Geld oder Kunst: Habe ich verlernt, kreativ zu sein?

23. Mai 2023 von in ,

Dieser Artikel ist das erste Mal im Juli 2022 erschienen. 

Es ist Juli 2022. Eigentlich wollte ich längst ein neues Buch geschrieben haben. Eines, das sich abhebt von meinem ersten. Das eine Geschichte erzählt, die bewegt. Mindestens einen Roman war mein Ziel. Vielleicht auch ein neues Sachbuch. Vielleicht aber vor allem die Geschichten, die in meinem Kopf sind, raus wollen und erzählt werden sollen. Selbst wenn sie am Ende niemand liest. Erzählen will ich sie. Eigentlich.

Wer jetzt denkt, warum schreibt sie denn nicht, der irrt. Ich habe geschrieben. Vielleicht so viel wie lange nicht mehr. Jeden einzelnen Tag. Nur nicht für mich. Ich schrieb für Kund*innen, die noch schnell einen Blogpost brauchten. Ich redigierte Texte anderer Autor*innen, entdeckte Talente und verzweifelte über manche, die sich „Journalist“ nannten. Ich entwarf Social Media Postings, kreierte launige Texte für Instagram Stories und schrieb mehrfach 100 Seiten über ein Thema. Nicht für mich, sondern für einen Kunden, der ganz zauberhaft ist. Und ich schrieb natürlich für amazed, das mein Herz hüpfen lies und vielleicht der letzte Ort war, an dem ich wahrlich kreativ hätte sein können. Das gelang mal gut, meistens eher nicht.

Die Ideen, sie sind da, sie warten auf einem Stück Papier. Doch jedes Mal, wenn ich dachte, jetzt, jetzt ist der Moment sich hinzusetzen, endlich wieder kreativ zu schreiben, ploppte eine Email auf. „Hallo du, könntest du vielleicht nicht doch noch diesen einen Auftrag annehmen?“ Einen Seufzer später, hatte sich mein Kopf längst entschieden: Ja zum Job, nein zum kreativen Output. Das Herz, das kam immer irgendwie mit. Muss ja, nicht?

Sich für die Sicherheit entscheiden, für das Geld, für den neuen Kontakt, für die Chance, eine*n neue*n Auftraggeber*in zu bekommen: Das fiel mir leicht. Muss ja. Als Freelancerin sowieso immer irgendwie. Lieber ein Eisen zu viel im Feuer, als zu wenig. Gegen die Krise absichern, durch möglichst viele Jobs, das war mein Mantra. Spätestens seit Beginn der Pandemie, bei der auch ich Auftraggeber*innen verlor, ein mächtiges Gefühl. Sicherheit, Geld verdienen, eine solide Basis haben. Klingt furchtbar langweilig, ist aber eben auch ein Stück weit wichtig. Gerade, wenn man so ein freies Leben führen will.

Sicherheit vs. Freiheit, Geld vs. Kunst

Wo wir schon bei der Krux sind. Denn durch die Sorge, Sicherheit zu verlieren, vielleicht eben einmal nicht genug Geld zu verdienen, passierte das, was ich nie wollte: Ich war plötzlich nicht mehr frei. Ganz ohne es zu merken tappte ich in die Falle der Verwertbarkeitslogik. Einen Begriff, den ich dieses Wochenende von der wunderbaren Journalisten-Kollegin Michèle Loetzner gelernt habe. Die Verwertbarkeitslogik, wie es @die.drahtseiltaenzerin unter einen Post bei ihr schrieb, treibt einen weg vom Kreativsein hin zum Geldverdienen. Ganz nach dem Motto: „Bringt mir dieser Text Geld, Sicherheit oder irgendetwas?“ Wenn ja, gibt’s die Zusage. Wenn nein, wird er nicht geschrieben.

 

 

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Per se ja auch erstmal nichts falsches. Denn wer mit seinem Talent oder seiner Kunst Geld verdienen will, seine Miete bezahlen muss oder grundsätzlich davon leben will, muss natürlich erstmal Jobs haben, die das möglich machen. Zu Beginn des Freelancer-Daseins freut man sich über jede Jobzusage, nimmt möglichst viele Jobs an und jongliert zwischen einzelnen Kund*innen. Doch irgendwann wird das Becken größer, in dem man schwimmt. Die Bälle, die einem entgegengeworfen werden, aber auch. Und man selbst fängt sie. Einen nach dem anderen. Die dicksten zuerst. Die, die groß genug sind, um große Wellen zu schlagen. Die kleinen, die Spaß machen, sie in die Luft zu werfen, von denen man nicht weiß, wohin sie als nächstes fliegen, die lässt man liegen. The bigger the better. Muss ja. Ganz nach der Verwertbarkeitslogik.

Wer zu viele Bälle jongliert, darf keine Pause machen

Seit einiger Zeit jongliere ich mehrere große Bälle, und merke, so langsam geht mir die Kraft in den Armen aus. Fallen lassen, um einen kleinen Ball zu fangen, war lange Zeit kein Thema. „Das Projekt ist jetzt dann bald vorbei“, sage ich, während ich schon den nächsten großen Ball anfliegen sehe. „Nur noch den, dann mach ich eine Pause“, rufe ich, und glaube mir schon fast selbst nicht mehr. Die Jobs machen alle Spaß, sie sind toll, die Kund*innen ein Traum, bereichern mich, sie fordern mich, sie geben mir Sicherheit. Aber: Mein Herz und ich bleiben auf der Strecke. Meine Kreativität ist längst am Boden des Beckens, mir fehlt die Kraft, abzutauchen und sie hochzuholen. Erst noch die anderen Bälle jonglieren, weiterwerfen und dabei nicht untergehen.

Ich brauche die Kreativität. Sie ist der Grund, warum ich schreibe. Sie macht mich gut, sie lässt mich meine Gefühle und Gedanken zu Papier bringen, gute Texte schreiben und neue Ideen entwickeln. Gemeinsam sind wir ein gutes Team. Eines, das viel schaffen kann. Sie fehlt. Ohne sie bin ich nicht komplett. Im Gegenteil. Ich bin gelangweilt, von meinen Texten, von den eigentlich spannenden Aufgaben, von dem, für das mein Herz eigentlich seit Jahren brennt. Ich wiederhole mich in Texten, ich finde nicht die richtigen Worte, die mir auf der Zunge liegen, ich bringe meine Ideen nicht mehr zu Papier. Ich arbeite nur mehr ab. Nicht mehr kreativ.

Habe ich verlernt, kreativ zu sein?

Seit ein paar Wochen blicke ich auf den Beckenboden, sehe die Kreativität an und überlege, wie viele Atemzüge ich wohl brauche, um zu ihr abzutauchen und sie wieder hervorzuholen. Seit ein paar Wochen weiß ich, dass ich das muss. Ohne sie bin ich nichts. Und so lasse ich seit ein paar Wochen auch die Bälle fallen. Neben mir aufprallen. Weil mir die Energie fehlt, sie zu fangen. Vielleicht aber auch, weil ich eben auch hin und wieder etwas anderes will. Von mir, meinem Schreiben, meinem Leben. Die Verwertbarkeitslogik verdreht die Augen, mein Herz weiß, dass es das Richtige ist.

Ich muss schreiben. Ich liebe es, zu schreiben, ich liebe es, meine Gedanken zu Papier zu bringen, ich liebe es, Reaktionen zu bekommen, zu wissen, Menschen lesen meine Texte, mögen sie, sind unterhalten oder berührt, manchmal auch verärgert. Alles schon dabei gewesen. Ich hasse nichts mehr, wenn mir der Sinn in meiner Arbeit abhanden kommt. Wenn sich die Balance verschiebt, die Verwertbarkeitslogik immer vor der Kunst gewinnt.

Ich weiß, dass ich wahnsinnig privilegiert bin, mit dem, was ich liebe, Geld zu verdienen. Dass jeder meiner Jobs Spaß macht, meine Kunden wahnsinnig toll sind und allein deshalb das Nein so viel schwerer fällt, als das Ja. Dass ich überhaupt die Möglichkeit habe, zu sagen, ich muss und will wieder kreativer arbeiten.

Ich habe das große Glück, jeden Tag neu zu entscheiden, was ich mache. Das Problem ist schlichtweg: Ich habe mich in letzter Zeit falsch entschieden. Für die Sicherheit, gegen die Freiheit. Dabei brauche ich vor allem eines: die Balance. Die Waage zwischen Sicherheit und Freiheit, zwischen Geld und Kunst. Nicht nur für mich, sondern auch für meine Arbeit. Kreative Arbeit braucht Raum, Zeit und Freiheit. Nichts davon hatte sie in letzter Zeit.

Japsend nach Luft, die Kreativität und ich

Im Moment schwimme ich im Becken, die Kreativität fest im Blick. Ich will sie nicht verlieren. Ich jongliere die Bälle, die mir Freude machen, fange aber nur noch jene auf, die mir beides geben: Sicherheit und Freiheit genauso wie die Möglichkeit, Kunst zu machen, ein Buch zu schreiben, meine Gedanken zu Papier zu bringen. Der Rest fällt platschend ins Wasser, und ich schwimme mit geschwächten Armen weit davon. Bis ich irgendwann wieder so viel Raum und Kraft habe, um zu atmen. Tief ein und aus. Bis ich abtauchen kann, die Kreativität vom Boden hole und mit ihr wieder auftauche. Japsend nach Luft. Viel zu lange war sie unter Wasser.

 

 

 

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