Beim Sport bin ich mir selbst peinlich

28. Januar 2020 von in

Fitnessstudios waren für mich bisher das Symbol für Freizeitstress und Selbstoptimierung. Mir taten meine sportlichen Freunde Leid, dass sie dieser lästigen Selbstgeißelung „Sport“ verfallen sind. Das ist doch fast wie eine Steuererklärung: lästig und sowieso nur eine Frage des Pflichtgefühls.

Also hielt ich mich fern, belächelte Eiweißshakes, Fitnessuhren und reagierte patzig auf Absagen, weil „man heute mal wirklich wieder zum Sport müsse“. Auf Instragram hielt ich meine Filterblase sportfrei und ließ die Selbstoptimierer dort draußen einfach machen, während ich meinen Körper nur am Wochenende im Club durchtanzte, sonst aber auf so gut wie alle schnellen Bewegungen verzichtete.

Bei Arztterminen, von denen ich in letzter Zeit viel zu viele hatte, konnte ich fast jede Frage beantworten und schaute nur bei einer einzigen etwas verlegen, aber grinsend auf den Boden: „Na, wie sieht es denn mit dem Sport aus?“ Gut, das war es auch schon. Bin dann weg. Ciao. Ich fühlte mich stark in der Behauptung, ich bräuchte keinen Sport. Meine Cellulite wäre ich zwar schon gerne los, und das Pochen im Kopf nach dem Treppenlaufen ist auch nicht angenehm, aber ich muss mich eben einfach mit Cellulite und Pochen akzeptieren lernen.

Schulsport ist ein Miststück

Was ist eigentlich seit dem letzten Rumspringen auf dem Bett und den mahnenden Worten „Aber der Lattenrost!“ passiert? Erzwungener Sport und Machtspiele in der Schule. Auch unter „öffentlicher Demütigung“ bekannt. Die Öffentlichkeit hat sich bisher nur leider wenig dafür interessiert. Umso spannender wurde es im Sommer, als eine kanadische Pädagogikprofessorin sagte, Völkerball sei legalisiertes Mobbing. Das kann man für übertrieben und drastisch halten, aber klar ist: Kinder, die von ihren Mitschülern mit dem Ball abgeworfen werden, sind verständlicherweise kein Fan davon und würden es nicht als „Spiel“, sondern als Demütigung bezeichnen. Mir ging es damals im Sport auch so, obwohl ich nicht gemobbt wurde. Das war, im Nachhinein betrachtet, aber auch nur Glück.

Im Sport hat sich gezeigt, wer wirklich dazu gehört. Die besten in der Turnhalle waren keine Streber, sondern Vorreiter, deren Gunst man erwerben möchte. Schließlich werden die Sportnoten zweimal gemacht: einmal im Notenbuch des Lehrers und einmal mitten im Geschehen zwischen der ganzen Klasse, die dich entweder im Team haben will oder eben nicht. Es beginnt mit der Auswahl der Anführer: Die zwei besten Schüler als Zweierspitze im Lehrerherz, damit sie nicht im gleichen Team sind. Die zwei dürfen dann abwechselnd wählen, während die anderen abwarten, bis ihr Name endlich fällt. Bei manchen Gewählten freut sich das Team, bei anderen verdreht es die Augen, schimpft oder demonstriert anderweitig, dass diese Person für den Untergang des Teams verantwortlich sein würde. Noch schlimmer als die, die als letztes gewählt werden, fühlen sich die, die nur als Handicap zugeteilt werden, weil ein Team im Vergleich zum anderen noch „ganz offensichtlich“ zu gut ist. Ich begann den Sport zu hassen. Daher beschloss ich, ungefähr zweimal im Monat meine Periode zu haben (Zyklusunregelmäßigkeiten sind doch ganz normal), einmal meine Sportsachen zu vergessen (Wenn es meine Vergessen-Strichliste im Klassenbuch erlaubte) und beim vierten Mal zu erwähnen, dass die Risiken einer verschleppten Erkältung wirklich nicht zu unterschätzen seien und ich deshalb wohl oder übel auf der Bank bleiben müsse. Irgendwann bekam ich dann tatsächlich Knieprobleme, die mir diesen einzigen Vorteil verschafften.

Meinen Lehrer hat das natürlich provoziert, er führte mich vor, machte es noch etwas lustiger, für sich selbst und ein paar meiner Klassenkameraden, und bekam von mir regelmäßig neue Vorlagen geliefert. Ich gab nicht auf, hasste den Sport zwar, ließ mich aber darauf ein: Ja, Herr Lehrer, klar mache ich das vor und zeige, wie man die Übung nicht machen sollte. Super witzig, das alles. Zumindest erträglich, wenn ich mir meine Ungeschicktheit selbst auswähle und kein Opfer der Situation bin. So war mein Desinteresse kein Geheimnis mehr, sondern Teil meines Daseins, sobald ich die stickige Turnhalle betrat.

Schluss mit dem erzwungenen Sport

Dass es ganz ohne Sport auch nicht geht, war mir schon klar. Ich ging jahrelang reiten, bis mir zwei Erkenntnisse das Herz brachen: Dass Geld im Pferdesport wichtiger als alles andere ist und dass der süße Typ vom Hof wirklich nicht auf mich steht. Nach Jahren bewegte ich mich dann in Babyschritten wieder auf den Sport zu: morgendliches Yoga im Park. Das habe ich einmal geschafft. Die anderen Male schlief ich aus. Das war natürlich nicht so schön wie das Gefühl, das ich nach dem Yoga hatte. Jetzt quälen, um sich danach besser zu fühlen oder einfach liegen bleiben? Dasselbe Dilemma hatte der Mensch sicher auch, der die Forderung nach dem Leben im Hier und Jetzt erfunden hat. Dann probierte ich Kickboxen: Mein Kampfpartner hatte allerdings solche Angst, mir weh zu tun, dass wir die meiste Zeit mit Lachen und Schämen verbrachten, stets von einer Leitfrage, mit der wir uns abwechselten, unterbrochen: „Oh scheiße, tat das jetzt weh? Sorry, sorry, das wollte ich nicht.“

Vor wenigen Wochen machte ich dann endlich Nägel mit Köpfen, wie mein ehemaliger Sportlehrer vielleicht sagen würde. Dem Typ im Fitnessstudio erzählte ich von meiner Sportabneigung und unterschrieb den Vertrag erst, als ich sichergestellt hatte, dass er mich nicht verurteilen würde. Ich hatte meine Unsportlichkeit schließlich schon angekündigt. Wenn man selbst sagt, wie peinlich man ist, ist es bisschen angenehmer, als wenn andere es sagen, oder? Er lachte viel, ich auch und dann war das alles gar nicht mehr so blöd wie meine Steuererklärung.

Seitdem entdecke ich meine unironische Seite beim Sport. Ich lerne das Gefühl kennen, stolz auf mich zu sein; dafür, dass ich an meinen Grenzen war. Ich merke, wie stark ich mich fühle, wenn meine Beine zittern und ich die Treppe hoch schleiche und mich vorsichtshalber am Geländer festhalte, weil ich so reingehauen habe. Früher war mein Sportlehrer eine Bedrohung für mich. Im Fitnessstudio schüchtern mich manchmal diese schönen Menschen ein, die so unfassbar gut aussehen, genau wissen, was sie tun und sichtlich Freude daran haben. Von diesen Menschen bin ich noch etwas entfernt, manchmal lächle ich schüchtern zurück, wenn ich die Umkleide betrete. Aber anders als früher freue ich mich auf diese Umgebung und auch auf das einzige Ziel, das ich mir dort setze: Weitermachen.

Stark sein beim Schwächeln und Schwitzen

Ich werde geduldig und verstehe Sport immer weiter als Training statt als Demütigung und Bloßstellung. Für eine, die immer als letzte gewählt wurde, mache ich mich ziemlich gut. Dann laufe ich am Spiegel vorbei und feiere es, meine Schminke mit Schweiß statt mit Tränen zerstört zu haben. Wie schön es ist, mich langsam, aber sehr sicher nicht mehr von schönen, ehrgeizigen Menschen beim Sport bedroht zu fühlen. Denn niemand lacht mich aus, fasst mich an oder benotet mich. Falls doch, kann ich ja immer noch auf meine Kickbox-Skills zurückgreifen oder ihnen meinen Eiweißshake überschütten.

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9 Antworten zu “Beim Sport bin ich mir selbst peinlich”

  1. Hammer Text, Debbie. Genauso war es auch bei mir. Ich halte schon seit fast einem Jahr das Fitnessstudio durch. Mir hat es total geholfen, den Sport als etwas Notwendiges (wie Zähne putzen) und nicht als spaßiges Hobby zu sehen. Spaß habe ich immer noch erst nach dem Training, aber ein gutes Immunsystem, wachen Geist und ein paar extra Endorphine sind es trotzdem wert. Bleib dran! ♥️

    • Liebe Helen, danke <3 Es ist allein schon motivierend (und beruhigend), zu erkennen, dass Sport nicht mein krassestes Hobby sein muss. Irgendwie ist es ja viel eher das Gefühl danach, das du auch beschreibst. So, als hätte man gerade aufgeräumt, geputzt und ausgemistet. Dass man dem eigenen Körper was Gutes getan hat, fühlt sich dann noch besser an als irgendein Frühjahrsputz. Also let's go girl, tun wir was für unseren Endorphinhaushalt :)

  2. Danke für diese Worte! Wahnsinn! Nachdem ich dank der Schule jahrelang davon ausging, der unsportlichste Mensch auf der ganzen Welt zu sein, liebe ich die intensiven Stunden im Fitnessstudio und beim HIIT inzwischen so sehr, dass ich nicht mehr ohne sie leben mag! Und nachdem auch Liegestütze und Klimmzüge kein Hindernis mehr darstellen, glaubt mir kaum mehr jemand die Geschichte der erniedrigten Sportschülerin, die halt „nur“ Ballett kann. Ich glaube also auch, dass an der Völkerball-Mobbing-Sache viel dran ist und der Schulsport genau das Gegenteil von dem tut, was er tun sollte: Freude an Bewegung vermitteln und dazu auch außerhalb des Stundenplans motivieren. Viel zu viele Jahre hat es mich gekostet, genau das schließlich selbst zu erkennen.

    • Liebe Caro,
      oh ja, ich habe auch immer geglaubt, dass ich super unsportlich bin, dabei stimmt das gar nicht :) Und bei dir offensichtlich auch nicht! Klimmzüge und Liegestütze, da hast du meinen Respekt. Das wird ein Ziel für die Zukunft. Bis dahin versuche ich erstmal die Basic-Übungen hinzubekommen, haha.
      Genau, ich geb dir voll Recht: Völkerball muss ja auch gar nicht verboten werden oder sonst was. Es geht vielleicht nur mal darum, den Schulsport und die ganzen Abläufe zu hinterfragen und da bisschen (oder viel) sensibler zu werden.
      Danke, dass du das mit mir geteilt hast. Ich hoffe, ich werde das – genau wie du – langanhaltend erkennen und Sport ganz unabhängig und losgelöst vom Schulsport sehen.

  3. Liebe Debbie,
    ich kann deinen Text voll unterschreiben. Ich habe den Schulsport so gehasst und war nach dem Abi der festen Überzeugung, nie wieder Sport zu machen. Das habe ich dann sechs Jahre lang durchgezogen und mich erst dann ganz langsam über Ballett und Yoga an regelmäßigen Sport herangetastet. Mittlerweile gehe ich vier Mal die Woche zu Yoga- und Tanzkursen. Und genau wie du bin ich so stolz, wenn ich richtig anstrengende Stunden durchhalte und merke, dass viel mehr Kraft in mir steckt, als ich immer dachte. Mein Körpergefühl hat sich seitdem auch völlig geändert und ich nehme meinen Körper erst seitdem richtig wahr. Mir macht der Sport mittlerweile sogar richtig Spaß und ich finde es wirklich eine Katastrophe, wie im Schulsport mit vermeintlich unsportlichen Schülern umgegangen und wie viel damit kaputt gemacht wird.
    Auf der anderen Seite superschön zu sehen, wie man selbst und andere sich später davon befreien und etwas Positives aus dem Sport ziehen können.
    Vielen Dank für den schönen Text!
    Swaantje

    • Wow, Ballett und Tanzen ist toll. Da ist mein Unwohlsein aber noch stärker, weil ich von mir denke, es nicht zu können (was anfangs ja auch stimmt :D), aber ich finds super cool. Einmal war ich beim Bauchtanzen, das war krass. Aber da hab ich die meiste Zeit über mich selbst gelacht, damit andere nicht denken, dass ich mich toll dabei finde.
      Yoga ist super. Ich wünsche dir weiter viel Spaß und ein immer besser werdendes Körpergefühl für uns beide ?

  4. Danke für den tollen Artikel! Er spricht mir aus der Seele. Ich habe Schulsport immer gehasst und dachte, ich wäre unsportlich. Mittlerweile weiß ich, dass das nicht stimmt, sondern ich einfach Angst vor vielen Übungen hatte und Angst mich zu blamieren. Ich gehe immer noch nicht gerne zum Sport und habe auch noch oft dieses beschämte Gefühl – aber es wird langsam :-)
    Und Völkerball ist das Grauen! Genauso wie diese beschissenen Mannschaften zu wählen. Ich war auch immer die Letzte. Aber eines Tages werden die Letzten die Ersten sein ♥️

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