Aleppo zerbricht – und wir schauen zu

14. Dezember 2016 von in

Foto: Julian Cuny

Wegschauen war schon immer einfacher. Was ich nicht gesehen habe, ist auch nicht passiert. Es ist vielleicht die älteste und brutalste Art und Weise der Menschheit: Ignoranz.

In diesen Tagen sitze ich auf meinem Sofa, tippe Artikel in meinen Laptop, springe von Termin zu Termin und mein größtes Problem ist: Wann soll ich noch Weihnachtsgeschenke kaufen? Die Nachrichten echauffieren sich über Sarah und Pietro Lombardi und welche Weihnachtsfilme an den Feiertagen im Fernsehen zu sehen sein werden.

3000 Kilometer südöstlich bahnt sich seit Tagen eine Katastrophe an. Die letzten verbliebenen Menschen in Aleppo bangen um ihr Leben, mit dem Wissen, ihren sicheren Tod entgegen zu blicken. Das Assad Regime erobert die Stadt zurück – auf brutalste Art und Weise, ohne Rücksicht auf Zivilisten. Kinder laufen durch mit Leichen gesäumten Straßen, in der Angst, einem neuen Exekutionskommando gegenüber zu stehen. Hunderte von Menschen schicken letzte Nachrichten nach draußen – in die Welt. „We hope you remember us.“

My name is Bana, I’m 7 years old. I am talking to the world now live from East #Aleppo. This is my last moment to either live or die. – Bana

— Bana Alabed (@AlabedBana) 13. Dezember 2016

Bana, das siebenjährige Mädchen, deren Mutter ihren und den Weg Banas in Aleppo über Twitter dokumentierte, twitterte auch in den letzten Stunden aus Aleppo. Seit 22 Stunden ist der Account verstummt. Was mit Bana und ihrer Mutter Fatemah geschah? Wir wissen es nicht.

Wer den Hashtag #SaveAleppo oder #Aleppo eingibt, findet viele solcher Tweets – aber auch viele grausame Bilder. Vermutlich ist es das erste Mal, dass ein Krieg aufgrund von Social Media so minutiös dokumentiert wird. Die Hilferufe der Menschen sind ergreifend. Sie machen hilflos und lassen einen beklemmt zurück. 

HUMANS ALL OVER THE WORLD, DON’T SLEEP! YOU CAN DO SOMETHING!
PROTEST NOW! STOP THE GENOCIDE!#SaveAleppo #SaveHumanity

— Lina shamy (@Linashamy) 13. Dezember 2016

Selten habe ich mich so hilflos gefühlt.

Denn wir können wenig tun. Wir können nur in Gedanken bei diesen Menschen sein. Hier unsere Stimme nutzen. Spenden – an Ärzte ohne Grenzen beispielsweise. Und im nächsten Schritt auf die Straßen gehen und Position beziehen.
Aufmerksam machen, dass es neben Weihnachtsgeschenken und Jobstress noch mehr in dieser Welt gibt. Dass zur selben Zeit in Syrien und vielen anderen Teilen unserer Welt Menschen um ihr Überleben kämpfen. Dass der Westen momentan einfach zusieht, wie Regierungsmächte sich gegenseitig unterstützen, keiner unserer Regierungen humanitär eingreift, Menschen hilft. Wir können nur nochmal in Zeiten von Trump, europäischen Populismus und AfD hinweisen, dass die meisten Menschen, die hierzulande ein neues Zuhause gefunden haben, genau aus solchen Krisengebieten stammen. Seht euch die Videos an – mit welcher Angst verbunden sie ihr Zuhause verlassen müssen. Mit welcher Angst sie in ihrer Heimat festsitzen und den Tod erwarten. Mit welcher Angst sie unfassbare Wege hinter sich bringen müssen, um in der Ferne eine neue Heimat zu finden, in der sie oftmals nicht erwünscht sind.

Lasst uns nicht wegsehen. Lasst uns drüber sprechen, und zumindest hierzulande engagieren. Unsere neuen Mitmenschen aufnehmen. Ihnen Wärme, ein Lächeln, ein Stück Heimat geben. Menschlichkeit statt Angst gelten lassen – und das nicht nur zu Weihnachten, sondern jeden einzelnen Tag. Lasst uns wieder nett zueinander sein, offen und tolerant.

Denn spätestens jetzt ist es an der Zeit, dankbar zu sein. Dankbar, dass wir in einem Land leben, dass derzeit in Frieden lebt. Dass wir eigentlich alles haben, Freunde, Familie um uns, dass wir jeden Morgen ohne Angst aufstehen und abends schlafen gehen können. Wir haben keinen Einfluss darauf, wo wir geboren werden. Es ist Glück.

Was genau gerade in Aleppo passiert, hat Ze.tt. hier gut aufgeschlüsselt.

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16 Antworten zu “Aleppo zerbricht – und wir schauen zu”

  1. „Hilflos“ trifft es verdammt gut. „Angsterfüllt“ schießt direkt hinterher.
    Recht habt ihr, das was wir hier in unserem derzeit noch friedlichen Land ausrichten können, ist Nächstenliebe. Danke für eure Worte!

    • Liebe Mari,
      danke dir! Nächstenliebe – der eigentliche Sinn von Weihnachten – ist, glaube ich, das große Stichwort. Nicht nur in Bezug auf Flüchtlinge, sondern innerhalb unserer Gesellschaft.
      Alles Liebe, Antonia

  2. Ganz hilflos bist du nicht, denn du hast über diesen Artikel schon ein Bewusstsein dafür bei mir und anderen schaffen können. Und trotzdem schmerzt der Gedanke, dass wir trotz der vorhandenen Informationen nichts wirkliches tun können, um irgendwas zu verhindern….

    • Liebe Lisa,
      danke dir! Das stimmt – deswegen schreiben wir solche Artikel. Um Menschen zu erreichen, das Bewusstsein zu schärfen. Nicht nur für Aleppo, sondern für alle Teile dieser Welt, in denen Krieg und Angst herrschen.
      Liebe Grüße!

  3. Toll, dass ihr das Thema hier aufgreift. Ich trenne die Themen Mode und Politik lieber, aber ihr bringt ja immer wieder solche Themen was ich super und mutig finde. Ich bin fassungslos ob der Dinge die in Syrien geschehen. Fassungslos und wie gelähmt. Wieso schauen denn alle nur zu? Ehrlich gesagt, verstehe ich auch gar nicht mehr worum es eigentlich geht? Du hast völlig Recht wegschauen ist wirklich einfacher, aber dennoch darf man es doch nicht. Seit drei Wochen habe ich Die Zeit wieder abonniert und schwanke ständig zwischen dem Willen mich zu informieren und dem Wunsch von alledem nichts mehr zu hören, lesen oder zu sehen. Man ist machtlos und schämt sich „im Stress“ Geschenke zu kaufen… Was aber sicher ist und was wir alle jeden Tag tun können, du sagst es, ist einfach nur verdammt DANKBAR sein. Liebste Grüße Neeel

    • Liebe Neele,
      Danke dir!
      Ich verstehe die Trennung der Themen komplett, für uns war es ab einem Punkt irgendwann wichtig, unsere Reichweite auch mit solchen Themen zu verknüpfen, weil wir eben eine Verantwortung haben und meinungsbildend sind. Aber das ist eine ganz persönliche Entscheidung.
      Syrien macht mich auch sprachlos und hilflos. Aber wir können etwas tun, dankbar sein, darüber reden und an die White Helmets oder Ärzte ohne Grenzen spenden.
      Das Gefühl, es ist zu viel an Nachrichten verstehe ich auch. Ich hatte heute auch eine spannende Diskussion zu dem Thema.

      Liebste Grüße,
      Antonia

      • Servus Antonia,
        erstmal: HUT AB! Ich finde es super, dass Ihr Euch auch für Politik interessiert und es zu einem Thema auf dieser Seite macht! Aktuell habe ich oft das Gefühl, dass wir uns viel zu wenig mit der Politik beschäftigen und zu wenig Wissen über das haben, was in der Welt passiert.

        Allerdings passieren so viele Dinge in der Welt, vor denen wir die Augen nicht verschließen sollten. Nur wenn wir uns selbst informieren und mit offenen Augen durch die Welt gehen, können wir am Ende etwas ändern. Im kleinen, wenn wir den einzelnen betoffenen Menschen helfen. Aber auch im Großen, z.B. durch Wahlen oder Proteste, damit wir (DEU bzw. EU) uns nicht mehr am Kriegstreiben beteiligen.

        Einen Wunsch hätte ich noch an diese Seite: Wenn Ihr Euch mit Themen der Politik beschäftigt, versucht beide Seiten zu beleuchten. Denn es gibt immer zwei Seiten eines Konflitks mit jeweils eigenen Interessen, bzw. im Fall Syrien duzende Interessenkonflikte, mittendrin unter anderem die White Helmets. An diese Organisation kann ich z.B. nicht guten Gewissens spenden, da die White Helmets bereits mit knapp 100 Millionen USD von Regierungsseite unterstützt wurden (u.a. GB, USA und EU). Zudem gibt es Berichte über Verbindungen zu Guppierungen wie dem IS, Fotos mit White Helmets die Waffen tragen und der Unternehmensstandort befindet sich in der Türkei.

        Leider ist die Lage so undurchschaubar und kompliziert, dass man sich nicht in der Schnelle ein Bild über alles machen kann. Trotzdem sollten wir versuchen uns so gut wie möglich aus veschiedenen Quellen zu informieren.

        JA wir müssen den Menschen helfen. Aber es muss auch an die richtigen Stellen ankommen.

        Wollte ich nur kurz los werden. ;)

        • Lieber Alex,

          vielen Dank für deinen Kommentar.
          Absolut, wir können etwas verändern, indem wir unsere Stimme erheben, uns informieren und eben auf die Straße gehen, um zu protestieren. Wir von amazed versuchen, die Reichweite zu nutzen, um ein Bewusstsein zu schaffen, Diskussionen anzuregen und solche Kommentare wie deinen zu bekommen, damit auch wir wiederum weiterdenken und reflektieren.
          Und ich stimme dir zu, die Lage ist extrem unübersichtlich und auch ich bin unsicher, ob die White Helmets tatsächlich auf der für uns „richtigen“ Seite stehen. Grundsätzlich geht es mir aber erstmal darum: Wer kümmert sich um die Zivilisten, die inmitten eines Konfliktes leben müssen. Aber auch ich bin sehr verunsichert, alle Quellen zu überprüfen ist schwierig, am Ende müsste man selbst wahrscheinlich vor Ort sein, um die „Wahrheit“ zu erleben. Ich spende oft an Ärzte ohne Grenzen, die in allen Krisengebieten dieser Welt unterwegs sind. Denn auch Boko Haram ist beispielsweise ein Thema, das in unserer westlichen Welt kaum stattfindet, die Menschen aber darunter vor Ort unter größter Angst und Terror leiden.
          Mir ist es jedoch im ersten Schritt viel wichtiger, ein Bewusstsein zu schaffen, dass es uns verdammt gut geht, dass wir dankbar sein müssen und vor allem ohne Angst den Menschen begegnen müssen, die hier ankommen. Nächstenliebe leben, statt Angst und Misstrauen.

          Danke für deinen Kommentar, Antonia

  4. Erschreckend.

    Erschreckend, wie hilflos sich die UNO gibt.
    Erschreckend, wie die EU vor Russland und auch den USA kuscht.
    Erschreckend, wie dieses Thema scheinbar niemand was angeht.

    Erschreckend, wie wenig ein Menschenleben wert ist.

  5. wir sind genauso „hilflos“ wie die Menschen zu Zeiten des Vietnamkrieges. Im Grunde ist unser Argument der „Hilflosigkeit“ doch nur eine Ausrede

  6. Danke Antonia, danke amazed.
    Danke dafür, dass ihr eure Plattform nutzt, nicht nur über die schönen Dinge des Lebens zu berichten, sondern auch Dinge ansprecht, die sehr unangenehm, weil lähmend, sind.
    Gute Arbeit! <3

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