Beige Flags und die Dating-Doppelmoral dahinter

24. Oktober 2023 von in

Dating und vor allem die damit verbundenen Trends, die sich im Zuge der Miss-Matches unserer Onlinekultur ergeben, sind eine fast eigene Parallelwelt. Denn spreche ich Dinge wie Ghosting, Orbiting, das Green Circle Paradox oder die Pusher-Handy-Boys bei meinen glücklich vergebenen Freund:innen an, dann erscheinen auf den Gesichtern nur Fragezeichen. Selbst ich habe an der ein oder anderen Stelle Fragen. Wie zum Beispiel beim Thema Beige Flags. DEM Phänomen, das online gerade alle beschäftigt und Dinge mal wieder (viel) zu kompliziert macht. 

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Das Phänomen Beige Flags

Red Flags, Green Flags und nun auf einmal also Beige Flags? Daten in der Neuzeit scheint nicht nur zu einem Spiel, sondern zum Malen mit Farben geworden zu sein. Aber was genau will uns dieser neue Dating-Trend sagen, der seit ein paar Monaten ganz TikTok und Social Media bestimmt? Ist er klares Warnzeichen, so wie die Red Flags, die uns davor bewahren sollen, falsche Entscheidungen zu treffen? Tendiert er eher Richtung Green Flags, die (immer noch) viel zu wenig beachtet und geschätzt werden? Oder ist er einfach nur ein weiterer Faktor, der die Suche nach der:dem perfekte:n Partner:in komplizierter macht?

Wer jetzt hier den ultimativen Beige-Flag-Guide erwartet, liegt falsch. Denn der Definition nach hat sich die Bedeutung von Beige Flags bereits mehrmals verändert. Und wer weiß, was ihnen in nächster Zeit noch so blüht. Anfangs als „langweilige Charaktereigenschaften“ angesehen, die absolut nichts über die Persönlichkeit preisgeben und gefühlt von everybody and their mother gemocht werden, bezeichnen sie jetzt Neutrales, zu dem man keine feste Meinung hat. Beige Flags. Sind keine Dealbreaker. Nur Verhaltensweisen, die uns stutzig machen. Erstmal kein Hindernis. Aber eben auch kein Superpluspunkt. Sie sind die Antwort auf die Frage nach der komischsten Angewohnheit, die die andere Person hat. Spielerisch aufgegriffen von den Dating-Plattformen der Wahl mit Fragen bzw. sogenannten Prompts wie: „Hass mich nicht, wenn ich dir sage, dass…“ oder „Die einfachen Dinge, die mich glücklich machen…“. 

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Beige Flags im Wandel der Zeit

Hier geht nun also die Meinung auseinander, ob man dem nun neutral gegenübersteht oder mit einem genervten Augenverdrehen: Wie, du liebst es auch zu atmen, die Welt zu bereisen, warst Backpacken in Indonesien und hast Lust, dich mal so richtig gut zu unterhalten? Wie du magst auch Sport, saubere Bettwäsche und verbringst gerne mal einen Tag auf der Couch und entspannst so richtig? GROUNDBREAKING. Auf der anderen Seite sind viele Beige Flags aber auch einfach seltsame Angewohnheiten, an die man sich erst gewöhnen muss, die einen aber langfristig nicht unbedingt stören. Total subjektiv. Denn die Beige Flag der eine:n Person ist die Green oder Red Flag eine:r anderen Person. 


3 Arten von Beige Flags, die ihr kennen solltet

  1. Vermeintliche Red Flag-Beige Flags: wirken zuerst wie harmlose Beige Flags und werden dann (sehr toxische) Red Flags.
  2. Die Achselzucken-Beige Flags: Im Sinne „Muss ja jede:r selbst wissen.“
  3.  Langweilige-Beige Flags: Ach, du warst auch in Australien und atmest gerne? Glückwunsch.

Vom Dating-Profil ins echte Leben

Angefangen als Kritik an schrecklich langweiligen oder wirklich wenig aussagekräftigen Dating-Profilen, die voller Floskeln und Allgemeinheiten sind, wandern die Beige Flags immer mehr in den Alltag. Denn zwischen Job, Einkaufen und dem Offline-Leben wird klar, dass der “Charakter” immer über alles zählt. Auch wenn digital oft der “erste Blick” und die Profil-Optik die Swipe-Richtung bestimmt. Also kaum verwunderlich, dass sich ständig wiederholende Profile dazu führen, dass man sich weniger Zeit nimmt, um sich mit den Inhalten, die die Person teilt, zu beschäftigen. Nichts über sich preiszugeben oder nur ein Foto ist nicht richtig. Aber zu viel darf in der Bio auch nicht stehen. Denn wer hat schon Zeit (und Nerv) das alles durchzulesen – obwohl genau das ja eigentlich der Sinn dahinter ist.

Dennoch klagen gerade viele über den sogenannten Dating-Burn-out. Da uninspirierende sowie wenig erfolgreiche Real-Life-Treffen immer mehr zur Norm werden. Und was gibt es Enttäuschenderes, als wenn die anfängliche Vorfreude zur inneren Frage “Wie unhöflich wäre es, schon nach fünf Minuten zu gehen?” wird? Been there, done that! Statt dem erhofften Excitement scheint sich kollektiv ein Flop nach dem anderen zu reihen. Willkommen zu einer weiteren Ebene der Beige Flags. Die sind nämlich ebenfalls dafür bekannt, dass sie einen dazu animieren, sich pedantisch auf die Suche nach Indizien dafür macht, wieso es nichts werden kann. Und das entweder beim oder sogar noch vor dem ersten Treffen. Was mich zu der Frage führt: Macht das die vermeintlich harmlosen Beige Flags nicht automatisch zu ganz schön irreführenden Signalen?

Wie neutral sind Beige Flags wirklich?

Die Frage, die wir uns also stellen sollten, ist folgende: Sabotieren Beige Flags unser Dating-Verhalten? Denn es ist nicht zu leugnen, dass die Beige Flags mit ihrer Varianz an Bedeutungsebenen Einfluss auf Entscheidungen und Swipes nehmen. Das beweist zumindest die Unzahl an Videos, die auf TikTok kursieren und sich auf unterschiedliche Art und Weise mit dem Thema beschäftigen. Da sind die Warnungen vor vermeintlich harmlosen, dann problematisch werdenden Beige Flags. Oder die Romantisierung der Beige Flags von Partner:innen, die in einem Moody-Video hervorgehoben werden, wie „My BFs beige flag is that everytime I stop scratching his back, he will look at me until I start scratching again“. In vielen Fällen kann man nur den Kopf schütteln und sich fragen, welche Relevanz das überhaupt für eine Partner:innenschaft oder das Dating hat? Denn einfache Alltagshöflichkeiten oder „The Bare Minimum“ sollten ja eigentlich nicht zu einer Art Trend werden – eher zur Selbstverständlichkeit.

Doch der Dating-Trend suggeriert uns – vor allem dort, wo man sich nicht ausschließlich der Unterhaltung wegen trifft -, dass wir uns beim Kennenlernen UNBEDINGT auf die Suche nach Anzeichen für potenzielle Beige Flags machen sollten. „Irgendwie kaut er oder sie komisch, isst Butter unter Nutella, macht erst Milch und dann die Cornflakes in die Schüssel.“ Fast so, als wäre selbst perfekt nie gut genug. Weil es da ja immer etwas geben könnte, was uns früher oder später nerven würde. Etwas, das uns den wortwörtlichen „Ick“ gibt. Also ein ungutes Gefühl, was die Person auf einmal unattraktiv erscheinen lässt. Folglich limitieren wir uns selbst. Weil wir möglicherweise Personen nicht weiter kennenlernen wollen, nur weil ihre Art, ein Sandwich zu schneiden, uns nicht passt. Und ja, hier gibt es (natürlich) nur eine richtige Antwort: Diagonal!

@averybrynn1NOW♬ Summer Background Jazz – Jazz Background Vibes

Ansichtssache: Gibt es dir den Ick oder bist du damit fine?

Was passiert, ist das Etablieren einer Doppelmoral. Denn während wir bei Freund:innen oder Familie eben diese kleinen, harmlosen Angewohnheiten einfach so hinnehmen, können wir ein Date aufgrund dessen gar nicht schnell genug abservieren. Lautes Atmen, Schnarchen, Schlurfen, ein Dialekt oder das Tragen von Skinny Jeans? Zu langweilig, es gibt mir den Ick, thank you next! Irgendwie total Banane und Selbstsabotage. Statt uns auf die positiven Attribute zu konzentrieren, beschäftigen wir uns lieber damit, eine möglicherweise anfangs nicht mal vorhandene Liste mit No-Gos zu füllen. Eigentlich schade, denn genau diese kleinen Eigenheiten sind ja oft das, was den:die Gegenüber interessant macht. Und vor allem vom Rest abhebt.

Es gibt kein Perfekt und kleine, vermeintlich seltsame Angewohnheiten sind menschlich. Oft vielleicht auch darin verankert, wie man aufgewachsen ist. Vielleicht sollten wir, wenn es extrem stört, einfach mal ansprechen: Sag mal, ist dir das schon mal aufgefallen? Und irgendwo ist es ja auch charmant. Auch, wenn man manchmal die Augen verdreht. In dem Fall sollten wir uns dann wohl alle einmal selbst an die Nase fassen und überlegen: Was könnten eigentlich meine Beige Flags sein? Schon relativiert sich das Ganze. Die Frage bei Beige Flag ist also immer eine ganz persönliche Präferenz: Geben sie dir den Ick oder bist du damit fine?

 

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Beige, Beige, Beige sind die alltäglichen Dinge

Persönlich will ich manchmal einfach nur noch schreien. Denn Beige Flags wirken wie ein unnötiges Verkomplizieren von Dinge, die eben so sind, wie sie sind. Zumindest, wenn wir von den “kleinen, seltsamen” Angewohnheiten sprechen. Aber auch die Wertschätzung für die Einfachheit der Dinge. Etwas, das wir alle wieder mehr in unsere eigenen Routinen aufnehmen sollten. Zuhören, Schweigen, kleine Aufmerksamkeiten. Ja, saubere Bettwäsche ist Basic, Atmen auch, aber genau das sind doch oft auch die Dinge, die uns in der ganzen Turbulenz das Gefühl geben, am Leben zu sein. Geerdet. Die einem die Sicherheit geben, egal, wie verrückt das Leben, Dating und zwischenmenschliche Verbindungen sind. Als konstante, die einen trägt und die das Fundament für alles andere bildet. 

Am Ende des Tages kann man sich nämlich auf eins verlassen: Die Sonne geht immer unter und der Geruch nach Sommerregen wirkt jedes Mal aufs Neue wahre Wunder. Genauso wie die Tatsache, dass kleine Marotten uns menschlich machen und für das Gefühl plötzlich aufkommender Zuneigung sorgen. Denn ja, irgendwie ist es seltsam, wie du deine Brötchen schneidest, aber irgendwie mag ich dich genau dafür fast noch ein klein bisschen mehr. Genau jetzt. Und ich weiß auch, dass es mir für einen Moment fehlen wird, wenn ich eines Tages morgens aufwache – und du dann nicht mehr da bist. Dann denke ich jedes Mal daran. Mit einem warmen Gefühl.

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