auch viele Männer wie Schauspieler Chris Evans und Moderator Andrew Cohen meldeten sich zu Wort und schlossen sich der Bewegung an. Noch besteht Hoffnung, dass ein Inkrafttreten der Gesetze verhindert werden könnte. 1971 brachte das Magazin „Stern“ mit seiner Titelstory „Wir haben abgetrieben!“, in der 374 prominente und nicht prominente Frauen von ihrem Abbruch erzählten, mit dem sie sich damals noch strafbar gemacht hatten, eine landesweite Diskussion in Gange, die schließlich zu neuen Regelungen führte. Starke Stimmen können also viel bewirken – traurig ist, dass es fast fünfzig Jahre später immer noch nötig ist, sie zu erheben.

Photocredit: Unsplash

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