Julia Dettmer Bunte.de Chefredakteurin

Job-Neustart mit Ex-BUNTE.de-Chefredakteurin Julia Dettmer

20. April 2020 von in

Einen Job zu kündigen und sich in etwas Neues zu wagen erfordert wahnsinnig viel Mut. Es ist ein Schritt raus aus der comfort zone, die selbst wenn sie ungemütlich ist, das ist, was wir kennen. Auch, wenn uns ein Job über- oder unterfordert, wir mit den falschen Menschen oder Aufgaben konfrontiert sind, ist er doch das, was wir kennen – und jede andere Option im ersten Moment nur das große Ungewisse, das unendlich viele Fragezeichen und Unsicherheiten birgt.

Und doch kann es das Befreiendste überhaupt sein, den Job zu kündigen, einen Neustart ins Ungewisse, in die Selbständigkeit oder in einen neuen Beruf, eine neue Firma oder eine neue Position zu wagen. Niemand kann wissen, was genau auf einen zukommt – ganz besonders nicht in diesen turbulenten Zeiten. Nur eines steht fest: Geht man den Schritt, wird es anders, und es wird neu.

Wir haben viele Mutige gefragt, wie sie es geschafft haben, ihren alten Job hinter sich zu lassen – und was danach alles für sie entstanden ist. Hier geht es zu Teil 1 der Neustart-Geschichten, Teil 2 lest ihr hier.

In Teil 3 erzählt uns Julia Dettmer heute ihre Geschichte: Bis vor Kurzem war die Journalistin Chefredakteurin von BUNTE.de – ein absoluter Traumjob, auf den sie viele Jahre hingearbeitet hatte. Warum sie im Januar 2020, als die Klickzahlen gut waren wie nie, ihren Job kündigte, erzählt sie im Interview!

Du warst Chefredakteurin von BUNTE.de und hast deinen Job gekündigt – wie kamst du dazu, diesen Traumjob hinter dir zu lassen? 

Mir war klar, dass das jetzt für mich wahrscheinlich der letztmögliche Zeitpunkt für was Neues war. Privat happy, noch kinderlos, energiegeladen und mutig. Zudem hatte ich bei BUNTE.de alles erreicht, was ich mir nie hätte erträumen können. Die Perspektiven waren zu dem Zeitpunkt gefühlt aufgebraucht. Also habe ich gekündigt und mich selbstständig gemacht.

Dein Chefredakteurs-Posten war das Ergebnis eines langen beruflichen Weges: Wie sah dein Werdegang davor aus, und welches Ziel hattest du dabei immer im Kopf?

Ich habe ganz klassisch mit verschiedenen Praktika und dann 2009 einem Volontariat bei BUNTE.de angefangen. Danach wurde ich als Redakteurin bei freundin.de (auch Burda) übernommen. Meine nächste Station war Lifestyle Editor bei Yahoo! Deutschland, wo damals Marissa Mayer als CEO übernommen und nochmal viel Hoffnung gesät hatte. Das wurde nix mit der Hoffnung, also war ich froh, dass der damalige Chefredakteur mich zurück zu BUNTE.de geholt hat, weil er für den großen Relaunch Unterstützung brauchte. Dort wurde ich dann zur Ressortleiterin Stars befördert. Nach zwei Jahren kam eine Headhunterin für ProSieben auf mich zu und bot mir die Redaktionsleitung prosieben.de an. Ich war an einem Punkt, an dem ich Personalverantwortung übernehmen wollte und konnte dort dann eine Art Crashkurs in Führung mitnehmen. Nach nur sechs Monaten wurde die Chefredaktion bei BUNTE.de frei und ich wurde zurückgeholt. Da konnte ich natürlich nicht nein sagen. Mein Karriereziel war nie eine bestimmte Position, sondern immer eine, bei der ich Neues lerne, gefordert bin und neue Verantwortung übernehmen kann. Dabei wollte ich die Möglichkeit haben, agil und kreativ zu bleiben.

Ein so bekanntes Magazin online zu leiten stellt man sich glamourös und wahnsinnig spannend vor. Wie sah dein Arbeitsalltag aus?

Ziemlich stressig. Mein Tag startete morgens im Bett direkt nach dem Aufwachen mit den News, einem ersten Schwung Mails, Reichweiten-Check und Nachrichten im Redaktions-Chat.

In dem fast 30-köpfigen BUNTE.de-Redaktionsteam war ich der Knotenpunkt, an dem alle Infos aus den verschiedenen Bereichen zusammenliefen. Ich leitete die Redaktionskonferenzen, behielt den Überblick über alle Performances und koordinierte die Prozesse. Mein Job bestand zur Hälfte aus fest geplanten Abläufen wie Jour Fixen, zur anderen Hälfte aus Unvorhersehbarem wie spontanen Interviewanfragen oder Anliegen von Mitarbeitern. Außerdem war mein Kalender voll mit Meetings. Auch nach der Bürozeit hatte ich immer alles im Blick und viele Abendtermine. Und natürlich am Wochenende und an Feiertagen. Mein Job war nicht mit 9 to 5 vereinbar und wenn ich das wollen würde, hätte ich als Journalistin vermutlich die falsche Einstellung zu diesem Job.

Du kamst in mehreren GNTM-Staffeln vor, durftest die Teilnehmerinnen in LA interviewen, warst auf Galas und Pressereisen – was waren die besten Momente aus deiner Zeit bei BUNTE.de?

Da hast du schon ziemlich treffsicher die Highlights rausgegriffen. Drei Staffeln GNTM waren der Hammer und jedes Mal eine Mischung aus harter Arbeit (20 Mädels durchrecherchieren…), Abenteuer und Fangirl-Moments (ich liebe Heidi Klum #honestgirl). Jedes Jahr im November war ich zum Bambi eingeladen, auch immer ein wunderschöner Abend. Pressereisen habe ich aus Compliance-Gründen allerdings nicht gemacht.

Gab es Dinge, die du im Vorfeld falsch eingeschätzt hast?

Definitiv. Ich musste mich erst an das enorme Stresslevel gewöhnen und dann auch einiges umstrukturieren, damit das Pensum überhaupt irgendwie zu schaffen war. Was von außen wie ein Glamour-Job aussieht, ist hinter den Kulissen richtig finegetunte Management-Arbeit.

Ich habe mir angewöhnt, mir für größere To Dos, die nicht on the fly erledigt werden können, Termine im Kalender zu blocken. Sonst wäre mein Kalender mit Terminen vollgelaufen und ich hätte keine Zeit gehabt, um zum Beispiel aufwendigere Auswertungen zu machen oder Präsentationen auszuarbeiten. Für vor und nach der Büroarbeitszeit habe ich eingeführt, dass mich die Diensthabenden Redakteure anrufen, wenn sie wichtige Fragen haben, die sie nicht selbst entscheiden können oder möchten. So musste ich nicht toujours in unserem Redaktions-Chat mitlesen, sondern konnte das Handy auch mal aus der Hand legen, denn das Klingeln hörte ich ja trotzdem. Das hat auch mein Privatleben enorm entspannt. „Du hängst dauernd am Handy“ war nämlich kein seltener Vorwurf

Was waren die größten Herausforderungen für dich in diesem Job?

Ich kam mit gerade mal 29 in diese Position. Da bekam ich schon öfter mit, dass hinter meinem Rücken Sätze fielen wie: „Dieser Youngster ist doch in zwei Monaten wieder weg“ oder „Diesen Teenie kann man doch nicht ernst nehmen“. Das war hart, gleichzeitig vertraute ich auf meine Fähigkeiten und wusste, dass ich bereit für diesen Job war. Mit jedem Monat, den wir mit BUNTE.de erfolgreich waren, wurden die fiesen Stimmen leiser. Am Ende hatte ich mir meinen Platz erkämpft und auch die gebührende Anerkennung. Ich habe mich nie kleinkriegen lassen.

Die zweite große Herausforderung war, alle Bälle zu jonglieren und dabei das Team bei Laune zu halten. Ich habe immer hohe Ansprüche an mich als Führungsperson gestellt, da ich selbst genügend schlechte Chefs hatte. Als Chefin wollte ich nah an meinem Team dran sein, motivieren, stützen und problemlösend vorangehen. Jedem Charakter die nötige Zeit und Wertschätzung zukommen zu lassen, kostete dabei sehr viel Zeit, war mir aber wichtig.

Wie kündigte sich für dich an, dass das vermeintliche berufliche Lebensziel nicht deine Endstation sein würde?

Im Sommer 2019 habe ich zum ersten Mal drüber nachgedacht, was dieses unbestimmte Gefühl in mir bedeuten könnte. Ich merkte, dass ich – wie es bei mir noch in jedem Job war – langsam wieder eine gewisse Rastlosigkeit spüre. Als würde ich mit den Hufen scharren und nicht vom Fleck kommen. Als ich genau in mich hineingehorcht habe, habe ich verstanden, dass es Zeit ist, über neue Wege nachzudenken. Das konnte ich sogar ziemlich schnell zulassen, anstatt es zu verdrängen.

Wie kamst du zu deiner Entscheidung, einen neuen Weg einzuschlagen – vom ersten Bauchgefühl bis zur finalen Kündigung? Wie hast du den Mut gefasst, wie sah der Prozess aus?

Ich wollte auf jeden Fall verhindern, dass sich diese tolle Position irgendwann für mich abnutzt und ihren Reiz verliert. Ich habe sie so sehr geliebt, total dafür gebrannt und alles gegeben. Dass das nicht für immer so bleiben konnte, war mir klar. Zudem hatte ich einfach Lust auf die Selbstständigkeit. Eigentlich eine für mich eher untypische Entscheidung, weil ich doch gerne fest im Sattel sitze. Aber ich habe mir das Szenario des Scheiterns vor Augen geführt und gesehen, dass das kein Weltuntergang wäre. Wenn ich keine Aufträge bekommen würde, würde ich mich eben wieder auf die Suche nach einer Festanstellung machen. Ich bin ein Organisationsgenie und habe ein großes Netzwerk auf- und die größten Zweifel abgebaut. Warum also nicht? Ich bin gegangen, als ich am Höhepunkt war. Schön: in dem Monat mit den All Time High-Reichweiten (Januar 2020). Zum Glück läuft mein Business jetzt ganz gut an, so dass ich den Schritt keine Minute bereut habe.

Welche Pläne hattest du für deinen beruflichen und privaten Weg nach deiner Kündigung?

Ich habe mich als freie Journalistin, Autorin, Lektorin, Expertin und Coach selbstständig gemachtDas heißt, ich schreibe Artikel, zum Beispiel die letzte InStyle-Titelstory oder Advertorials für Agenturen, lektoriere Texte von anderen, trete als Expertin auf, zuletzt als Royals-Expertin in der ZDF-Doku über Königin Margrethe von Dänemark, und helfe Unternehmen beim Teambuilding und der Prozessoptimierung. Ich habe durch meine Führungspositionen viel Erfahrung gesammelt und selbst zahlreiche Weiterbildungen und Coachings gemacht, deshalb kann ich meine wertvollsten Erfahrungen weitergeben.

Die unterschiedlichen Bausteine machen mir alle großen Spaß und ich habe mir ein schönes Angebotsportfolio zusammengebaut. Direkt am Anfang meiner Selbstständigkeit habe ich richtig Gas gegeben und nur Akquise gemacht – das hat sich schnell ausgezahlt und die ersten Aufträge kamen rein. Aktuell schreibe ich an einer Kolumne, die bald zum ersten Mal erscheint und lektoriere ein kleines Textprojekt einer Bekannten. Hoffen wir, dass Corona bald abflacht, so dass wieder mehr Aufträge vergeben werden. Mein großer Wunsch ist noch die Veröffentlichung meines eigenen Buchs!

Was hat sich für dich verändert, wo liegen heute deine Prioritäten?

Mein Berufsleben hat sich einmal um 180 Grad gedreht. Ich arbeite nun vorrangig im Home Office, außer ich habe externe Termine mit Auftraggebern, Interviewpartnern oder anderen Kontakten. Arbeitsweg, People-Management, Meeting-Marathons – all das fällt weg. Ich fühle mich dadurch viel selbstwirksamer. Jetzt bin ich nur für mich verantwortlich und viel purer unterwegs. Ich habe das Schreiben schon immer geliebt und in meiner Management-Position sehr vermisst. Jetzt bin ich endlich wieder „dran am Text“ und gehe darin total auf. Bis ich so ausgelastet bin, dass ich zufrieden bin, dauert es noch ein wenig, aber das ist am Anfang ja normal. Corona hat allen Freien natürlich auch einen deftigen Knüppel zwischen die Beine geworfen, weil dadurch kaum noch Aufträge rumkommen, aber auch das überstehen wir.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass ich sehr glücklich mit meiner Entscheidung für die Selbstständigkeit bin. Es fühlt sich an, als wäre das jetzt genau das Richtige für mich. Aber natürlich vermisse ich ab und zu schon das Gewusel im BUNTE.de-Newsroom. Zum Glück kann ich meine alte Crew immer wieder besuchen.

Welche Tipps hast du für alle, die auf ein großes Ziel hinarbeiten – und schließlich merken, dass es nicht die eigene Erfüllung ist?

Die Chefredaktion bei BUNTE.de hat mich mehr erfüllt als jeder andere Job vorher und ich bin superstolz darauf, dass ich niemandem mehr was beweisen muss. Ich bin aber auch ehrlich und realistisch genug, wenn ich in die Zukunft schaue und sehe, dass ich nicht für immer das Duracell-Häschen sein kann. Also habe ich überlegt, was mir am meisten Spaß macht, nämlich selbst kreativ sein und managen, und wie ich das in einem anderen Set-up verwirklichen kann.

Und welche Tipps hast du für alle, die in einer Jobsituation feststecken, aber den Mut nicht aufbringen können, etwas zu verändern?

Als ich meine Kündigung offiziell gemacht habe, sagten viele, dass sie total überrascht seien, aber wünschten, dass sie auch den Mut hätten. Da wurde ich jedes Mal hellhörig und überlegte, wie viele wohl unglücklich in ihren Festanstellungen verharren, weil sie nicht den Mut haben oder zu bequem sind, etwas zu verändern. Man muss sich mal die finanziellen Schäden für die Firma vorstellen, schließlich arbeiten lustlose Mitarbeiter sicher ineffizienter als topmotivierte.

Ich rate jedem, in sich zu gehen, und Alternativen zu durchdenken, wenn sie nicht mehr happy im Job sind. Als erstes sollte man dann mit dem Chef über Perspektiven und Veränderungsmöglichkeiten sprechen. Wenn es keine gibt, macht man sich einen Plan für die Zukunft und dann ab dafür. Natürlich verstehe ich, dass das bei vielen aufgrund von Sicherheit und anderen Umständen nicht so einfach ist. Aber auch dann kann man eine beherzte Entscheidung treffen – eben fürs Bleiben – und nochmal neu aufgeladen starten. Einmal reflektieren ist aber wichtig, sonst grummelt man immerzu und wird sich nie richtig bewusst darüber.

Vielen Dank für die Einblicke und viel Erfolg in der Selbständigkeit!

 

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4 Antworten zu “Job-Neustart mit Ex-BUNTE.de-Chefredakteurin Julia Dettmer”

  1. Ich bin „erst“ 26 und hatte bisher nur Werkstudenten-Jobs in Büros, aber ich sehe das alles ganz genau so wie Julia. Diese Kommentare von anderen: „Ich wünschte, ich wäre so mutig“ sind ein Zeichen mehr dafür, dass man genau das Richtige tut und das habe ich auch schon so oft gehört – bei allen möglichen Lebensentscheidungen in die Richtung.

    Wieso muss alles immer stetig laufen und darf sich nicht verändern? Irgendwas ändert sich doch immer, auch ohne, dass wir es beeinflussen können und dann stehen wir da und straucheln.

    Hoffentlich hilft das Interview einigen, den Schritt endlich zu wagen. :)

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