Coffee Break: Das Beziehungsurteil

5. Juli 2015 von in

Zu einer Beziehung gehören offiziell zwei Menschen. Manchmal könnte man allerdings das Gefühl bekommen, es sind ein Dutzend. Denn um uns herum denken alle, sie müssten ihren Senf zu unserer Liebelei dazugeben. Das kann in manchen Fällen hilfreich, ratsam und schön sein, schließlich sind Freunde und Familie dafür da – dass die sehen, was man vielleicht selber dank rosaroter Brille nicht sehen kann. Dieses ganze Senf-dazu-geben kann aber auch wahnsinnig schnell eine bestimmte Richtung einschlagen, aus der man nicht mehr so leicht herauskommt. Ist die Meinung über unseren Liebsten und die gemeinsame Beziehung erst einmal gebildet, gibt es oft kein Zurück.

Zuerst einmal sind da unsere Freunde, die in der Regel die ersten Ansprechpartner in Liebesdingen sind. Nur leider hat man, wenn es einem schlecht geht, oft mehr mitzuteilen, als wenn gerade alles super läuft. Dann gibt’s wenig zu erzählen, außer: läuft gerade alles super. Zudem möchte man das natürlich auch niemandem antun, dass man eine halbe Stunde davon erzählt, wie man dem Anderen beim Autofahren mit Zitronenkuchen gefüttert hat und dabei ganz viel kichern musste. Wie man am See auf das Sommergewitter gewartet hat und Hand in Hand eingeschlafen ist.

Diese Geschichten kann man sich ja selber kaum anhören, das möchte man niemandem aufzwingen. Also erzählt man vor allem von Streit und Diskussionen, von Kämpfen und was der Andere falsch gemacht hat (was man dabei gerne auslässt: was man selber falsch gemacht hat). Weil Freunde dazu mehr sagen können als „Oh, wie schön!“. Weil man sich eine zweite Meinung einholen möchte und auch ein bisschen  weil man will, dass die einem Recht geben. So, spätestens acht Streits und Diskussionen mitbekommen, hat sich jeder der Freunde ein Bild von der Beziehung gemacht – und das ist, Überraschung, natürlich verzerrt und im besten Fall gerade einmal die halbe Wahrheit.

Auch Eltern mischen sich gerne ein. Bei ihnen reicht oft schon, wenn sie von einem Streit oder einer Diskussion mitbekommen, bis der elternmäßige Instinkt sich einschaltet und ein „Der ist nicht gut für dich!“ kommt oder – noch verstörender – sie plötzlich und bis in alle Ewigkeit auf der Seite des Partners sind. Während man von Freunden noch mehr Loyalität erwarten kann, polarisieren Eltern viel schneller. Daraus folgt entweder, dass sie den Neuen von nun an ganz kritisch ins Visier nehmen oder ihn dermaßen gerne haben, dass man sich wie das fünfte Rad am Wagen fühlt. Welcher Fall auch eintritt, man merkt, dass man sich selbst einen Gefallen tut, wenn man auf die Frage hin „Und wie läuft’s bei euch so?“ zukünftig einfach mit „Gut!“ antwortet, um ihnen nicht noch mehr Futter zu geben.

Nun könnte man denken: Schrecklich ist das, dass sich alle immer einmischen! Selbst schlüpft man aber auch viel zu gerne und viel zu oft in die Rolle des Beziehungsbeobachters und –beurteilers. Man hat über jeder Beziehung in seinem Freundes-/Bekannten-/Arbeitskreis eine Meinung. Diese stützt sich zwar meist auf nur zwei wackelige Informationen, aber man hat sie und ist sich sicher, dass man nun weiß, wie das mit den beiden so läuft. Ganz schön schräg und verkehrt, denn keiner kann zwischen zwei Menschen schauen. Aber man tut es – vielleicht, weil es Spaß macht und ein bisschen Entertainment bringt. Das wäre ja an sich überhaupt nicht verkehrt. So funktioniert vielleicht das halbe Leben, dass man sich Meinungen über andere Menschen bildet und diese untereinander austauscht.

Was allerdings wahnsinnig verkehrt ist an dieser ganzen Sache: Wir alle haben Vorstellungen von der Liebe, genauso wie unsere Freunde und Eltern, die wir auf Paare projizieren. Und diese Vorstellungen sind meistens total überzogen. Auch, wenn unsere eigenen Beziehungen alles andere als perfekt laufen, erwarten wir von den anderen Beziehungen, dass sie es tun. So be- und verurteilen wir den kleinsten Streit schon als mittelmäßige Katastrophe, als Störung auf dem Weg hin zur Hollywoodverlobung. Wir sind in den Beziehungen der Anderen viel kritischer und lassen weniger durchgehen als in unseren eigenen.

Dadurch geben wir den Beziehungen in unserem Umfeld das Gefühl, dass sie falsch laufen. Wir bauen Druck auf, wenn der neue Freund der besten Freundin nach vier Monaten noch nicht „Ich liebe dich!“ gesagt hat, obwohl wir das selbst auch nicht erwarten würden. Wir sind so streng mit unseren Ansichten, wie etwas zu laufen hat, dass wir die Realität und was dieser Beziehung gut tut, aus den Augen verlieren.

Alles von Anjas Serie Coffeebreak 

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3 Antworten zu “Coffee Break: Das Beziehungsurteil”

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