10 Jahre mit Endometriose: Ein Erfahrungsbericht

28. März 2023 von in

Aylin Arkaç ist 34 Jahre alt und lebt zusammen mit ihrem Mann in London. Sie liest so ziemlich alles, was sie in die Hände kriegt, am allerliebsten über die Themen intersektionaler Feminismus, Anti-Rassismus, Gender & Sexualität, Disability und Lohnarbeit. Unter Inspiration Information schreibt sie einen Newsletter, der in ihre Perspektive als bisexuelle, muslimische working-class WOC eintaucht. Mehr zu Aylin findet ihr auf Instagram unter @aylinarkac.

„Keine Heilung“. „Möglicherweise unfruchtbar“. „Schokoladenzyste“. Als ich vor genau 10 Jahren die Diagnose “Endometriose” bekam, hatte ich zuvor noch nie von dieser Krankheit oder den damit verbundenen Begriffen gehört. Und auch niemals damit gerechnet, dass ich eines Tages mal von Unfruchtbarkeit betroffen sein könnte.
Ich war damals Anfang 20, träumte wie viele junge Frauen davon, irgendwann den Job mit Mutterschaft zu vereinen und hatte nicht den kleinsten Gedanken daran, vielleicht gar nicht schwanger werden zu können. Oder auch, meinen zu dem Zeitpunkt ausgeführten Beruf der Flugbegleiterin durch die chronische Krankheit vielleicht irgendwann nicht mehr ausüben zu können. Doch ich lernte viel dazu in den letzten 10 Jahren seit meiner Diagnose.

Endometriose, die unbekannte Krankheit

Endometriose ist noch immer recht unbekannt und wenig erforscht. Mittlerweile ändert sich das zwar so langsam, auch dank vieler Awareness-Kampagnen von Betroffenen, inklusive Celebrities wie Alexa Chung oder Whoopi Goldberg, doch noch immer wird zu wenig über diese Krankheit gesprochen. Eine Krankheit, an der allein in Deutschland etwa zwei Millionen Menschen mit Uterus erkrankt sind, jedes Jahr kommen etwa 40.000 Erkrankungen dazu.

Der März markiert den Endometriosis-Awareness-Month und deshalb möchte auch ich, als Betroffene, meine Geschichte erzählen und Bewusstsein schaffen. Es braucht dringend mehr Aufklärung, denn es gibt noch immer zu viel Unklarheit und widersprüchliche Informationen über diese komplizierte Krankheit, die oft erst nach Jahren entdeckt wird. Und die weltweit etwa 10 Prozent aller Frauen und Menschen mit Uterus betrifft.

Was genau ist Endometriose nun, und warum gibt es noch immer keine Erlösung aus dem lähmenden Schmerz sowie dem Risiko der Unfruchtbarkeit, die diese Kondition mit sich bringt?

Endometriose ist eine Krankheit, bei der Gebärmutterschleimhaut-ähnliches Gewebe außerhalb der Gebärmutter wächst, etwa an den Eileitern, am Eierstock, an der Blase, dem Darm oder auch anderen Organen. Obwohl sie gerne als Unterleibserkrankung abgetan wird, betrifft Endometriose jedoch den gesamten Körper. Die genaue Ursache, wie es zu einer Endometriose kommt, ist noch immer unklar. Und auch die Ausprägung und der Ablauf der Krankheit kann sehr unterschiedlich sein.

Deshalb erzähle ich heute von meiner Diagnose.

Konträr zu vielen anderen Erfahrungswerten waren bei mir vor 10 Jahren eben nicht schwere oder schmerzhafte Periodenblutungen der Grund für meinen Besuch beim Frauenarzt, sondern eher irreguläre und monatelang ausbleibende Perioden. Als Ursache dafür wurden bei einem Ultraschall Zysten an meinen Eierstöcken festgestellt. So wie es häufig üblich ist, wurde mir zunächst einmal das vermeintliche “Allheilmittel”, nämlich die Anti-Baby-Pille, verschrieben. Die Hormone sollten die Zysten angeblich innerhalb kurzer Zeit von selber verschwinden lassen und das Problem wäre damit gelöst. Obwohl diese Methode eher Unbehagen in mir auslöste, tat ich dennoch, was meine Ärztin sagte, denn bis dato hatte ich mich nie mit meinem Zyklus oder die inneren Funktionen meines Körpers sonderlich befasst und mein Wissen darüber beschränkte sich auf das Bisschen, was ich in der Schule gelernt hatte.

Bei dem folgenden Kontrolltermin bei einem anderen Arzt, hieß es dann aber, dass einige der Zysten auf eine besorgniserregende Größe gewachsen seien und sich sogar mit Blut gefüllt hatten – diese Form nennt man auch Schokoladenzyste. Noch bevor ich verstanden hatte, was Zysten denn überhaupt sind und was sie verursachte, wurden sie kurze Zeit später aus Sorge, dass sie platzen könnten und somit noch mehr Schäden verursachen, durch eine ambulante Bauchspiegelung entfernt.

Alles ging – trotz der Wartezeit und Behandlung mit der Pille – furchtbar schnell, was mich extrem überforderte.

Einige Stunden nach der angeblich “minimal-invasiven” Operation wachte ich mit höllischen Schmerzen auf, vertrug zu dem die Narkose schlecht und sollte mich einfach alleine wieder anziehen und nach Hause gehen. Obwohl mir soeben erst tennisballgroße, eingeblutete Zysten an den Eierstöcken sowie auch Endometrioseherde im gesamten Bauchraum sowie auch am Darm entfernt wurden. Und nicht zu vergessen: Dabei wurde bei mir auch ganz nebenbei die schwerste Stufe der Endometriose festgestellt.

Ich hätte mir gewünscht, die Wahl gehabt zu haben, wenigstens eine Nacht im Krankenhaus zu verbringen. Stattdessen sollte ich mich zu Hause erholen, doch das Problem war, dass meine Mutter sich bei meiner kranken Oma in der Türkei aufhielt und mein Vater arbeiten musste, also hatte ich nur meinen damals 11-jährigen Bruder, der nach mir sah. Diese Erfahrung führte dazu, dass ich mich von unserem Gesundheitssystem ziemlich allein gelassen fühlte, und meine Enttäuschung darüber war groß.

Mein Gynäkologe erklärte mir später, was die Diagnose bedeutete, doch ich verstand die Welt nicht mehr. Alles, was ich hörte, waren die Worte: “Keine Heilung”, “Probleme beim Schwangerwerden” und “möglicherweise Unfruchtbarkeit”.

Von diesen Zeitpunkt an musste ich mich nicht nur damit auseinandersetzen, was es heißen würde, vielleicht gar keine eigenen Kinder bekommen zu können. Sondern auch damit, was es bedeutet, mit einer chronischen Krankheit zu leben.

Für viele Menschen ist es erleichternd, eine Diagnose und somit endlich eine Antwort auf ihr häufig jahrelanges Leiden zu bekommen. Doch für mich war diese sehr beängstigend, gerade weil ich noch so jung war und es so wenig Informationen über meine Krankheit gab. Ich dachte nur, was bringt die Diagnose einer Krankheit, für die es keine Heilung gibt? Und deren Therapiemöglichkeiten so begrenzt und teils auch widersprüchlich sind? Ich erinnere mich sogar, dass ich gesagt bekam, zwar nicht schwanger werden zu können, aber eine Schwangerschaft die Endometriose heilen würde. Was, wie ich heute weiß, eine von vielen Fehlinformationen ist, denn die Linderung ist höchstens temporär.

Nach der Operation wurde mir zur Hormontherapie geraten, was ich ohne Einwände auch ungefähr zwei Jahre lang gemacht habe. Allerdings wurden dadurch die Symptome nur bedingt besser, und es kamen wiederum neue Symptome wie Zwischenblutungen oder Stimmungsschwankungen hinzu. Dadurch, dass ich die Pille nicht gut vertrug, wollte ich andere Methoden finden und probierte in zehn Jahren alles von veganer Ernährung bis hin zu täglichen Yin-Yoga Sessions aus. Ich fühlte mich hilflos und war bereit alles zu probieren, um meine Schmerzen zu lindern und die drohende Unfruchtbarkeit zu verhindern. Doch nichts davon half oder verschlimmerte sogar alles nur.

Ich ging zu unglaublich vielen Ärzten, sodass ich ein Frauenarzt-Guide für München hätte schreiben können.

So verzweifelt hoffte ich auf Hilfe und schmerzlindernde Alternativen. Doch die meisten waren entweder zu wenig informiert, oder schlugen mir wieder nur die Hormontherapie, also die durchgehende Einnahme der Pille vor, da die Endometriose nur bei ausbleibender Periode still gelegt werden könne. Kein einziges Mal wurden mir Alternativen wie Schmerztherapie oder Reha angeboten. Das ließ mich nur noch mehr glauben, dass meine Krankheit nicht so schwerwiegend sei.

Jedoch leide ich an einer so schweren Form der Endometriose, dass sich – abgesehen von der Zystenbildung an den Eierstöcken -, Endometrioseherde stark an meinen Organen verbreiten und somit Entzündungen und weitere Probleme an ihnen verursachen. In all den Jahren wurde mir kein einziges Mal von einem meiner Ärzt*innen erklärt, was “Endometriose Stufe 4” denn nun eigentlich bedeutete, sondern erst durch Eigenrecherche erfuhr ich, dass die Folgen unbehandelt sogar zu Organschäden führen können, was mich eigentlich immer noch ständig in Panik versetzt.

Und auch, wenn mein Weg zur Diagnose glücklicherweise kürzer war als der des Durchschnitts, wurde ich so ziemlich mir selbst überlassen, was die Frage anging, wie ich mit den Folgen leben sollte.

Um die Übersicht nicht zu verlieren, sowie die richtige Therapiemaßnahme samt geeigneter Medikamente zu finden, fing ich irgendwann an, über Monate hinweg all meine Symptome, wie zum Beispiel Übelkeit oder andauernde Müdigkeit in einem Notizbuch festzuhalten. Somit bin ich nicht nur gut für Arzttermine vorbereitet, sondern stelle auch sicher, dass mir von medizinischem Fachpersonal geglaubt wird und sich all das “nicht nur in meinem Kopf abspielt”. Außerdem habe ich auch schon einmal ein Schmerztagebuch geführt und dabei festgestellt, dass ich im Durchschnitt 23 Tage im Monat unter Schmerzen an unterschiedlichen Bereichen meines Körpers leide.

Das ist ganz sicher nicht “normal”.

Unterleibsschmerzen und auch die Menstruation muss dringend weiter entstigmatisiert werden. Erst, wenn sie keine Tabu-Themen mehr in unserer Gesellschaft sind, wird auch mehr über Endometriose und die oben genannten Folgen dieser Krankheit gesprochen – und auch mehr Geld in Forschung investiert werden. Alternative Heilmethoden wie die Schmerztherapie müssen zu Kassenleistungen werden, Schüler*innen deutlich besser über Menstruation sowie damit zusammenhängende Krankheiten informiert, Frauenärzte und Frauenärztinnen mehr fortgebildet und Arbeitsplätze dringend mehr auf die Bedürfnisse chronisch kranker und Menschen mit Behinderung eingestellt werden.

Denn erst dann können chronisch kranke oder Menschen mit unsichtbaren Behinderungen, sowie auch Endometriosepatient*innen sich voll und ganz auf ihre Genesung und die Symptombehandlung fokussieren, wenn wir endlich aufhören können, die kräftezehrende Überzeugungsarbeit sowohl bei Arztterminen, aber auch innerhalb unserer Gesellschaft zu leisten. Es muss endlich damit schluss sein, ständig beweisen zu müssen, dass wir mit Endometriose auch wirklich krank sind, obwohl man uns das nicht ansieht.

 

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