I hate the new (Kan)Ye: Wieso Black Support Culture wichtig ist und rassistische Statements keine Absolution verdienen

6. Oktober 2022 von in
Collage via

Triggerwarnung: Rassismus

Ich bin aufgewühlt. Weil das Internet Wellen schlägt. Kanye West aka Ye ist zurück and he came for no good! Als einer der kontroversesten popkulturellen Persönlichkeiten sorgt er bei jedem seiner großen Auftritte für extreme Reaktionen, die sich mit gesellschaftlichen Grenzen, ethischen Fragen und Kunst als Kommunikations- und Provokationsform beschäftigen. Er spaltet Meinungen, Gemüter und jetzt sogar seine eigene Community, der er mit seiner neusten Inszenierung in den Rücken fällt.

Ich frage mich: Was hat es für Auswirkungen, wenn eine solch ikonische und international (pop-)kulturell relevante Person wie Kanye ein anti-rassistisches Movement radikal instrumentalisiert? Und wie problematisch ist es, wenn Größen wie er sich feindselig gegen andere Personen aus der (BPOC-)Community stellen? Denn Ye ist Kunstfigur und Vorbild – einer DER Künstler unserer Zeit und vor allem auch ein Mitglied der Black Community, der er geschafft hat. Was ihn zum Vorreiter macht, der zur Genüge als Referenz genutzt wird – die seit seiner Show, auf der Paris Fashion Week nicht mehr reproduziert werden sollte.

 

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Ye und sein Slogan, der die Gesellschaft spaltet

Was uns aktuell Plattform übergreifend beschäftigt, wurde von Ye selbst als Krieg betitelt. Und diesmal greift Ye nicht den neuen Ex-Lover seiner Ex-Frau Kim Kardashian an, zieht gegen Taylor in die Schlacht oder verbündete sich mit problematischen Charakteren wie Donald Trump. Nein, diesmal geht er gegen seine eigene Community – genauer gesagt die Vogue-Journalistin Gabriella Karefa-Johnson. Die sich wie viele andere öffentlich über ein von ihm getragenes T-Shirt geäußert hat. Ein einfaches weißes Shirt mit schwarzem Schriftzug: White lives matter.

Wieso genau diese Rhetorik so problematisch ist, möchte ich hier nicht weiter anreißen. Denn genau darüber haben bereits viele kluge Leute geschrieben. Wie zum Beispiel Lauren Sheerman (BOF), Vanessa Friedman (NY Times) oder Raven Smith (Vogue). Texte, die ihr in jedem Fall lesen solltet, um zu verstehen, wieso das Design ein Angriff ist. Gegen jedes einzelne Mitglied der BPOC-Community. Denn der satirisch-modische-Kommentar steht in keiner Verhältnismäßigkeit zu Ye‘s sonstigen Perfomances und PR-Stunts. Vielmehr bringt er das Fass in der Diskussion um Respekt und Anerkennung in unserer multinationalen Gesellschaft zum Überlaufen. Und zeigt: eurozentrische und vor allem weiße Realitäten sind das, was unseren Alltag bestimmt und immer über allem steht – wie ein Damoklesschwert.

Reproduktion rassistischer Rhetorik, Anti-Support-Culture und ein Kampf der Giganten

Was mich neben dem ganz offensichtlichen Fakt, der Problematik des Designs beschäftigt ist folgendes: Support Culture. Denn nachdem Gabriella Karefa-Johnson (GKJ) in ihrer Story ein wirklich differenziertes und kluges Statement über die Präsentation des Slogans getroffen hat, reagierte Ye, so impulsiv wie immer. Via Social Media mit einem sehr persönlichen Angriff. Sicherlich sind Kunst und die Beziehung des Künstlers zu seinem Werk eine sehr fragile, aber auch Kunst kann nicht ohne Kontext existieren. Und dieser Kontext klammert eine ganze Personengruppe aus. Eine, zu der Ye selbst zählt und gegen die er sich offensichtlich positioniert.

Was wir also gerade beobachten, ist eine digitale Schlammschlacht, zu der sich immer mehr Parteien äußern. Die das Fashion-Statement sowie Ye‘s Kriegserklärung an GKJ verurteilen. Eigentlich ein sehr positives Beispiel, wie Black Support Culture aussieht und was sie für eine Macht hat. Nämlich die, dass sowohl Anna Wintour’s Vogue ein öffentliches Statement abgegeben hat als auch dass Ye seine Beleidigungen mit einer Entschuldigung zurücknahm. Es herrscht also Frieden im Paradies? Nein. Denn das Signal, was gesendet wurde, ist, wie vulnerabel und unbeständig Black Support Culture (in extremen Situationen) sein kann. Denn die öffentliche Anfeindung, die Ye gegenüber GKJ zeigt, beweist die Tatsache, dass, die BPOC-Community, für eine Art vermeintliche Zugehörigkeit in bestehenden Systemen bereit ist, sich gegeneinander zu stellen.

 

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Darum ist Black Support Culture in weißen Räumen so wichtig und notwendig

Das Prinzip ist einfach. Minderheiten sind immer dem Wohlwollen der Mehrheit ausgeliefert. Das ist bestehenden Systemen geschuldet, die sich nicht so einfach verändern lassen. Doch gleichzeitig haben sie auch immer eine kollektive Kraft, die genutzt werden kann, um diesen „natürlichen Dysbalance“ auszugleichen und dafür sorgen, dass sich beide Parteien auf Augenhöhe begegnen. Im Falle Ye, der sowohl wie GKJ ein wichtiger Teil von öffentlicher Repräsentation, der BPOC-Community ist, spricht sein Verhalten also gegen all das, was einem die Empowerment-Movements versprechen: Zusammenhalt und Support Culture in einer Welt, die dir zeigt, dass du zu anders bist, um dazuzugehören.

Denn jede nicht weiße Person, die sichtbar ist, sorgt dafür, dass Visibilität gewährleistet ist und sich andere inspiriert fühlen. Dazu, nach Möglichkeiten zu greifen, die ihnen aus strukturellen Gründen vielleicht im ersten Moment unmöglich scheinen. Zu träumen und sich mutig der Welt zu stellen. Doch im Gegenzug zu den empowernden Träumen, die die BPOC-Community kollektiv profitiert, sieht die Realität anders auch. Die ist aktuell ein Schlachtfeld und dort geht man mit Ellenbogen durch die Welt – jeder:jede für sich.

Representation Matters: Die Macht der Vorbildfunktion

Das merke auch ich. Denn so schöne und wichtige Momente ich auch an Black-Community-Support erlebt habe, es gibt auch andere Seite. Was nicht heißt, dass es innerhalb der Community keine Differenzen geben kann. Aber wie gesagt, im Großen und Ganzen ist das Sichtbar sein und aktiv werden an bestimmten Zahnrädern in der Gesellschaft etwas, wovon wir alle profitieren – als Kollektiv. Und diese Vorschritte werden nun davon überschattet, dass ein Mediengigant wie Ye seine Macht auf eine sehr komplexe Art und Weise missbraucht. Die mich traurig macht, denn er ist ein Vorbild. Eins dem andere folgen und sich dadurch (bewusst oder nicht) sein Verhalten aneignen. Ein Verhalten, das sagt: Es ist okay, sich gegen seine Leute zu stellen und rassistische Statements zu reproduzieren.

Für mich passiert hier gerade ein sehr emotionaler Moment, der zu einem gewissen Teil meine Träume demontiert. Träume in denen BPOC‘s sich dabei helfen, bestimmte Räume einzunehmen. Sich supporten und jeder einzelne Sieg wie Teamsport ist. Aber Ye beweist mal wieder, dass er kein Teamplayer ist. Und verkauft die Vision davon, dass man es nur alleine schaffen kann. Mit Ellenbogen. Etwas, das der Idee von Kollektiven-Power-Dynamiken auf so vielen Ebenen widerspricht, dass es kaum verwunderlich ist, dass sich die Community nun lautstark gegen ihn stellt.

 

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I hate the new (Kan)Ye: Von der Songzeile zum kollektiven Gefühlsmoment

Schade, aber in dem Moment der einzig wichtige Schritt. Denn Empowerment durch Support Culture ist das, was dazu führt, dass langfristig Dinge angestoßen werden, die über den Personen- oder Künstler:innen-Kult hinausgehen. Weil am Ende ist kulturelle Veränderung wie Domini – einer brennt für etwas und schaffte es, dass der Funke überspringt und man gemeinsam den Status quo verändert. Aber in dem Ye die Rhetorik eines so wichtigen Slogans wie ‚Black Lives Matter‘ dekontextualisiert gibt er all denen Feuer, die ihn eh schon infrage gestellt haben. Und die haben nun die größte Waffe in der Hand. Eine unumstößliche Argumentationskette, die beginnt mit: „Ye hat gesagt …“. Und wenn Er in seiner Rolle als kulturelle Instanz das kann, wieso nicht auch jeder:jede andere?!

„Ye erteilt allen, die rassistische Statements und Ideologien reproduzieren, Absolution! Und torpediert zusätzlich die Jahrhunderte lange Arbeit aller, die sich gegen Rassismus und für ein respektvolles Miteinander einsetzen – mit drei Wörtern.“

Verstärkt wird die visuelle Ebene weiter davon, dass Ye sich Hand in Hand mit Candace Ownes zeigt. Die ist für ihre rechtskonservativen Positionen und Kritik an BLM bekannt. Alleine sinnbildlich ist das viel geteilte Foto also schon ein mächtiges Statement – und das ganz, ohne den weiteren Kontext zu kennen. Es ist eine Komposition, die wie ein Gemälde oder eine Statue die Zeiten überdauern wird. Als Referenz in den falschen Momenten reproduziert wird und uns als BPOC-Community immer wieder daran erinnern wird, dass es am Ende immer ‚weiße‘ Systeme sind, die über Leben, Tod, Bestehen und Versagen entscheiden. Denn sie sind es, die Gruppen entzweien und Support Culture zu einem Schatten ihrer selbst werden lassen. Wo jeder:jede mit sich selbst kämpft, aber vor allem gegen die anderen – gegen die man alleine eben schwer gegenhalten kann.

Ye präsentiert die ultimative Freikarte, um offen rassistisch zu sein

Ye sabotiert also seine eigene Community, indem er allen anderen (vor allem seiner extrem großen weißen Community) die Freikarte gibt, ein anti-rassistisches Monument zu banalisieren. Er torpediert Protestbewegungen, deren Schlüsselfiguren zum Teil ihr Leben geben mussten, damit die Welt, in der ich und andere Schwarze Menschen einen Platz am Table haben, überhaupt so existiert. Denn wenn wir ehrlich sind, wäre ohne ‚Black Lives Matter‘ und andere zugehörige Statements die Welt eine andere. Was nicht heißen soll, dass es nicht weiterer rassismuskritischer Arbeit erfordert. Doch wie 2022 beim Blackout Tuesday-Square wird mal wieder klar, wie schnell Support Culture einen performativen Charakter bekommt und empowernde Statements wie BLM in den falschen Händen verdreht und für die Exposition des eigenen Images missbraucht werden. #Blacklivesmatter ist nicht nur ein Hashtag mit austauschbaren Wörtern. Der Slogan rettet Menschenleben und die sollten nicht im Namen der Kunst zu einer schmückenden, nicht ernstzunehmenden Phrase degradiert werden. Die viel schlimmer, von den falschen missbraucht werden kann.

Denn so wie viele diesen eine:n vermeintlich Schwarzen Bekannten haben, weswegen problematische Aussagen nicht rassistisch sein können, hat jetzt jeder:jede Ye. Er ist dieser Freund und er gehört allen.

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3 Antworten zu “I hate the new (Kan)Ye: Wieso Black Support Culture wichtig ist und rassistische Statements keine Absolution verdienen”

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