10 Jahre Tinder: meine Datingerfahrungen

13. September 2022 von in

„Darf ich ein bisschen für dich swipen?“, fragte ich neulich einen Freund von mir. Kaum reichte er mir sein Handy, swiped ich darauf los: Katzenbilder: links, Knutschlippen: links, halb nackt ohne Gesicht: links, mit einem Buch in der Hand in die Kamera grinsend: rechts, was sich übersetzen lässt zu einem: nein-nein-nein-ja. Er meinte, ich sei viel zu schnell und ich müsste mir doch auch die weiteren Bilder der Personen anschauen. Ich bin anderer Meinung, schließlich halte ich mich für einen Swipe-Profi. Meine Theorie ist, man sollte so schnell swipen, wie man jemanden auf der Straße anlächeln oder sich nach jemanden umdrehen würde. Das ist übertragen die digitale Liebe auf den ersten Blick.

Was mich zum Swipe-Profi macht, sind fast acht Jahre, mit Unterbrechungen, die mein Daumen in Sekundenschnelle über meinen Bildschirm nach rechts und links wischte, auf der Suche nach netten Bekanntschaften, neuen Erfahrungen und natürlich mit der Eventualität, sich doch in jemanden zu verlieben. Auch wenn ich mit meinen acht Jahren Tindererfahrungen wohl nicht zu den Pionier*innen auf der Tinder-App gehöre, scheint mir der 10-jährige Geburtstag Tinders als nötiger Anlass, meine schlimmsten, lustigsten und schönsten Tindererfahrungen zu teilen. Zehn Jahre Tinder bedeutet auch eine Dekade, in der sich fremde Menschen aus dem Internet treffen mit der Sehnsucht nach Abenteuern, neuer Liebe oder Bettnachbar*in für einen Abend. Happy Birthday Tinder!

Das erste Mal lud ich mir Tinder mit 20 Jahren herunter, nachdem mir eine Freundin von einem tollen Date berichtete. Das wollte ich zwar ebenfalls erleben, hatte aber gleichzeitig ein komische Gefühl dabei. Onlinedating fühlte sich für mich zu dieser Zeit nach Elitepartner, alten Menschen und, wenn auch zu Unrecht, ein wenig Verzweiflung an. Trotzdem öffnete ich die App, suchte die besten Bilder von mir aus und fing an zu swipen. Das Gefühl verbesserte sich jedoch erst einmal nicht. Denn wer schreibt zuerst, und wenn ich zuerst schreibe, was schreibe ich? Reicht ein einfaches „Hallo!“ oder sollte es eine kreative Nachricht sein, die Bezug auf die Bilder, den Namen oder die Tinder–Bio hat?

Nach Nachrichten wie: „Wie groß muss er sein?“ und „Bock auf ein Pic?“ mischte sich zu dem unwohlenGefühl noch Angst und ich hatte schnell keine Lust mehr, die Männer im realen Leben zu treffen. Wenn ein Teil der Männer solch übergriffige Nachrichten verschickt, wie viele sind es bei einem realen Treffen? Stattdessen sammelte ich meine männlichen Bekanntschaften auf Tinder wie andere Jahre zuvor Pokemons auf ihren Gameboys. Die Anzahl der Matches war zunächst eine kleine Bestätigung für mein junges Ich, das noch verunsichert darüber war, wie es bei Männern ankommt.

Die Enttäuschung

Ein paar Monate später hatte ich mein wirkliches erstes Tinder-Treffen. In meiner Nachricht an den Mann teilte ich ihm mit, dass ich neu als Au Pair in New York bin und einfach nur an ein paar Tipps in der Stadt interessiert bin. Er schickte mir Cafés, Bars und Galerien und akzeptierte, dass ich keine Lust an einem Treffen hatte. Doch ein paar Wochen später lud er mich auf ein Jazzkonzert ein, weil er noch eine freie Karte hatte und dachte, es könnte mir gefallen. Nachdem er mir versicherte, dass es kein Date sei, ging ich mit. Die Antwort entspannte mich. Schließlich spielte alles Romantische somit keine Rolle mehr. Es war egal, ob ich ihm optisch gefalle oder was ich anziehe. Jetzt hatte ich die Möglichkeit einen Menschen zu treffen, der die Stadt kannte und vielleicht eine neue Freundschaft zu schließen. Trotzdem hatte ich Angst davor, einen mir vollkommen unbekannten Mann in einer mir noch fremden Stadt zu treffen. Weshalb ich meinen Freunden davor den Namen des Lokals nannte und für einen vollgeladenen Handyakku sorgte, damit ich jeder Zeit ein Taxi hätte rufen können. Kurz vor dem Treffen wollte ich es vor Aufregung am liebsten absagen, zwang mich dann jedoch selbst dazu. Tatsächlich verstanden wird uns so gut, dass wir nach dem Konzert noch in eine weitere Bar zogen und uns in der Nacht als neue Freunde trennten.

Als ich ihn eine Weile später zu einem Treffen mit meinen Freunden einlud, wollte er mich jedoch zum Abschied küssen. Ich war zum einen enttäuscht darüber, dass ich wohl doch keinen neuen Freund gefunden hatte, zum anderen darüber, dass er meine Entscheidung, nicht daten zu wollen, nicht akzeptiert hatte. Ich hatte es klar kommuniziert und er hat sich einfach darüber hinweggesetzt. Für weitere Tinderdates in New York fand ich keinen Mut mehr. Nachdem mir mehrere Männer anboten mich zum Essen einzuladen, wenn ich danach mit ihnen schlafen würde, löschte die App.

Ungeniert degradiert

Nach ein paar Monaten und einer Flugreise zurück nach Deutschland fühlte ich mich reifer und bereiter für das Onlinedating. Mit neuer Hoffnung lud ich also erneut die App herunter. Doch die Nachrichten, die ich erhielt, wurden nicht besser. Johannes, Anfang zwanzig, suchte nur nach One-Night-Stands, Michael, Mitte zwanzig, fing einen Streit mit mir an, weil für ihn vegane Ernährung „die Einstiegsdroge für Genderdadaismus“ ist. Ich war schockiert darüber, wie objektifizierend und abwertend die Nachrichten waren, die ich seit New York erhielt – wenn auch nicht verwundert. Schließlich leben wir in einer misogynen Welt. Tinder als Mikrokosmos der Datingkultur wird somit nur ein Abbild dessen wiedergeben. Männer, die frauenfeindlich denken, werden auch frauenfeindlich daten.

Was mich erstaunte war die Direktheit. Im realen Leben kommt nur selten jemand auf einen zu und brüllt einem ins Gesicht, für eine Nacht mit ins Bett zu kommen. Und ich nehme an, Michael hätte mir seine abwertende Meinung wohl auch nicht so klar ins Gesicht gesagt. Genauso erschrocken wie ich im ersten Moment war, war ich auch froh darüber, Johannes’ und Michaels Einstellungen vor einem eventuellen Treffen erfahren zu haben. Die Gewissheit, dass sie nicht das sind, was ich suchte, kam somit bereits nach ein paar Sätzen. Das schien mir zu mindestens effizient.

(Wie abwertend und frauenfeindlich Sprüche und degradierende Witze auf Tinder sein können, hält übrigens der Instagramaccount @misogynistoftinder anhand von Screenshots fest.)

Der Langweiler

Anders war es bei dem blonden Typ mit Reisebildern, von dem mir eine Freundin abriet, weil er bei einer Bank arbeitete und auf sie ein bisschen öde wirkte. Wir schrieben recht viel und er überzeugte mit guten Witzen. Als wir uns an einem Wochenende im Münchner Glockenbachviertel trafen, hatte ich schon das Gefühl ihn zu kennen. Auf der Suche nach einem freien Tisch spazierten wir von Lokal zu Lokal und hatten uns bereits nach ein paar Minuten nichts mehr zu sagen. In der Hoffnung, dass das Date mit einem Getränk in der Hand besser verlaufen würde, bestellten wir uns in der Sax Bar ein Bier. Ich fragte ihn über die Arbeit aus, für die er viel verreist, und ob es spannend wäre, jede Woche eine andere Stadt Deutschlands erkunden zu können. „Ich sehe eigentlich gar nicht viel von den Orten, weil ich abends immer ins das Hotel-Gym gehe. Aber das Frühstück ist immer toll!“, antwortete er. Daraufhin berichtete er mir von einem Auslandssemester in Bali, so nüchtern, als würde er um 20 Uhr die Tagesschau moderieren. Ich war gelangweilt und trank mein Bier so schnell aus, dass mir bei einer Partie Wetttrinken jeder Augen gemacht hätte. Also erzählte ich etwas von einem frühen Morgen, fuhr nach Hause und löschte ihn aus meinen Matches. Meine Freundin hatte Recht gehabt.

Heute glaube ich, meine Langeweile entstand zu dem durch das intensive Texten zuvor. Vor dem Treffen hatte ich mir schon ein genaues Bild von einem reiselustigen, sprachlich schlagfertigen Menschen gemacht. Der etwas schüchterne, auf Grund seines Jobs zum Reisen gezwungene Mann, der mir ihm Sax gegenübersaß, konnte seinem von mir idealisierten Bild gar nicht gerecht werden. Nach diesem Erlebnis beschloss ich mich beim Tinderdaten schnell zu entscheiden, um unvoreingenommen auf meine Dates treffen zu können.

Zuvor hatte ich Männer nur durch Freunde, in Clubs oder Veranstaltungen getroffen. Ich kannte sie durch Menschen oder Orte, die wir bewusst gewählt hatten und wir somit bereits eine Gemeinsamkeit teilten. Nach dem Motto: Wer meine Freunde mag, wird mir ähnlich sein und wer hier tanzt, mag meine Musik. Fremde Menschen aus dem Internet zu treffen, bedeutet dagegen auch, Menschen zu treffen, die einen anderen Geschmack oder eine andere Einstellung haben. Das kann viel Bereicherung bringen sowie zu negativen Situationen führen. Ich wollte mich darauf einlassen. Dass ich im Notfall mein Getränk schnell genug austrinken kann, um der Situation zu entfliehen, wusste ich ja bereits.

Der Monolog

Mit meiner neuen Regel lernte ich einen Ende 20-jährigen Mann kennen, der mich nach einem ersten gelungenen Date in einem Café ein paar Tage später zu sich auf selbstgemachte Pasta einlud. Damals klang das für mich nach einem sehr erwachsenen Date, bei dem ich mir nicht sicher war, ob ich dafür bereit war. Er erklärte mir, welches Mehl zum Pasta machen geeignet sei, während ich zuhause noch Reis in einem Plastikbeutel kochte, den man nur aufreißen muss, da ich mir in der Küche selbst nicht traute. Nicht nur beim Thema Pasta war er sich sicher. Er wusste, dass er in der Zukunft keine Kinder möchte. Ich wusste noch nicht einmal was oder wo ich studieren wollte. Je sicherer er von seinen Ideen sprach, desto unsicherer wurde ich. In dem Versuch erwachsen damit umzugehen, beichtete ich ihm meine Nervosität. Nur leider war ich nicht erwachsen genug, um diese Aussage einfach im Raum stehen zu lassen. Stattdessen redete ich mich um Kopf und Kragen und versank in einem Monolog über mich selbst. Auf dem Weg nach Hause dachte ich darüber nach, was für ein toller Zuhörer er war und wie schön ich es fand, mich so öffnen zu dürfen. Er wies mich später per SMS darauf hin, dass ihm der Abend zu einseitig gewesen ist.

Wochenlang schämte ich mich für das Date, in dem ich noch mehr geredet hatte, als ich es sowieso tue. Plötzlich war ich selbst das schlechte Date, bei dem sich die andere Person nicht wohlfühlte. Zum Glück wich die Scham irgendwann dem Eingeständnis, dass nicht jedes Dates perfekt sein muss, es nicht immer funken muss und ich nun mal viel rede – manchmal eben auch zu viel.

Der Cat-Fish

Tinder gab ich danach nicht gleich wieder auf. Ich zog nach Berlin und tinderte mich durch die Stadt. Doch während ich mich bei meinen ersten Versuchen Jahre zuvor noch ein bisschen dafür schämte auf der App zu sein, tat ich das nun ganz ungeniert. Immerhin nutzten mittlerweile fast alle meine Freunde ebenfalls Tinder oder gleich mehrere Dating-Apps. Mir ging es vor allem darum neue Menschen kennen zu lernen. Ich traf Typen, die nach einem schlechten Date trotzdem fragten, ob sie mit zu mir kommen könnten, lernte, dass Flirts zwischen Neukölln und Moabit einer Fernbeziehung gleichen und knutschte klischeemäßig auf Berliner Dächern.

Bei einem Besuch einer Freundin in Leipzig matchte ich mit Art, der wie ich 24 Jahre alt war. Er erzählte mir, dass er bald nach Berlin auf eine Hausparty fahre, auf die ich zufälligerweise auch eingeladen war. Wir entschieden uns dafür, uns vor der Party auf einen Kaffee zu treffen. Als ich am Café ankam, war er bereits da. Was ich nicht sofort bemerkte, denn Art sah überhaupt nicht aus wie der Art auf seinen Bildern. Neben ihm auf der Couch fand ich zudem heraus, dass er weder Art hieß noch 24 Jahre alt war. Anstelle dessen saß mir ein Mann gegenüber, der so alt war, dass er mit Sicherheit schon ein paar Einladungen zu Vorsorgenuntersuchungen von seiner Krankenkasse erhalten hatte. Art, der ja gar nicht Art hieß, meinte: „Alter ist etwas Nebensächliches!“ Aus Unsicherheit blieb ich und trank meinen Kaffee aus. Ich war mit der Täuschung überfordert und konnte nicht verstehen, wie er dies als Nichtigkeit abschrieb. Später auf der Party hoffte ich, dass er mich nicht anspricht.  Zu meinem Glück kam er erst gar nicht. Dafür schrieb er mir über Monate weiterhin Nachrichten. Heute befindet er sich in meinem Handy unter demReiter„blockierte Nummern“.

Mir war das passiert, was ich davor nur in einer MTV Serie gesehen hatte – ich wurde gecatfished. Unter Catfish versteht man, wenn eine Person sich im Internet als jemand anderes ausgibt. Dafür kann die Person ein anderes Alter angeben, verfälschte oder fremde Bilder benutzen oder sonstige Eigenschaften erfinden. Ich war einem begegnet und lernte daraus, die hochgeladenen Fotos auf Ähnlichkeit zu vergleichen. Bei der erneuten Betrachtung seines Profils, fiel mir nämlich auf, dass er kaum ein Bild hochgeladen hatte, bei dem sein volles Gesicht zu sehen war, und ich mir nicht sicher sein konnte, ob alle Bilder von ihm waren. Am Ende war ich nur froh, dass wir auf Grund meiner Regel nicht viel geschrieben hatten und ich somit nicht einem komplett fremden, alten Mann private Dinge aus meinem Leben verraten hatte.

Das Beste kommt zum Schluss

Bei meinem letzten Tinderdate trafen mein Date und ich uns spät abends in einer mir neuen Bar – seine Fotos hatte ich zuvor akribisch verglichen und den Nachrichtenaustauch kurzgehalten. Nachdem wir uns mehrmals unbeholfen durch die Karte lasen, schauten wir uns an und merkten, dass er andere hier ebenfalls nichts bestellen wollte: die Preise waren viel zu teuer. Auch ohne den ersten Drink war somit das erste Eis gebrochen. Bis spät in die Nacht unterhielten wir uns ein paar Straßen weiter herrlich bei Bier und Wein und schmiedeten schon Pläne für den nächsten Tag. An diesem brachte er mir eine Platte des Rappers Nas mit, weil ich am Vorabend gefragt hatte, welche Musik er denn höre. Ich war beeindruckt von der aufmerksamen Geste und lud ihn ein, sie bei mir auf dem Plattenspieler zu hören.Heute, mehr als zwei Jahre später, höre ich die Platte immer noch und der Mann, der sie mir geschenkt hat, sitzt meist daneben. Danke Tinder!

 

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4 Antworten zu “10 Jahre Tinder: meine Datingerfahrungen”

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