Coffee Break: Muss man sich aufopfern, wenn’s um die Familie geht?

3. Februar 2020 von in

Vor ein paar Jahren schrieb unsere Autorin Anja in ihrer Kolumne noch über die Liebe oder was man dafür halten könnte. Nun haben wir Coffee Break neu aufgelegt – und diesmal dreht sich alles um das Thema 30 werden. Über Freunde, die gehen und andere, die dazukommen. Wie man immer mehr weiß, was man kann und trotzdem an manchen Tagen so sehr an sich zweifelt, dass man lieber im Bett liegen bleibt. Darüber, dass man Angst hat, kein Baby bekommen zu können und gleichzeitig totale Angst davor hat, jetzt eines zu bekommen. 30 werden ist anstrengend, aber vor allem eines: wahnsinnig spannend.

Vor ein paar Jahren lernte ich beim Abendessen in einem Hotel eine sehr nette und warmherzige Frau kennen. Sie erzählte mir, dass ihre Mutter in einem Pflegeheim lebt und sie deshalb endlich kein schlechtes Gewissen mehr von ihren Mitmenschen bekommen möchte. Ich schluckte meinen Weißwein hinunter, nickte brav und verurteilte sie genauso wie alle Anderen dafür – „Wie kann man nur? Die eigene Mutter!“. Heute würde ich ihr auf die Schulter klopfen und sie verstehen, denn auch, wenn es hart klingt, aber nur, weil man mit jemandem verwandt ist, heißt das noch lange nicht, dass man sich aufopfern muss.

Ich habe immer zuerst geschaut, dass es mir gut geht, bevor ich mich um Andere kümmere, weil ich weiß, dass ich Kraft dafür brauche, um es gerne zu tun.

Mit meiner Mama wird es niemals so sein – sie ist meine beste Freundin und nur der Gedanken daran, sie jemals in ein Pflegeheim zu geben, bräche mir das Herz. Der Unterschied ist eben: Wir würden uns auch verstehen, wenn wir nicht verwandt wären. Aber es gibt so ein paar andere Kandidaten in meiner Familie, bei denen ich das nicht sicher weiß. Bei denen ich mir denke: Wie viel soll ich noch reingeben? Wenn mein eigenes Leben recht gut und entspannt verläuft, muss ich mir dann stundenlange Gespräche antun, nach denen es mir meistens schlechter geht? Muss ich jemanden therapieren, der niemals zugeben würde, dass er eine Therapie dringend nötig hat? Ich will nicht müssen, auch und vor allem nicht in meiner Familie.

Mein Freund würde mir in dieser Stelle empört widersprechen. Er findet und ich glaube, das finden viele Menschen: Man muss sich kümmern. Man muss da sein. Man muss zuhören. Man muss Opfer bringen für seine Familie. Bis zu einem gewissen Grad stimmt das sicherlich, aber es spielt schon auch mit rein, ob man generell aufopfernd unterwegs ist oder eben immer nur so viel gibt, wie geht – und nicht mehr. Ich habe eigentlich immer zuerst geschaut, dass es mir gut geht, bevor ich mich um Andere kümmere, weil ich weiß, dass ich Kraft dafür brauche, um es gerne zu tun. Um mich nicht verpflichtet zu fühlen, weil es ich dann eben nicht mehr gerne tue.

Den Anderen als freiwillige Bereicherung im Leben sehen, statt als verwandte Selbstverständlichkeit. Das würde ich mir wünschen.

Dafür habe ich auch oft zu hören bekommen, dass ich egozentrisch bin. Da stellt sich mir die Frage, was wirklich zum eigenen Vorteil geschieht: Dinge über sich ergehen lassen, die man nicht möchte – ganz einfach, weil man den Konflikt vermeiden möchte und damit auch die Möglichkeit, abgelehnt oder verlassen zu werden. Oder ganz klar zu seinen Grenzen zu stehen und zu sagen: Bis hierhin und nicht weiter, denn dann muss ich erst einmal heim und wieder Kraft tanken.

Nun ist niemand in meiner Familie so anstrengend, dass ich keinen Kontakt mehr haben möchte, zum Glück! Aber da ich jetzt unabhängig und erwachsen bin und meine Zeit so füllen kann, wie ich das möchte, frage ich mich eben doch immer öfter, wer da drin auftauchen sollte und wen ich dann doch nur treffe, weil ich denke: Ich muss mal wieder. Wahrscheinlich hilft wie immer, auch wenn es Mut braucht, darüber zu reden und dem Anderen mitzuteilen, was stört. Denn nur dann hat derjenige auch die Chance, etwas Neues daraus zu zaubern: Dem Gegenüber zuhören, statt nur Monologe halten. Den Anderen als freiwillige Bereicherung im Leben sehen, statt als verwandte Selbstverständlichkeit. Das würde ich mir wünschen. Sich treffen, weil man weiß, man muss nicht, wenn man nicht will. Ja, man kann auch aufstehen und gehen – und diese Freiheit sollte man sich genauso herausnehmen, wenn man verwandt ist.

Wer sich nicht braucht – weder finanziell noch emotional – der liebt sich vielleicht erst wahrhaftig?

Denn das Schöne am Erwachsenwerden ist ja, dass man immer unabhängiger wird. Dass man sein eigenes Geld verdient, vielleicht sogar eine eigene Familie gründet oder die besten Freunde zu einer Art Familie werden. Dass man immer weniger darauf angewiesen ist, dass die Verwandten gutheißen, was man macht und mit wem. Natürlich braucht man seine Familie immer noch, um zu leben, aber eben nicht mehr um zu überleben. Die Zusammentreffen werden demnach in den Zwanzigern und Dreißigern freier und wenn die Beziehung zum Anderen sowieso schon toll ist, wie die zu meiner Mama, dann hat sie die Chance, noch toller zu werden. Wer sich nicht braucht – weder finanziell noch emotional – der liebt sich vielleicht erst wahrhaftig?

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