Der neue Luxus liegt in der Selbstheilung, oder: Verkaufen wir unsere Seele?
Fotocredit: Netflix / Unsplash
Gwyneth Paltrow ist fast 50 Jahre alt, doch in ihrem rosaroten, komplett verglasten goop lab sieht sie aus wie eine Fee in ihren frühen Dreißigern. Sicherlich hatte sie dafür ein paar Helferlein, die da heißen Moneten. Ständig ist sie auf Diäten und Kuren, die sie in ihrem Shop für sauviel Geld verkauft. Ihr Ziel ist es, den Körper aufzuräumen, oder, um es in ihren Worten zu sagen: zu heilen. Und nachdem Gwyneth, ganz offensichtlich für alle Zuschauerinnen wie mich, nach außen hin bereits ziemlich ordentlich geheilt ist, also perfekt aussieht, geht diese sauteure Heilung nun innen weiter. Dass es sich in ihrer Arbeit, ihrer Netflix-Show the goop lab und in ihrem gesamten Leben um reinen Luxus handelt, ist offensichtlich. Doch der neue Luxus geht unter die Haut und bestenfalls in unsere Seele. Weil wer braucht noch zwanzig SUVs in unterschiedlichen Farben und einen überfüllten Kleiderschrank – begehbar – außer Paris Hilton? Maximalistischer Luxus ist etwas, das alle können. Sie müssen halt nur reich sein. Viel spannender und eine deutlich größere Herausforderung ist es doch, den Blick nach innen zu richten. Wir sind schließlich nicht mehr in den Achtzigerjahren, in denen Quantität auch Qualität bedeutete. Der Begriff Luxus hat in unserem Zeitalter eine neue Nische gefunden, in der Größe nicht gleich Luxus bedeutet und Masse eher billig wirkt.
„Der Begriff Luxus hat in unserem Zeitalter eine neue Nische gefunden, in der Größe nicht gleich Luxus bedeutet und Masse eher billig wirkt.“
Nennen wir es das Marie-Kondo-Phänomen. Wir wollen aufräumen. Und wenn wir aufgeräumt haben, wollen wir noch mehr aufräumen. Unsere Seele und unsere Wohnung (oder Villa, kommt ja immer drauf an). Danach üben wir uns im Verzicht, um das so herrlich aufgeräumte nicht wieder zu zerstören. Gleichzeitig muss aber trotzdem weiterhin konsumiert werden, schließlich leben wir in den goldenen Zeiten des Kapitalismus. Wie konsumiert man also Verzicht? Wie konsumiert man, ohne zu besitzen? Diese Frage stellte sich wahrscheinlich auch Gwyneth, die sie mit Smoothie-Zusätzen wie „echter Mondstaub“ oder einer nach ihrer Vagina duftenden Kerze beantwortete. Quasi Marktlücke. Die Kerze ist natürlich ausverkauft. So richtig verzichtend ist der Kauf einer nach Gwyneths Vagina riechenden Kerze jetzt aber auch nicht. Die Lösung liegt im Unsichtbaren. In der inneren Heilung. Wir kaufen und verkaufen jetzt nämlich wortwörtlich unsere Seele.
„Wir leben in den goldenen Zeiten des Kapitalismus. Wie konsumiert man also Verzicht? Wie konsumiert man, ohne zu besitzen?“
Zum Beispiel in Form von Yoga-Retreats. Das bietet zwar Paltrow nicht an, aber dafür alle anderen. Außerdem bin ich mir sicher, dass sie schon einige davon besucht hat. Aber das ist jetzt reine Spekulation. Wir genießen unseren Luxus in der Selbstheilung, in der wir uns bestenfalls selbst sowie unseren Emotionen näher kommen. Wir lassen uns einwöchige Saftkuren aus Glasflaschen nach Hause liefern, weil Trinken ist das neue Essen. Wir nehmen Nahrungsergänzungsmittel zu uns. Mit wir meine ich zumindest mich. Ich nehme Nahrungsergänzungsmittel, weil ich der Meinung bin, dass mich Vitaminkuren fit machen. Das mit dem Yoga mache ich übrigens auch. Definitiv zähle ich mich zu den Marie-Kondo-Anhängern. Ich suhle mich in dem Genuss des Verzichts, der sich im Grunde nur auf das Unsichtbare verlagert hat. Wie herrlich. Selbstoptimierung? Ja, sicherlich. Luxus ist der Inbegriff von Selbstoptimierung. Aber irgendwie gefällt mir dieser Luxus besser als der protzige Achtigerjahre-Luxus. Ganz schön Vintage, deine zweihundert Taschen und deine überfüllten All-you-can-eat-Teller. Viel moderner: Wir fasten und geben dafür sehr viel Geld aus. Very Gwyneth.
„Wir fasten und geben dafür sehr viel Geld aus. Very Gwyneth.“
Das goop lab auf Netflix treibt diesen Luxus auf die Spitze. In jeder Folge ist von Heilung die Rede, die das goop-Team mit den Experten bespricht. Die Experten kapitalisieren darin ursprüngliche Traditionen – in den Achtzigerjahren hätte man diese als „Hippietum“ bezeichnet – die sie nun in diesem verglasten, sehr leeren und unverschämt ordentlichen goop lab nach Los Angeles bringen. Welten prallen aufeinander. Und was davon übrig bleibt ist, dass ich nichts lieber tun würde, als nach Brasilien zu fliegen, und dort mit Hilfe von psychedelischen Pilzen meine Seele zu – was denn auch sonst – heilen. Oder in einer abgelegenen Schneelandschaft eine Snow-Yoga-Session mit „The Iceman“ namens Wim Hof im Bikini abzuhalten und anschließend in einen saukalten See zu springen. LOL. Anders kann ich auf eine Skurrilität wie diese nicht reagieren.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Let’s be real. Selfcare hin oder her – es ist schon ein merkwürdiger Anblick, wenn ein Haufen wohlhabender Frauen und Männer aus L.A. mit berühmten Gurus für ein Wochenende gewisse Praktiken ausübt, die überhaupt nichts mit seiner Realität zu tun hat. Als würde sich ein Hahn mit einer Fledermaus unterhalten und danach das Gefühl haben, das Gespräch habe ihn bereichert.
Trotzdem können diese Anstöße aus einer anderen Welt wirklich schön sein. Auch wenn wir, Kinder des Kapitalismus, die Berührung mit Spiritualität und innerer Heilung in unseren Großstädten nicht unbedingt leben, ist es dennoch erfrischend, neugierig zu bleiben. Interesse an den Möglichkeiten des Lebens zu entwickeln und diese zu pflegen. Es ist belebend, sich selbst besser kennenzulernen und liebevoll mit sich umzugehen. Die inneren Grenzen zu überwinden und sich gelegentlich herauszufordern, sowie etwas Neues zu wagen.
„Es ist belebend, sich selbst besser kennenzulernen und liebevoll mit sich umzugehen.“
Dafür kann man, muss man aber gar nicht, nach Brasilien fliegen und psychedelische Pilze zu sich nehmen, oder Schneeyoga im Bikini machen. Die erfrischende Kälte erlangt man auch durch Wechselduschen am Morgen und die Spiritualität gewinnt man durch Meditationen, die sich auch im unmittelbaren Alltag umsetzen lassen. In Berührung mit sich selbst zu sein, muss weder etwas kosten, noch auf anderen Kontinenten stattfinden. Die Kritik an der ziemlich teuren Selbstoptimierung der Netflix-Serie goop lab ist berechtigt. Doch sie zeigt etwas, was wir vielleicht manchmal vergessen. Der Weg zu sich selbst, der ja irgendwie immer ein Weg bleibt, kann große Freude bereiten und eingerostete Nerven wach kitzeln. Auf kreative Weise und ganz spielerisch. Und das geht garantiert auch ohne einer überteuerten Kerze, die nach Gwyneths Vagina riecht.
5 Antworten zu “Der neue Luxus liegt in der Selbstheilung, oder: Verkaufen wir unsere Seele?”
Hallo Amelie,
ich lese eigentlich jeden deiner Artikel ( heißt das so ? ?)
und wollte schon immer einen Kommentar abgeben.
Da ich aber eine ganz andere Generation bin, und mich auf keinem anderen Blog herumtreibe ?, habe ich es irgendwie noch nicht gemacht.
Aber dieser Artikel inspiriert mich jetzt doch, es endlich zu tun.
Klasse ! Du triffst es auf den Punkt.
Ich liebe deine Artikel im Bereich Popkultur ( ? ).
Jedenfalls alles, was mit UNS zu tun hat.
Weiter so !
Liebe Grüße
Evi
Liebe Evi, danke für deinen lieben Kommentar. Ich freue mich, dass dir meine Artikel so gut gefallen :)
Ganz liebe Grüße aus Berlin!
Amelie
Super beschrieben und vor allem eines, bodenständig. Das ist das, was viele sein wollen, es aber nicht hinkriegen. Weil auf dem Weg zur Bodenständigkeit erstmal drei schweineteure makrobiotische Retreats liegen ;)
Liebe Grüsse Ava
[…] zu verfolgen und danach selbst solche Dinge wie Wechselduschen auszuprobieren, hat Amelie hier beschrieben. Aber wenn es für mich darum geht, das ultimativ entspannendste Fernsehprogramm zu […]
[…] The Goop Lab war Amelie schon im Februar angetan und hat nicht nur Wechselduschen dadurch für sich entdeckt. Ich schaue die Folgen um die […]