YOUR VOTE: Arbeitsmarkt und Familie

8. September 2017 von in

Text: Andreas Bichler

Neulich habe ich es wieder einmal gewagt, mit einem Familienmitglied über Politik zu diskutieren – Amelie kennt das Problem und hat schon über diese Debatten beim Kaffeeklatsch ausgelassen. Das Familienmitglied sagte, sie halte sich eigentlich schon irgendwie für „feministisch orientiert“ und sähe daher gerne weiterhin eine Frau im Kanzleramt – nur müsse sie dafür in Bayern halt eine Partei wählen, die wohl weiter von Gleichstellungspolitik entfernt ist als alle anderen. Woraufhin ich antwortete, dass ich mir nicht sicher wäre, ob allein das Geschlecht unserer aktuellen und vielleicht zukünftigen Kanzlerin ein Garant für gute feministische und Gleichstellungspolitik sein könne, und dass doch auch männliche Politiker gute Feministen sein können. Immerhin vertritt ein Mann mit Bart (nicht Christian Lindner) die Partei, die seit 1989 den Satz „Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden“ in ihrem Grundsatzprogramm stehen hat. Allerdings musste ich ihr dann dahingehend Recht geben, dass es ermüdend ist, wenn in meiner Partei die Kanzlerkandidatur ein ums andere Mal durch eine Männerrunde unter Männern ausgekartet wird.

Da ich an dieser Stelle aber seit Wochen predige, sich doch bitte auch um die Programme hinter den Kandidat*innen zu kümmern, gibt es heute einen Blick in die Wahlprogramme zum Thema Gleichstellungspolitik. Da zwar alle Parteien diese als „Querschnittsaufgabe“ und eigene politische Kategorie sehen, aber schwerpunktmäßig als arbeitsmarkt- und familienpolitische Frage behandeln, ist das, was folgt, eher ein Abriss dieser Themen.

Die wirtschaftliche Unabhängigkeit beider Geschlechter in allen Lebenslagen

Angefangen bei den Grünen, den Urmüttern und -vätern der gleichberechtigten politischen Repräsentation: Sie sehen die Notwendigkeit eines neuen feministischen Aufbruchs in Zeiten, in denen der Rechtsnationalismus einen gesellschaftliche Rollback anstrebt. Auch Katja Kipping, Parteichefin der Linken, hat im Amazed-Interview bereits auf eine „gesellschaftliche Konterrevolution“ von rechts hingewiesen, was klar wird, wenn man das AfD-Programm zum Thema „Bevölkerungspolitik“ und „Gender-Ideologie“ gelesen hat. Nichts darin ist wert, hier weiter ausgebreitet zu werden. Für die Grünen bedeutet Gleichberechtigung die wirtschaftliche Unabhängigkeit beider Geschlechter in allen Lebenslagen, was insbesondere durch eine tarifvertragliche Aufwertung sozialer Berufe erreicht werden soll. Diese werden nach wie vor vermehrt von Frauen ergriffen und dabei schlechter entlohnt, was im Ergebnis zur oft beklagten Lohnungleichheit der Geschlechter beiträgt.

Gravierende Unterschiede bei der Rente verhindern

Die Forderung nach einem Entgeltgleichheitsgesetz, das diese Lohnunterschiede nivellieren soll, und einer Aufwertung sozialer Berufe findet sich jedoch auch bei SPD und Linken. Die SPD möchte nicht nur eine ungleiche Bezahlung im Arbeitsleben verhindern, sondern gleichzeitig sicherstellen, dass es nicht zu gravierenden Unterschieden bei der Rente kommt, die dazu führen, dass immer noch hauptsächlich Frauen von Altersarmut betroffen sind. Die FDP möchte die Lohnlücke schließen, indem Frauen vermehrt klassische „Männerberufe“ ergreifen und umgekehrt – wobei mich hieran nicht nur die etwas verquere Unterscheidung in „Männer- und Frauenberufe“, sondern gerade die Tatsache stört, dass damit soziale Berufe nicht automatisch besser entlohnt werden. Die Union sieht das im Juli in Kraft getretene Entgelttransparenzgesetz als ersten Schritt und möchte weitere Maßnahmen prüfen, um gegen Lohnungleichheit vorzugehen.

Frauen gehen nach der Familiengründung immer noch öfter in Teilzeit

Für die SPD ist darüber hinaus Gleichstellungspolitik mit guter Familienpolitik verbunden. Da Frauen nach der Familiengründung immer noch öfter in Teilzeit gehen als Männer, was erhebliche Risiken wie ein geringeres Einkommen und schlechtere Aufstiegsschancen birgt, möchte die SPD – wie auch die Union – ein Recht auf befristete Teilzeit mit einem Rückkehrrecht auf Vollzeit gesetzlich verankern. Letzteres hat allerdings die Union in der laufenden Wahlperiode wiederholt abgelehnt. Die FDP möchte ein Langzeitkonto Arbeitszeit einführen, in dem Überstunden und Urlaub für spätere Jahre angespart werden können.

Hinzu kommt bei der SPD die so genannte Familienarbeitszeit, in der beide Elternteile ihre Arbeitszeit gleichberechtigt verkürzen und dafür ein Familiengeld vom Staat erhalten. Auch die Grünen fordern die Flexibilisierung der Arbeitszeit und wie die SPD die Abschaffung des Ehegattensplittings, das erhebliche steuerliche Anreize für einen Ehepartner schafft, keiner Arbeit nachzugehen – was ebenfalls vermehrt Frauen an der Vollzeitarbeit und dem beruflichen Aufstieg hindert.

„Revolution der Geschlechterverhältnisse“

Aus Sicht der Linken ist die „Revolution der Geschlechterverhältnisse“ unvollendet und Gleichberechtigung ein bloßes Etappenziel auf dem Weg zu einer neuen Arbeitswelt für alle: Die Erwerbsarbeit soll gerade nicht mehr den gesellschaftlichen Takt vorgeben. Die Linke fordert daher unter anderem eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit auf 30 Stunden, eine Umverteilung gut bezahlter Arbeit an Frauen und nicht weniger als eine Neubewertung aller gesellschaftlich erforderlichen Tätigkeiten, mit der eine Aufwertung sozialer Tätigkeiten einher gehen soll.

Für die Frauenquote in Aufsichtsräten sind im Übrigen alle Parteien außer der FDP, die darin einen Widerspruch zum Leistungsgedanken und damit eine „Degradierung“ von Frauen zu Platzhalterinnen sieht. Und der Union sollte man noch zugutehalten, dass sie ein besonderes Augenmerk auf die Förderung von Frauen mit Migrationshintergrund legen möchte – freilich weil erfolgreiche Integration aus Sicht der Union gerade von ihnen abhängt. Linke und Grüne blicken zumindest teilweise über den Tellerrand der Arbeitsmarkt- und Familienpolitik hinaus und setzen sich nach wie vor explizit für die Selbstbestimmung von Frauen bei Verhütung und Reproduktionsmedizin ein. Auch dafür eine Fleiß-Sternchen.

Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt ist der Hauptgrund, warum Frauen in vielen Lebenslagen benachteiligt sind

Was aber bleibt am Ende: Ungleichheit auf dem Arbeitsmarkt ist nach wie vor der Hauptgrund, warum Frauen in vielen Lebenslagen benachteiligt sind. Diese Diagnose haben alle demokratischen Parteien korrekt gestellt.
Außerdem: Eine Frau als Kanzlerin alleine bringt keine Gleichberechtigung. So zu argumentieren, ist hochgradig unpolitisch. Wer trotzdem unbedingt eine Frau im Kanzleramt sehen will, hat vielleicht andere Möglichkeiten. Ein paar Vorschläge:
(1) Martin Schulz wird Kanzler und übergibt 2021 die Amtsgeschäfte an seine erfolgreichste Ministerin, Andrea Nahles.
(2) Die Grünen knüpfen an ihre besten Post-Fukushima-Zeiten an, Katrin Göring-Eckardt wird Kanzlerin einer grün-schwarzen Koalition mit Ursula von der Leyen als Vize und Finanzministerin.
(3) Die Linke schafft endlich die gesellschaftliche Revolution, mit Kanzlerin Katja Kipping an der Spitze. Nach dem Interview an dieser Stelle letzte Woche finde ich das zumindest nicht mehr ganz so beunruhigend.

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4 Antworten zu “YOUR VOTE: Arbeitsmarkt und Familie”

  1. Hättet ihr nicht geschrieben, dass Herr Bichler SPD-Mitglied ist, hätte man es spätestens hier gemerkt….Schade, erst hiess es, hier würde einem Politik erklärt werden, aber dann merkt man beim Lesen doch, dass die SPD klar besser dargestellt werden soll, als der Rest der Parteien….Unparteiisch ist dieser Artikel in keinster Weise…..Am Schluss gar noch der Vorschlag, dass Martin Schulz Kanzler werden sollte, damit ihn Frau Nahles ablösen könne….Absurd….Aber wenn wir schon bei subjektiven Ansichten sind: Selbst meine Oma wäre eine bessere Kanzlerin als Herr Schulz…Und wahrscheinlich auch meine Katze…. Schönes Wochenende!

  2. Schon klar in welcher „Filterblase“ sich euer Autor bewegt, aber ich dachte Your Vote soll die Wahlprogramme der Parteien zu bestimmten Themen vorstellen und nicht auf Jagd nach Wählerstimmen für einen rot-rot-grünen Traum gehen. Übrigens hat der diesjährige FDP Kandidat von München-Süd die Frauenquote bei der Telekom durchgesetzt.

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